© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/19 / 05. Juli 2019

Falsches Signal
Wochenende mit Ungemach: Während der Klausurtagung der Bundestagsfraktion wählt Schleswig-Holsteins AfD eine Landesvorsitzende mit Parteiausschlußverfahren
Christian Vollradt

Schlechte Nachrichten werden AfD-Partei- und Fraktionschef Alexander Gauland in der Regel überbracht, indem ihm einer seiner Mitarbeiter ein Smartphone mit der entsprechenden Mitteilung zur Ansicht reicht. Seinen Unmut äußert der Parteisenior häufig dann mit Augenrollen und einem Seufzer. So soll es sich auch am vergangenen Samstag zugetragen haben, als die Kunde aus Schleswig-Holstein eintraf. 

Die AfD-Mitglieder hatten auf dem Landesparteitag in Henstedt-Ulzburg Doris Sayn-Wittgenstein erneut zur Landesvorsitzenden gewählt. Und das, obwohl gegen sie vor dem Bundesschiedsgericht ein Parteiausschlußverfahren läuft, unter anderem weil sie Fördermitglied des als rechtsextremistisch eingestuften „Vereins Gedächtnisstätte“ gewesen sein soll, der auf der Unvereinbarkeitsliste der AfD steht. Bis zuletzt hatte die 64jährige Landtagsabgeordnete, die vergangenes Jahr aus der Kieler Fraktion ausgeschlossen worden war, nach außen offengelassen, ob sie antritt oder nicht. Hinter den Kulissen jedoch hatte sie die Werbetrommel in eigener Sache gerührt und offensichtlich mehr Unterstützer mobilisiert als ihr Konkurrent aus dem gemäßigten Lager. So setzte sich „DSW“ in einer Kampfabstimmung mit 137 von 244 abgegebenen Stimmen durch (56 Prozent). Ihr Gegenkandidat Christian Waldheim (JF 19/19) kam auf hundert Stimmen. Beobachtern zufolge war die Zerrissenheit der Nord-AfD mit Händen zu greifen. Mehrere Mitglieder verließen den Parteitag unmittelbar nach der Wahl, mit Austritten wird gerechnet. Es war kein Geheimnis, daß man seitens der Parteispitze im Bund auf eine Wahl Waldheims gesetzt hatte. Doch der „gärige Haufen“ (Gauland) hatte sein Trotz-Potential erneut unter Beweis gestellt. Nach dem Motto: jetzt erst recht. 

Für Gauland und zahlreiche andere führende AfD-Politiker, die die Nachricht aus Henstedt-Ulzburg „mit Entsetzen“ registrierten, war es nicht die einzige Hiobsbotschaft. Denn eigentlich wollten die etwa 70 Bundestagsabgeordnete um diese Zeit längst schon in einem Hotel im polnischen Stettin tagen. Doch die Reisebusse, die sich nach Ende der letzten Plenarwoche am Freitag nachmittag aus Berlin Richtung Ostsee zur Fraktionsklausur aufmachen sollten, blieben leer. Als gegen Mittag eine Vorhut von Fraktionsmitarbeitern beim Hotel in Stettin eingetroffen war, wurde ihnen zunächst mitgeteilt, die Zimmer seien noch nicht bezugsfertig; dann war die Rede von einem Stromausfall. Doch nach Informationen der JUNGEN FREIHEIT gab es zu diesem Zeitpunkt bereits einen Hinweis darauf, daß dies nur vorgeschobene Gründe waren. So sollen polnische Sicherheitsbehörden ihren Kollegen vom Bundeskriminalamt den Wink gegeben haben, daß die Klausur in Stettin aller Wahrscheinlichkeit nicht stattfinden könne.  

„Wollen keine Schlammschlachten“

Die polnischen und deutschen Stellen hatten im Vorfeld der geplanten Veranstaltung Absprachen über mögliche Sicherheitsmaßnahmen getroffen. Denn Mitglieder der AfD-Fraktion wie beispielsweise die Fraktionschefs Alice Weidel und Alexander Gauland werden stets von bewaffneten Personenschützern der Polizei begleitet. Die polnische Seite habe sich in diesem Zusammenhang sehr kooperativ gezeigt, die Einreise der Leibwächter wäre problemlos möglich gewesen. Zudem habe man eigene Polizeistreifen zum Schutz der Gäste in Aussicht gestellt. „Die Zusammenarbeit im Vorfeld war absolut professionell und freundlich“, so ein Fraktionsmitglied. Daß deutsche Parlamentarier in Polen tagen wollten, sei dort nicht als problematisch erachtet worden. Deswegen sei auch die nach der Absage in einzelnen Medien kolportierte Behauptung, die AfD habe sich anonym im Hotel in Stettin einmieten wollen, absurd. „Unser Vertrag war wasserdicht“, betonte Organisator und Fraktionsvize Peter Felser. 

