Der Bus rollt an der Haltestelle vorbei. Plötzlich schreit es von hinten. „Halt. Ich will aussteigen.“ Der Fahrer drosselt kurz die Geschwindigkeit, kommt fünf Meter nach der Haltestelle fast zum Stehen. Er ruft: „Haben Sie zu spät den Halteknopf gedrückt.“ Dann fährt er weiter. Eine rundliche Frau, ich vermute aus Südosteuropa, ruft: „Ich haben gedrückt. Ich will aussteigen.“ Stoisch ruft der Busfahrer nach hinten: „Haben Sie zu spät gedrückt. Jetzt geht nicht mehr.“ 

Der Dicken ist das Entsetzen ins Gesicht geschrieben. Sie schnauft: „O Mamma mia.“ Es muß für sie ein katastrophaler Schicksalsschlag sein. Nun muß sie 500 Meter zu Fuß zurücklaufen. Eigentlich, so denke ich, könnte ihr das sogar guttun. Doch ich will nicht ungerecht sein. Vielleicht verpaßt sie nun einen wichtigen Geschäftstermin oder kommt zu spät zum Vorstellungsgespräch. Die neue Stelle ist futsch, freier Fall im sozialen Abstieg. „O Mamma mia. Haben ich gedrückt“, sagt sie immer wieder.

Vielleicht wäre die Frau beim Aussteigen gestürzt und hätte Entschädigung gefordert.

Natürlich ist auch sie ein Opfer des deutschen Regulierungswahns. Der Busfahrer hätte einfach fünf Meter nach der Haltestelle die Türen öffnen und die Fahrgäste dort aussteigen lassen können. Ich erinnere mich im Vergleich an die Busfahrt in Rumänien, bei der ich bei offener Tür unangeschnallt auf einem Holzschemel neben dem redseligen Fahrer saß. 

Eigentlich aber ist die dicke Frau ein Opfer Amerikas. Von dort kommt die Angst vor mangelndem Versicherungsschutz und Regreßansprüchen. Das Risiko ist enorm. Wer weiß, vielleicht wäre sie beim Aussteigen gestolpert, hätte sich eine Prellung am Oberschenkel geholt? Vielleicht hätte sie einen listigen Advokaten gefunden, der eine hohe Entschädigung verlangt hätte? 

Der vorschriftswidrig freundliche Busfahrer hätte seinen Job verloren und wäre privatinsolvent sozial ganz unten aufgeprallt. „O Mamma mia“, würde er dann jammern. Wegen fünf Metern.