© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/19 / 28. Juni 2019

Ein Freispruch erster Klasse
Hermann Hagena widerspricht der Verdammung des Jagdfliegers Werner Mölders
Paul Rosen

Der Bilderstum in der Bundeswehr steht vor der Vollendung, Traditionen in der Truppe aus der Zeit vor 1945 und besonders aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs scheinen weitgehend abgeräumt. Traditionswürdig kann nur noch sein, wer direkt im Widerstand gegen Hitler war, obwohl selbst ein Oberst von Stauffenberg angesichts seiner politischen Haltung heutzutage verdächtig erscheinen dürfte. 

In dieser schwierigen Zeit, in der Vorurteile zu Tatsachen umgestrickt werden, legt der frühere General Hermann Hagena (Jahrgang 1931) seine im Vergleich zur ersten Auflage stark erweiterte Biographie über die Jagdflieger-Legende Werner Mölders (1913–1941) vor, dessen Namen das Jagdgeschwader 74 in Neuburg (Donau) seit 2005 nicht mehr tragen darf. Um es vorwegzunehmen: Wäre das Buch das zusammenfassende Urteil einer Gerichtsverhandlung, so würde dem von linker Propaganda unter NS-Anklage gestellten Jagdflieger ein Freispruch erster Klasse zuteil. Die damalige Anklage, basierend auf einem hastig zusammengeschusterten und tendenziösen Gutachten des Militärgeschichtlichen Forschungsamts (MGFA), in dem Mölders als „Muster eines NS-konformen Soldaten“ herabgewürdigt worden war, wäre zusammengebrochen. Der Ruf des MGFA hat in der Tat schweren Schaden genommen. 

Hagena läßt den jungen Flieger, der 1941 bei einem Flugzeugabsturz in Schlesien ums Leben kam, vor den Augen des Lesers wieder lebendig werden, beschreibt ausführlich mit Dokumenten von Zeitgenossen, die das MGFA trotz seiner guten materiellen und personellen Ausstattung angeblich nicht finden konnte, Mölders Jugend in Brandenburg und seine katholische Prägung auch durch den kirchlichen Bund „Neudeutschland“ (vom MGFA als „Neues Deutschland“ verfälscht). Gerade die religiöse Prägung sollte noch wichtig werden für die Beurteilung der Person. 

Mölders geht als junger Mann zur Luftwaffe, meldet sich freiwillig zur Legion Condor im Spanischen Bürgerkrieg. Damit ist für die herrschende linke öffentliche Meinung das Urteil gesprochen: Man muß nur „Guernica“ sagen – weitere Debatten erscheinen dann überflüssig. 

Er traf erst ein Jahr nach Guernica in Spanien ein

Hagena trägt Quellen zur Bombardierung der spanischen Kleinstadt durch deutsche und spanische Franco-Verbände zusammen. Er widerlegt Behauptungen, Guernica sei ein Test für spätere Flächenbombardierungen gewesen und weist anhand neuerer Quellen nach, daß die deutschen Flugzeuge eine Brücke am Stadtrand angegriffen haben und die Legion Condor nicht mit der Zerstörung der Stadt in Verbindung gebracht werden kann: „Der deutsche Hauptangriff mit Ju 52 war jedoch eindeutig nicht die Ursache, und auch die drei oder vier zweimotorigen Bomber der deutschen Versuchsstaffel haben allenfalls im Norden am Stadtrand einzelne Brände verursacht.“ Laut Hagena dürften spanische Ju 52, Breguet und Heinkel „durch ihre ungezielt geworfenen Bomben“ die Zerstörung der Altstadt verursacht haben, die Picasso in seinem Gemälde so einzigartig dargestellt hat. 

Einem 1998 mit einer Zufallsmehrheit zustande gekommenen Bundestagsbeschluß – das einzige Mal, daß die Linkspartei eine Initiative durchsetzte – ist mit dem heutigen Stand der Forschung endgültig die Grundlage entzogen. In dem die Bundesregierung ohnehin nicht verpflichtenden Beschluß wird unter ausdrücklichem Verweis auf Guernica jedem Angehörigen der Legion Condor das ehrende Gedenken abgesprochen. Obwohl Mölders erst ein Jahr nach Guernica nach Spanien kam, veranlaßte der damalige Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) 2005 die Umbenennung des Jagdgeschwaders 74 Mölders, das bis heute nur Taktisches Luftwaffengeschwader 74 heißt. 

Hagena schildert die Umstände, die als militärgeschichtliche Posse in die Geschichte der Bundeswehr eingegangen sind. Daß in Fortsetzung der begonnenen Bilderstürmerei auf dem Bundeswehr-Flugplatz Fürstenfeldbruck auch eine nach dem französischen Piloten Antoine de Saint-Exupéry (Autor des weltberühmten Buches „Der kleine Prinz“) benannte Straße umbenannt wurde, ist Ausdruck eines an Lächerlichkeit nicht mehr zu überbietenden vorauseilenden und blinden Gehorsams gegenüber einer geschichtsentwurzelten politischen Führung.

