© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/19 / 28. Juni 2019

„Wir müssen jetzt handeln“
Debatte: Der Leiter des Arbeitskreises Verteidigung der AfD-Fraktion, Rüdiger Lucassen, zum Papier „Streitkraft Bundeswehr“
Christian Vollradt

Wiedereinführung der Wehrpflicht, Einsatz der Bundeswehr im Innern, etwa beim Grenzschutz, Militärparaden in der Öffentlichkeit: Ihr Thesenpapier wird bei einigen den Blutdruck in die Höhe treiben. Will die AfD wieder mal provozieren oder vor allem unter Soldaten auf Stimmenfang gehen?

Lucassen: Wenn unsere Forderung, den Wehrdienst einzuführen, oder die Bundeswehr bei schweren Terrorlagen zum Schutz der Bevölkerung einzusetzen, für Bluthochdruck sorgt, sagt das viel über die politische Kultur unseres Landes aus. Die Bundesregierung hat die Streitkräfte in den letzten Jahren verfallen lassen. Wir brauchen einen anderen Kurs in der Verteidigungspolitik, und den zeigt unser Strategiepapier auf.

Zur Umsetzung Ihrer Forderungen wären mehrere Grundgesetzänderungen notwendig. Wie realistisch ist das, wenn im Bundestag noch nicht mal ein Vizepräsident von der AfD mehrheitsfähig ist?

Lucassen: Seit 1949 ist ungefähr jeder zweite Artikel des Grundgesetzes geändert worden. Man kann also von einer gängigen Praxis sprechen. Zudem ist es uns wichtig, daß politisches Denken ohne Kompromisse beginnt. Wir haben uns gefragt, was Deutschland braucht, um einsatzbereite Streitkräfte zu bekommen und nicht, was in einer imaginären Koalition durchsetzbar wäre. Kompromisse sind immer notwendig. Sie gehören aber nicht an den Beginn einer verteidigungspolitischen Rekonstitution.

Ihr Papier betont die herausragende Bedeutung der Landesverteidigung. Aber: Ist ein Angriffs-Szenario wie zu Zeiten des Kalten Krieges realistisch? Und wenn ja: Schützt uns davor nicht eher die nukleare Abschreckung durch Nato-Verbündete? 

Lucassen: Ein Angriff auf die Bundesrepublik Deutschland ist unwahrscheinlich. Er ist aber nicht undenkbar. Wäre er dies, könnten wir die Bundeswehr abschaffen. Streitkräfte sind die Antwort eines Staates auf dieses Risiko – möge es auch noch so gering sein. Im übrigen steigt das Risiko eines Angriffs mit dem Verlust der Verteidigungsbereitschaft. Frieden und Sicherheit entstehen durch eigene Stärke.

Kritiker der Wehrpflicht meinen, sie mache eine Armee zwar größer, aber nicht unbedingt besser und binde zu viele Kräfte für die Ausbildung. Was entgegnen Sie?

Lucassen: Die Bundeswehr war die meiste Zeit eine Wehrpflichtigenarmee und als solche beim Gegner gefürchtet und bei den Verbündeten geachtet. Ein moderner Wehrdienst muß selbstverständlich den heutigen Bedingungen angepaßt werden. So ist etwa der Dienst als Panzergrenadier auf einem modernen Schützenpanzer wesentlich anspruchsvoller als noch vor 30 Jahren. Dennoch gibt es genügend Dienstposten, auf denen Wehrpflichtige ihren Beitrag zur Landesverteidigung erbringen können. Der Personalbedarf heute und in der Zukunft läßt sich ohne die Wehrpflicht nicht decken.

Sie fordern einen Generalstab für die Bundeswehr. Hat sie den nicht faktisch längst, nur daß an dessen Spitze kein Generalstabschef, sondern ein Generalinspekteur steht?

Lucassen: Ein Generalstab ist ein hocheffektives Instrument, um die Gesamtheit der Streitkräfte zu führen. Ein solches Instrument wurde Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg verboten, und so ist es bis heute geblieben. Die Bundeswehr hat heute elf Organisationsbereiche, die nicht zentral geführt werden. Durch die Schaffung eines deutschen Generalstabs würde die Position des Generalsinspekteurs (dann Generalstabschef) enorm aufgewertet werden, und mindestens zwei von vier  Staatssekretären würden überflüssig.

Zum Schluß die nicht ganz unwichtige Frage: Die Bundeswehr soll größer werden, bessere Ausrüstung bekommen und auch wieder in der Fläche präsent sein – was würde die Verwirklichung Ihrer Pläne kosten?

Lucassen: Deutschland hat sich zum Zwei-Prozent-Ziel der Nato bekannt. Nach heutiger Schätzung wären dies über 70 Milliarden Euro pro Jahr. Sie können davon ausgehen, daß die Wiederherstellung der Einsatzbereitschaft der Bundeswehr diese Summen benötigt. Sicherheit gibt es nicht kostenlos. Seit Jahren nehmen Bedrohungen zu, und gleichzeitig kann sich Deutschland immer weniger auf seine Allianzen verlassen. Wir müssen jetzt handeln, um Deutschlands Rolle als Führungsmacht in Europa auch militärisch glaubhaft zu hinterlegen.






Rüdiger Lucassen, Jahrgang 1951, ist Mitglied im Verteidigungsausschuß des Bundestages und verteidigungspolitischer Sprecher der AfD-Fraktion. Er diente 34 Jahre als Berufsoffizier in der Bundeswehr (zuletzt als Oberst i.G.).

 www.ruediger-lucassen.de