© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/19 / 05. Juli 2019

Das Ziel heißt Ächtung
Nach Lübcke-Mord: Die Vorwürfe gegen die AfD sind leicht durchschaubar
Karlheinz Weissmann

Da war vom „geistigen Sumpf“ die Rede, der trockengelegt werden müsse, und von „Trainingscamps der Terroristen“, in denen man junge Akademiker auf das nächste Attentat vorbereite, man sorgte sich über den „Wortradikalismus der Systemveränderer, der hier und da in Gewalt umschlägt, … den Abbau bisher für sicher gehaltener Wertvorstellungen und Institutionen“. Es ging gegen die Schreibtischtäter und geistigen Brandstifter. Die sollten die ganze Härte des Staates zu spüren bekommen. Im Zweifel sei Artikel 18 des Grundgesetzes anzuwenden, der die Aufhebung von Meinungs-, Lehr- und Versammlungsfreiheit erlaube, falls die zum „Kampfe gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung“ genutzt würden. Doch da erhob Jürgen Habermas Einspruch, erklärte, daß es sich bei dem betreffenden Artikel um nichts anderes als die Basis für „Gesinnungsstrafrecht“ handele.

Das war 1977, und der Auslöser der skizzierten Debatte eine Blutspur, die die RAF durch die Bundesrepublik gezogen hatte. Das Umfeld der Sympathisanten ließ sich schwer abschätzen, hatte aber einen erheblichen Umfang. Einer Befragung zufolge waren damals 15 Prozent der Bevölkerung bereit, einen der Täter vor der Polizei zu verstecken. Außerdem spielte das intellektuelle Milieu eine wichtige Rolle, in dem die den Ton angaben, die vielleicht keine aktive Unterstützung leisteten, aber doch Verständnis äußerten, wenn nicht für die Methoden, dann für die Ziele der Terroristen. Das hat Habermas nie getan. Aber seine zitierte Feststellung war doch aus jener Lagersolidarität zu erklären, die von der Existenz einer Gesamtlinken ausging, der er sich zugehörig fühlte.

Die heutige Situation ist eine ganz andere, wenn es darum geht, ob Artikel 18 gegen die politische Rechte angewendet werden sollte. Von Peter Tauber (CDU) über Sigmar Gabriel (SPD) bis zu Katrin Göring-Eckardt (Grüne) und Martina Renner (Die Linke) ist man sich einig, daß es an der Zeit sei, härtere Maßnahmen gegen jene zu ergreifen, die man für die Ermordung Walter Lübckes verantwortlich macht. Bei der Schuldzuweisung gibt es kein Zögern: die AfD selbstverständlich, die Neue Rechte in toto, aber auch ein Verlag wie Antaios oder eine Zeitschrift wie die Sezession werden genannt. 

Selbst in der besonnenen Neuen Zürcher Zeitung steht, die Genannten hätten durch unbedachtes Reden „bei kleinen Gruppen oder Einzeltätern den Eindruck verstärkt, im Recht zu sein. Wenn ein ohnehin schon radikalisierter Kopf am laufenden Band hört und liest, daß das eigene Land ein Unrechtsstaat sei und die Repräsentanten diktatorische Darsteller, dann kann er durchaus auf den Gedanken kommen, daß seine Pläne zum Widerstand, in welcher Form auch immer, berechtigt sein könnten“ (Marc Felix Serrao). Damit ist der Fall geklärt. Der Feind der Republik steht selbstverständlich rechts, hat nicht nur ein riesiges Netzwerk aufgebaut, sondern auch seine Verbindungen bis in die stets verdächtige Mitte der Gesellschaft vorgetrieben. Weshalb man sich bei der Abwehr nicht mit dem üblichen Kesseltreiben aufhält, sondern gleich Hausdurchsuchungen auf mitteldeutschen Rittergütern, Verbot der Identitären, Stärkung des Verfassungsschutzes und Aberkennung der Grundrechte fordert.

Das alles ist zum Teil Theaterdonner oder Rachebedürfnis. Man kann auch den Wunsch der Altparteien ins Feld führen, von der Bedrohung durch den eingeschleppten Terrorismus abzulenken oder eine unliebsame Konkurrenz zu erledigen. Und selbstverständlich ist auf der Linken die Begeisterung für jede Art von Antifaschismus im Spiel; zumal der erlaubt, gleich noch Union und SPD und selbst die Grünen in Mithaftung zu nehmen, weil die angeblich dem „Kaufkitzel“ (Ulrike Baureithel im Freitag) fremdenfeindlicher Vorschläge erliegen. Aber die Intelligenteren unter den neuen Demagogenverfolgern wissen sehr genau, daß eine Beatrix von Storch, eine Erika Steinbach, ein Max Otte, ein Björn Höcke, ein Götz Kubitschek oder ein Martin Sellner weder zu politischem Mord aufgerufen haben noch auch nur durchblicken ließen, daß sie den Tod Walter Lübckes begrüßten. Deshalb hantiert man mit so schwammigen Begriffen wie „Klima“ oder „Atmosphäre“, die von den Genannten angeblich erzeugt wurden, um den Vorwurf zu begründen, der sonst auf allzu schwachen Füßen steht.

Das strategische Ziel dieses Vorgehens ist klar: Ächtung jeder Opposition gegen die Agenda der Regenbogenkoalition. Angesichts der deutschen Schreckhaftigkeit in politicis kann das durchaus erfolgreich sein. Vergessen die zaghaften Versuche des Altbundespräsidenten Joachim Gauck, mit den Konservativen eine Debatte zu führen, erledigt die ersten Gedankenspiele im Hinblick auf blau-schwarze Koalitionen. Bleibt nur abzuwarten, ob die Warnung eines aufrechten Liberalen – Wolfgang Kubicki – vor „(Mit-)Schuldzuweisungen“ Wirkung zeigt, die nicht nur „kontraproduktiv, sondern auch (…) hochgradig gefährlich“ sind. 

Denn allzu groß scheint die Versuchung, die Reihen zu schließen, das Auftreten einer Braunen Armee Fraktion zu phantasieren und hurtig an die Ermordung Erzbergers oder Rathenaus als Menetekel zu erinnern. Plötzlich sehen die, die immer die Gefahr der „Spaltung“ beschwören und vor der Aufkündigung des „Konsens“ warnen, kein Problem darin, eine Polarisierung voranzutreiben, die in letzter Konsequenz auf das hinausläuft, was Habermas weiland als Denken in den Kategorien des „Bürgerkrieges“ charakterisiert hat.