Eine solche Führung und Politiker lassen sich von Gutachtern wie Wolfgang Schmidt (MGFA) Papiere schreiben, deren Inhalt wenig Relevanz hat, deren Urteil aber bereits feststeht: So einer wie Mölders, der Oberst in der Wehrmacht war, muß Nazi gewesen sein. „Der ‘gute Flieger und Menschenführer’ fügte sich nahtlos in das Kriegerideal des NS-Regimes ein“, schreibt Schmidt. Das wundert in einer Zeit, in der Differenzierung nicht mehr gefragt und Forschung durch die richtige „Haltung“ ersetzt wird, auch nicht. 

Akribisch räumt Hagena jedes Vorurteil gegen Mölders ab. Er zeichnet das Bild eines begeisterten Piloten mit vielen Luftsiegen, der ein vorbildlicher Offizier war und von seinen Männern verehrt wurde. Mit dem von ihm entwickelten „Vierfingerschwarm“ schrieb Mölders Luftkriegsgeschichte, weshalb sein Name bis heute bei vielen Luftwaffen von Nato-Staaten und anderen Ländern in ehrendem Andenken gehalten wird – nur in Deutschland ist der Name aus der Bundeswehr getilgt worden. 

Wäre ein Mann wie Mölders im Widerstand gegen Hitler gewesen? Er starb früh durch einen Unfall, zu früh, um zu den Männern und Frauen des 20. Juli 1944 gehören zu können. Die Fakten, die Hagena unter Mithilfe in- und ausländischer Zeitzeugen und offizieller Stellen zusammengetragen hat, ergeben das Bild von einem jungen tiefgläubigen Katholiken, der katholisch heiratete, was alles andere als dem Ideal des nationalsozialistischen Parteisoldaten entsprach. 

Hagena schildert eindrücklich, wie sich Mölders für Edmond Caron, einen verurteilten Franzosen, einsetzte und vermutlich für dessen Freilassung verantwortlich war. Caron war an der Festnahme und Mißhandlung von Mölders beteiligt, als dieser über Frankreich abgeschossen worden war und sich mit dem Fallschirm gerettet hatte. Der Franzose und Mölders standen sich erst als Feinde gegenüber und hätten sich später als Mitmenschen entdeckt, schildert Hagena. Allein die Schilderung der letztlich erfolgreichen Suche von Deutschen und Franzosen nach den Fakten über Caron und Mölders ist ein menschlich rührendes Kapitel über Hilfsbereitschaft, Respekt und spontan entstehende Freundschaft über die alten Gräben hinweg, während im MGFA der Haß die Feder führte und in der deutschen Politik faktenfreie Debatten geführt wurden und werden.  

Ein besonderes, bisher weitgehend unerschlossenes Kapitel ist der Einsatz für seinen Schulfreund jüdischer Herkunft, Georg Küch in Brandenburg, dem der pharmazeutische Studienabschluß verwehrt wurde. Mölders setzte sich für ihn ein, auch andere taten dies. Der Leser wird Zeuge, wie von Brandenburger Bürgern Zivilcourage in schwerster Zeit geübt wurde und wie Nachbarn, örtliche Amtsträger und Mölders die jüdische Apothekerfamilie zu schützen versuchten, solange es ging. Das war –anders als bei vielen, die heute davon reden – echte Zivilcourage, die einen schnell ins Gefängnis bringen konnte. 

Mölders Interesse an Galens NS-kritischen Predigten 

Mölders wurde oft als „Handwerker des Krieges“ und „Auftragskiller“ gescholten. So einer würde nie Kontakt zum Bischof von Galen in Münster aufgenommen haben, der Gallionsfigur des katholischen Widerstands im Dritten Reich. Wie von Galens Mitarbeiter, der Kaplan Portmann, in seinem bereits kurz nach dem Krieg erschienenen Tagebuch berichtete, ließ sich Mölders die unter anderem gegen das Euthanasie-Programm der Nationalsozialisten gerichteten Predigten des Bischofs in schriftlicher Form beschaffen, um sie zu lesen und vermutlich auch weiterzugeben. Das Militärgeschichtliche Forschungsamt sah sich nicht in der Lage, diesen entscheidenden Sachverhalt aufzuklären, sondern tat die Kontakte zum Bischof als weitgehend bedeutungslos ab.  

Wo andere den Völkischen Beobachter oder Alfred Rosenbergs „Mythus des 20. Jahrhunderts“ lasen, studierte Mölders die Predigten des Bischofs und späteren Kardinals, den man den „Löwen von Münster“ nannte. Für den Besitz solcher Schriften drohten dem Offizier Gestapo-Verhöre und sogar Gefängnis. Es ist das sehr große Verdienst von Hagena, Mölders von dem Dreck, der auf den sich nicht mehr wehren könnenden Piloten von Politikern der Linken, Grünen, Sozialdemokraten und vielen Medien geworfen wurde, befreit zu haben. Der Pilot und der Kardinal hatten und haben eine Vorbildfunktion. Beide haben es mehr als verdient, vor dem Vergessen bewahrt zu werden. 

Hermann Hagena: Jagdflieger Werner Mölders. Rote Linie zwischen Wehrmacht und Bundeswehr? Helios Verlag, Aachen 2019, gebunden, 281 Seiten, Abbildungen, 22 Euro