© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/19 / 28. Juni 2019

Pankraz,
der Mörder und die Meinungsfreiheit

Allmählich wird es unüberhörbar. Die Meinungsfreiheit soll demnächst endgültig abgeschafft werden. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) sagte soeben den Zeitungen der Funke-Gruppe: „Ich will dem Rechtsstaat mehr Biß geben und prüfen lassen, ob Demokratie-feinden Grundrechte entzogen werden können.“ Parallel dazu waren etwa in der Zeitschrift Le Monde diplomatique Sätze wie dieser zu lesen: „Die Stärke der Rechten rührt auch daher, daß die Grenze zwischen dem politischen Mainstream und dem rechtsextremen Lager mittlerweile die in Europa am schwächsten bewachte Grenze ist.“

Gesetzliche Grenzen zwischen „Normalbürgern“ und „Demokratiefeinden“ sollen also gezogen und schärfstens bewacht werden, um künftig – so die offizielle Begründung – mutmaßliche Mordgesellen wie jenen Stephan E. von ihren tödlichen Attacken auf demokratische Politiker abzuhalten. Stephan E., so heißt es, sei zwar in seiner Jugend als  überzeugter Nazi hervorgetreten, jedoch seit 2009 „nicht mehr aufgefallen“. Aber, so der „Rechtsextremismusforscher“ Daniel Köhler, „es kommt immer  wieder vor, daß sich Rechtsextremisten re-radikalisieren, zum Beispiel durch familiäre Krisen“.

Sascha Lobo geht im Spiegel noch einen Schritt weiter, nennt den mutmaßlichen Mörder einen „Schläfer“, der nicht zuletzt durch Reden von AfD-Politikern und ein indifferentes Schweigen der Mitte „erweckt“  worden sei. Wie der Auftritt von Seehofer bei der Funke-Gruppe zeigt, ist das nun die Auffassung der gesamten Bundesregierung geworden. Nicht der Mörder ist für sie der Schuldige, sondern die angeblich hinter ihm gestanden habenden dunklen Kräfte mit ihren Haßpredigten. Gegen sie müsse gesetzlich vorgegangen werden. Der Rechtsstaat müsse endlich Paragraphen erhalten, um ordentlich zubeißen zu können.


Man kann es nicht oft genug wiederholen: Was hier inszeniert wird, ist ein Angriff auf die Meinungsfreiheit. Selbst wenn die von Rechtsextremisten vorgetragenen Argumente tatsächlich nichts als schlimme Gewaltaufrufe wären, müßten sie zunächst konkret an der herrschenden Rechtsordnung gemessen werden, wie ja einstmals in der alten Bundesrepublik auch die Reden der Kommunisten um Max Reimann. Doch Seehofer & Co. zielen ja nur gestisch auf Rechtsextreme. Gemeint sind in Wirklichkeit ganz normale, sich strikt an parlamentarische Regeln haltende Meinungsgegner vom Schlage der AfD.

Merkels monströse Volksfrontpolitik, die während der letzten Jahre faktisch ein Parteienbündnis aus Linken, Grünen, SPD und CSU/CSU gegen die AfD und (bisher) in der CDU verbliebene Rechtsliberale hergestellt hat, ist auf ganzer Linie gescheitert, hat sowohl im Inneren wie auch nach außen lediglich Chaos, Irritationen und infantile Lachnummern herbeigeführt. Tiefe Risse zwischen Volk und (vermeintlichen) Eliten und zwischen den europäischen Nationen sind entstanden. Und die Parole „Nicht mit Rechten reden“ hat sich als regelrechter Rohrkrepierer erwiesen oder ging nach hinten los.

Eigentlich ist das Miteinanderreden über Meinungsgrenzen hinweg pure Selbstverständlichkeit, nicht zuletzt unter demokratischen Verhältnissen. Es kann immer nur darum gehen, sich über gewisse Grundregeln verbaler Verständigung zu einigen und sie halbwegs einzuhalten. Wer statt dessen den Dialog grundsätzlich versagt, gesteht damit ungewollt seine sachliche und rhetorische Unterlegenheit ein – und genau das ist den zur Zeit herrschenden Gewalten passiert. Ihre Dialogverweigerung entspringt reiner Panik, und auch der neueste Versuch, den Meinungsgegner unter Strafe zu stellen, zeugt von dieser Panik.

Joachim Gauck, Ex-Bundespräsident und also einer der höchsten Würdenträger des Landes, hat das immerhin gespürt und seinen kritischen Gefühlen in verschiedenen Interviews öffentlich Ausdruck gegeben. In einer ZDF-Talkshow forderte er, den Begriff „Rechts“ in der Politik wieder zu „entgiften“. „Rechts“, sagte er, „ist eine Verortung im politischen Raum, die noch nicht negativ ist.“ Es sei die „68er-Kultur“ gewesen, derzufolge alles, was nicht links sei, bereits ein Unheil sei und notwendig zu Faschismus und Nazitum führe.


Im übrigen waren die Äußerungen des Ex-Präsidenten sehr maßvoll und hielten sich auch, wie bei Politikern üblich, stets ein Hintertürchen offen. So forderte er eine „erweiterte Toleranz in Richtung rechts“, warnte aber auch gleich davor, Rassismus und Intoleranz nicht entschieden genug zu bekämpfen. Das Verhalten aller anderen Fraktionen im Bundestag, bislang jeden AfD-Kandidaten bei der Wahl zum Bundestagsvizepräsidenten abzulehnen, nannte er einen „problematischen Weg“.

Er persönlich halte die AfD zwar für „verzichtbar“. Weil sie aber da sei, müsse man sie als „politischen Gegner betrachten“ und mit ihr streiten. Dennoch würde er, Gauck, niemals mit Alexander Gauland öffentlich diskutieren wollen. Dafür habe er „nicht genug Achtung“ vor ihm. „Ich habe eine persönliche Toleranzgrenze.“ Er sei nun mal ein „heftiger Gegner“ der AfD, halte freilich nicht alle AfD-Wähler für „Faschisten“ und „Nazis“. Nicht jeder Protestwähler sei von Hause ein Nazi.

Trotz seiner Wackligkeiten und Zeitgeistphrasen ist nun sogar Gauck ins Visier der neuen Meinungszensoren geraten, hat bei ihnen, wie es vielerorts heißt,  „Empörung“ ausgelöst. In Berliner SPD-Kreisen spricht man sogar schon von einem „Sarrazin light“. Die taz erregt sich besonders darüber, wie selbstverständlich Gauck von einer Notwendigkeit des Miteinandersprechens ausgeht. „Es braucht keine Brückenbauer von den rechten Rändern in die Mitte. Es braucht jetzt eine demokratiefähige Mitte, die sich nicht einschüchtern läßt und Grenzen setzt.“

Dagegen gilt: Wir brauchen sehr wohl Brückenbauer, in beide Richtungen. Aber zuerst  brauchen wir Bürger, die sich weder von Mördern noch von  Paragraphenhengsten vertreten lassen wollen, welche ihnen die Freiheit rauben.