© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/19 / 28. Juni 2019

Der Meister und seine Jünger
Hell-Dunkel-Kontrast: Eine sehenswerte Ausstellung in der Alten Pinakothek München zeigt die Ausbreitung des Caravaggismus im frühen 17. Jahrhundert
Felix Dirsch

Die Zeit um 1600 war für die Stadt Rom eine aufregende. Der Übergang von der Renaissance in einen neuen Stil zeichnete sich mehr und mehr ab. Als symbolische Geburtsstunde des später Barock genannten Zeitalters betrachtet man üblicherweise die Errichtung des Kreuzes auf der gerade vollendeten Petersdom-Laterne 1593 unter Papst Clemens VIII. Weiterhin brach sich eine neue Kunstgattung Bahn: die Oper, die Dichtung, Musik, Schauspiel, Tanz, Kostüm und Architektur zu vereinen versuchte. Die neue Richtung ist mit dem Namen Claudio Monteverdi untrennbar verbunden.

Der Epochenbruch spiegelte sich auch in der unterschiedlichen Ausrichtung prominenter Künstler. Der Star, Caravaggio, dessen Können sich schnell wie ein Lauffeuer in ganz Europa verbreitete, personifizierte bald die in die Zukunft weisende Strömung und verlieh ihr ein stark naturalistisches, manchmal schockierend-realistisches Gepräge. Dagegen präferierte Annibale Carracci, Sproß einer bedeutenden Malerfamilie, die strengen klassischen Formen. In seiner Zeit fand er mit dieser Option nur wenig Resonanz.

Reproduktionen aus kommerziellen Gründen

Drei jüngere Künstler aus der aufstrebenden Handelsstadt Utrecht wollten die Werke von Caravaggio, der nach seinem Geburtsort in der Lombardei benannt ist und eigentlich Michelangelo Merisi heißt, aus der Nähe bewundern: Hendrick ter Brugghen, Gerard van Honthorst und Dirck van Baburen brachen auf Anregung des Kunsttheoretikers Karel van Mander zu verschiedenen Zeiten im frühen 17. Jahrhundert auf, um sich in der prachtvollsten Stadt Europas wertvolle Anregungen zu holen. Der Angehimmelte hatte zu diesem Zeitpunkt Rom schon wieder verlassen. Bald darauf verstarb er. Ein Teil des Werkes der drei Utrechter entstand nach ihrer Rückkehr aus der Ewigen Stadt. 

Die Strahlkraft des legendenumwobenen Meisters reichte zwar weit über diesen Künstlerkreis hinaus; allerdings waren die Jünger aus dem Norden der Niederlande in besonderer Weise nicht nur um Nachahmung des verehrten Mannes bemüht, sondern auch um Verbesserung und womöglich Erweiterung seines Œuvres. Es wäre töricht, die Rolle des Geldes in diesem Kontext zu unterschätzen. Die Faszination, die vom Vorbild ausging, steht nicht im Widerspruch zu dem Ziel, auch aus kommerziellen Gründen möglichst detailgetreue Reproduktionen hervorzubringen, deren originäre Bedeutung dennoch von Anfang an offenkundig ist.

Caravaggios Techniken, von den nachfolgenden Zeitgenossen teilweise übernommen, bestechen bis heute. Vor allem der von ihm gepflegte Stil des Hell-Dunkel-Kontrasts ist ein maßgeblicher Grund für das große Interesse an seinen Schöpfungen, das ihnen bis heute entgegengebracht wird. Genauere Untersuchungen haben nachgewiesen, daß das Utrechter Trio noch auf andere Malweisen zurückgegriffen hat. Zu erwähnen sind vornehmlich Anleihen bei Leonardo und Giorgone. Weiter pflegten die Erben in ihren Gemälden ein etwas verändertes „Rezept der Lichtregie“ (Ashok Roy), das an Techniken aus der Frühzeit des Films um 1900 erinnert.

Einige Resultate kann der Besucher einer erfolgreichen Sonderausstellung in der Alten Pinakothek bestaunen. Früher als erwartet wurde die Marke des hunderttausendsten Besuchers geknackt. Eine Reihe privater wie öffentlicher Einrichtungen stellte hochkarätige Exponate als Leihgaben zur Verfügung. Über 80 großformatige Gemälde werden präsentiert. Vom Meister selbst stammen nur vier, zwei weitere in Kopie. Rezipienten fanden sich europaweit nach kurzer Zeit.

