© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/19 / 28. Juni 2019

Für das Klima vor Gericht
Weltweit klagen Unternehmen, Private und Staaten im Namen des Wetters
Christoph Keller

In „Infinity War“, der jüngsten Fortsetzung der Science-fiction-Reihe „Avenger“, versucht „Thanos“, der Feind der titelgebenden Haupthelden,  die Hälfte der Bevölkerung des Universums um des Umweltschutzes willen zu vernichten. Was ihm auch gelingt. So sieht man ihn am Ende des Films auf der Veranda einer Lodge sitzen, wo er mit Behagen den Sonnenuntergang über einer intakten Regenwaldlandschaft betrachtet.

Wie üblich hat auch diese Produktion der Traum- beziehungsweise Alptraum-Fabrik Hollywood mit der Realität nur entfernt zu tun. Denn für den Staatsrechtslehrer Bernhard W. Wegener aus Erlangen bei Nürnberg, der auf diese Schlußsequenz verweist, macht sie durch maßlose Übertreibung auf eine Diskussion aufmerksam, die nicht im Science-fiction-Format stattfindet (Zeitschrift für Umweltrecht, 1/2019). Schon 2010 fragte Bernhard Pötter „Ausweg Ökodiktatur?“ und nahm im Untertitel die Antworten seines Buches vorweg: „Wie unsere Demokratie an der Umweltkrise scheitert“.

Als Vorboten einer solchen Entwicklung, die die Gewaltenteilung der repräsentativen Demokratie aushebeln könnte, sieht Wegener die seit kurzem zur Modeerscheinung gewordenen „Klimaklagen“. Mittlerweile sind weltweit Hunderte solcher Klagen „für mehr Klimaschutz“ anhängig. Sei es von Privaten gegen Private, sei es von Privaten gegen Hoheitsträger oder umgekehrt, Hoheitsträger gegen Konzerne wegen Klimaschäden, so etwa der Staat New York gegen Chevron und Shell.

„Nur lokale Verantwortung“ ist kein Gegenargument

Welche Sprengkraft den Verfahren innewohnt, zeigt Wegener anhand des Berufungsurteils, das der Bezirksgerichtshof Den Haag im Oktober 2018 fällte. Es bestätigte eine vorinstanzliche Entscheidung zugunsten der niederländischen grünen Nichtregierungsorganisation Urgent Agenda, kurz Urgenda. Die lange vor Greta Thunberg im Panikmodus agierenden Kämpfer für den Klimaschutz bekamen recht mit ihrer Forderung, die Regierung der Niederlande auf eine wenigstens 25prozentige Verringerung der Treibhausgasemissionen bis 2020 zu verpflichten. 

Das Gericht stützt sich zur Begründung einer staatlichen Klimaschutzpflicht in erster Linie auf Artikel 2 (Recht auf Leben) und 8 (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Für Wegener ist das ein Einstieg in die „Weltrettung per Gerichtsbeschluß“.

Wie weit die Haager Richter bereit waren, den apokalyptischen Prognosen klagender Klimaaktivisten entgegenzukommen, beweise die Argumentation, mit der sie die Gegenargumente der Regierung abschmetterten. Zunächst werde der menschengemachte Klimawandel als naturwissenschaftliches Faktum angenommen. Die von der beklagten Regierung bezüglich der konkreten Bedrohung von Leben oder Privatsphäre reklamierten Kausalitätszweifel gelten damit als unwissenschaftlich. Daß eine unmittelbare Schadenkausalität evident nicht bestehe, sei, so die Argumentation, irrelevant. Es genügte dem Gericht der angeblich erbrachte Nachweis eines „realen Risikos der Gefahrverwirklichung“. Würde man hingegen auf das Kausalitätsargument der Regierung eingehen, so die absurde Logik der Richter, gebe es für globale Probleme von der Komplexität des Klimawandels gar keine Rechts­schutzmöglichkeit. Einfacher formuliert lautet dann die Faustformel: wenn sich behauptete Kausalitäten aufgrund der Komplexität eines Phänomens nicht erkennen lassen, dann müssen sie unterstellt werden.