Das Geheimnis der Ausstellung besteht nicht zuletzt darin, daß sie so übersichtlich wie nur möglich aufgebaut ist. Ein bekannter Abschnitt aus der Bibel wird in Form verschiedener, von Caravaggio beeinflußter Gemälde (oder vom Meister selbst) präsentiert. Die Ähnlichkeiten sind oft verblüffend. So finden sich am Anfang des Rundganges alttestamentliche Erzählungen von David und Goliath sowie von Judith und Holofernes. Beliebt ist das Motiv des abgeschlagenen Kopfes des Philister-Verlierers auch bei Caravaggisten, die nicht zum Utrechter Kreis gehörten. Gemeint sind Künstler wie Simon Vouet, Jusepe de Ribera, Valentin de Boulogne, Orazio Borgianni und Bartolomeo Manfredi. Bei allen Genannten fällt die expressive Gestaltung der Gesichter, die prächtige Wiedergabe der Stoffe, die harmonische Farbpalette und die Einfachheit der Komposition auf.

Welche ungeheure Detailtreue die Caravaggisten an den Tag legten, wird nicht zuletzt am intensiv rezipierten Sujet des Heiligen Sebastian deutlich. Van Honthorst, ter Brugghen und Nicolas Régnier bemühten sich auf unterschiedliche Weise um Wiedergabe und Ausgestaltung. Diverse Pestepidemien in Europa bewirkten, daß die Verehrung des populären Heiligen, den man gegen die Seuche und ihre Auswirkungen anrief, zum Alltag vieler Menschen gehörte. Bestechend genau wurden die Pfeile, die Sebastian durchbohren, dargestellt, ebenso das aus der Wunde herausschießende Blut. Natürlich ist weiterhin für etliche prominente Caravaggisten das Motiv der Kreuzigung ebenso zentral wie viele andere, etwa die Verkündigung des Herrn.

Weil es doch scheinheilig gewesen wäre, nur fromme Themen zu präsentieren, wählten einige der Künstler auch dazu kontrastierende. Zur Unter- und Halbwelt gehörte die meist als häßliche alte Frau mit Kopftuch dargestellte Kupplerin ebenso wie die von Caravaggio porträtierte Wahrsagerin. Zudem sind gelegentlich Prostituierte zu erkennen. Sie spielten im urbanen Leben keine unwesentliche Rolle.

Wechselwirkungen mit den Erben

Als Höhepunkt der Schau gilt Caravaggios Gemälde „Die Grablegung“, das man bereits früh als Wunderwerk betrachtete. Seine Bedeutung erkannte auch Peter Paul Rubens, der auf der Grundlage von Zeichnungen eine recht genaue Kopie anfertigte. Mehrere Grablegungsbilder sind in räumlicher Nähe zu sehen. Van Baburens Darstellung der Grablegung erfreute sich von Anfang an großer Beliebtheit, wovon auch die vielen Kopien zeugen, die bald angefertigt wurden. Seine Verbindung zur monumentalen Komposition des großen Vorbildes steht außer Frage. Auch van Baburens starkes Chiaroscuro erklärt sich von daher. Dieses Gestaltungsmittel ist für die eindrucksvollen Hell-Dunkel-Kontraste wie für die Steigerung des Räumlichen als auch des Ausdrucks verantwortlich.

Die imposanten Wechselwirkungen zwischen dem Künstlergott des 16. Jahrhunderts und den die produktiven Anregungen zu einem genuinen Stil verarbeitenden Erben sind wohl dafür verantwortlich, daß die Münchner Schau als einer der Höhepunkte des Museumsjahres 2019 gelten kann.

Studenten der Münchner Hochschule für Musik und Theater haben für etliche der Bilder passende Melodien komponiert. Man kann diese auf dem Audioguide hören. Synästhesien von Farben und Tönen sind ein zusätzlicher Anreiz, dem Ruf der Alten Pinakothek zu folgen.

Die Ausstellung „Utrecht, Caravaggio und Europa“ ist bis zum 21. Juli in der Alten Pinakothek in München, Barer Straße 27, täglich außer montags 10 bis 21 Uhr, Do. bis 18 Uhr, zu sehen. Telefon: 089 / 2 38 05-216

Der Ausstellungskatalog (Hirmer Verlag) mit 304 Seiten  und 330 farbigen Abbildungen kostet 34,90 Euro.

 www.pinakothek.de/caravaggisti