Auch ein bei deutschen Kritikern beliebtes Argument der Regierung imponierte dem Gericht nicht: die begrenzte nationale Verantwortlichkeit für den Klimawandel. Werde doch die beschleunigte Reduktion allein in den Niederlanden das Klima nicht substantiell verbessern. Das sei zwar richtig, räumten die Richter ein, aber rechtfertige keine Begrenzung staatlichen Engagements. Denn bei einer Pro-Kopf-Rechnung ergebe sich, daß das kleine Land eine der weltweit höchsten Treibhausgasemissionen verantworte. Der Hinweis der Beklagten, noch ehrgeizigere Reduktionsziele beeinträchtigen die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft, greife ebenfalls nicht, da es an einer rechtlichen Bestimmung fehle, die die Regierung im Kompromiß mit dem Klimaschutz auf die Erhaltung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der Niederlande verpflichte.

Judikative ist für die Weltrettung ungeeignet

Mit Blick auf eine 2018 erstmals auch gegen die Europäische Union gerichtete Klimaklage (Carvalho et alii versus EU)  sowie auf mehrere im Stil von Musterprozessen geführte Verfahren, wie dem zu der seit Oktober 2018 beim Verwaltungsgericht Berlin anhängigen, von Greenpeace und Ökobauern eingereichten Klimaklage gegen die Bundesregierung, glaubt Wegener im Haager Urteil eine Tendenz der Judikative ablesen zu können, sich, angetrieben von demokratisch nicht legitimierten Umweltschutzorganisationen, in der Klimapolitik an die Stelle der gewählten Legislative und Exekutive zu setzen. Was für den Staatsrechtler natürlich keine Perspektive, für die von der „schwerfälligen“, nicht hinreichend in Panik geratenen demokratischen Systeme in Europa und Amerika enttäuschten Ökoaktivisten jedoch eine Hoffnung ist. 

Die sich, so hofft Wegener, nie erfüllen sollte. Denn die mit Klimaklagen angepeilte Weltrettung sei „juristisch schwer begründbar, im Ergebnis illusorisch und wenigstens potentiell gefährlich“ – für die Demokratie nämlich. Juristisch bestehe kein Grund, die bezüglich der positiven staatlichen Schutzpflichten eher restriktive Rechtssprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nach Haager Manier zugunsten von Klimaklägern menschenrechtlich auszuweiten. Überdies erscheine die Erwartung, demokratisch schwach legitimierte, personell und institutionell völlig unzureichend ausgestattete Gerichte könnten die „Menschheitsaufgabe“ eines ökologischen Umbaus der Industriegesellschaft anleiten und steuern, geradezu „naiv“. Und schließlich gebe es ein erhebliches „systemisches Risiko“ für demokratische Verfassungsordnungen, wenn Gerichte den anderen beiden Gewalten im Staat grundrechtsschutzrelevantes Versagen attestieren.

In der Konsequenz delegitimierten solche Urteile staatliches Handeln als menschenrechtswidrig. Die Judikative usurpiert damit die exklusive Verantwortung für die Klimapolitik. Und „am Ende dieser Entwicklung stünden die Institutionen des demokratischen Verfassungsstaats sämtlich beschädigt da“. 

Zwei Juristen – drei Meinungen. Wegeners Philippika konnte daher nicht unwidersprochen bleiben. Kollegen von den Universitäten Bremen, Regensburg und Bochum replizierten inzwischen in der Zeitschrift für Umweltrecht (5/2019). Tenor: Die Klimaklagen seien weder „Fesseln der Demokratie“ noch Vorspiele zur Ökodiktatur, sondern „ein vielversprechender Weg“ einer politischen Auseinandersetzung, die in den Gerichtssaal gehöre.