Gegen die kurzfristige Absage werde man daher auch juristisch vorgehen, kündigte Fraktionssprecher Christian Lüth an. Der Schaden betrage rund 70.000 Euro. Den eher ungewöhnlichen – und auch intern zunächst vereinzeltes Stirnrunzeln verursachenden – Tagungsort in der alten pommerschen Hansestadt hatten die Organisatoren gewählt, nachdem die AfD im Inland immer wieder Probleme bei der Anmietung von Räumlichkeiten bekommen hatte. Urspünglich hatte die Fraktionsklausur bereits Anfang März in Brandenburg stattfinden sollen. Doch auch dort hatte der Hotelbesitzer die Buchung storniert, nachdem offenbar Proteste angekündigt worden waren.

Wegen solcher Erfahrungen hatte Felsers Team von Anfang an einen Plan B in der Hinterhand. Die Klausur fand ab Freitag im Bundestag statt. „Die Klausur ein zweites Mal zu verschieben, kam nicht in Frage“, betonte der Abgeordnete aus Bayern. Aus welcher Richtung der Druck kam, der das Stettiner Hotel offensichtlich zur Stornierung veranlaßt hatte, ist unklar. Gab es Drohungen von linksextremen Gruppen aus Deutschland, nachdem der Tagungsort in den Medien genannt worden war? Andere Spekulationen deuten in Richtung polnischer Parteien. „Ich bin nicht damit einverstanden, daß irgendeine Partei, und besonders eine solche, ihr Treffen in Stettin abhält“, zitiert die örtliche Presse Jaroslaw Rzepa, Vize-Woiwodschaftsmarschall der Woiwodschaft Westpommern. Er wolle nicht, „daß irgendwann in der Geschichte Stettin als der Ort erscheint, von dem der Marsch an die Macht aus begann“, so das Mitglied der Polnischen Bauernpartei. Der Sejmabgeordnete der nationalkonservativen PiS, Artur Szalabawka, sagte dagegen dem Stettiner Portal wszczecinie.pl: „Ich habe gehört, daß es im demokratischen Deutschland ein Problem gibt, denn die Partei kann kein Hotel mieten. Eine seltsame Demokratie ist das in Deutschland, daß sie in eine Stadt jenseits der Grenze flüchten müssen.“

Auf der Tagesordnung der Klausur im Reichstag, so berichtete Felser am Montag vor Journalisten, stand dann unter anderem eine Debatte über die eigene politische Standortbestimmung. Einig war man sich, daß die Grünen politischer Gegner Nummer eins seien. Im Umkehrschluß bedeute das: Umwelt- und Naturschutz „als originär konservative Anliegen“ werde für die AfD größere Bedeutung haben. Zudem sei Freiheit der wichtigste Grundwert der Partei. Daneben ging es um Fragen der Kampagnenfähigkeit, die Bedeutung von Gegenöffentlichkeit und die „Straffung“ der Fraktionsarbeit. Angriffe der anderen wolle man „mit guter Arbeit abperlen“ lassen, man setze nicht auf „Schlammschlachten“, betonte Felser. 

„Als Partei nicht lächerlich machen“

Die Ereignisse in Schleswig-Hostein habe man bewußt aus der Klausur ferngehalten. Doch spätestens Montag stand es auf der Agenda im AfD-Bundesvorstand. Dort wertete man die Wahl von Sayn-Wittgenstein als „falsches politisches Signal“. Das Gremium werde an dem vor dem Bundesschiedsgericht laufenden Parteiausschlußverfahren festhalten, hieß es in einer knappen Mitteilung. Der stellvertretende AfD-Vorsitzende Kay Gottschalk hatte für das lange Schweigen zuvor kein Verständnis: „Ich respektiere selbstverständlich demokratische Wahlen, halte aber die Wahl von Sayn-Wittgenstein für schlicht falsch und gefährlich“, kritisierte er noch vor dem gemeinsamen Votum. „Die schweigende Mehrheit will eine klare Kante“, meinte er im Gespräch mit der jungen freiheit. Die AfD müsse aufpassen, daß „wir uns im Umgang mit solchen Leuten nicht lächerlich machen“, so Gottschalk.

Die Gelegenheit, ein anderes Signal zu setzen, hat am Freitag der Landesvorstand der AfD Mecklenburg-Vorpommern. Der schon länger schwelende Konflikt zwischen den beiden Sprechern Leif-Erik Holm und Dennis Augustin hatte sich zugespitzt, nachdem der Nordkurier pikante Details aus der politischen Vergangenheit Augustins präsentierte. Er hatte 1989 ein Ausbildungslager der NPD in Italien besucht und war als Lehrgangsbester vom späteren NPD-Chef Udo Voigt mit einer Urkunde ausgezeichnet geworden. Fotos davon waren im Parteiorgan Deutsche Stimme erschienen. 

Nun kommt es darauf an, ob es weitere Indizien für eine Mitgliedschaft Augsustins, der damals in Schleswig-Holstein lebte, in der NPD oder deren Jugendorganisation gibt. Wenn ja, hätte er falsche Angaben beim Eintritt in die AfD gemacht – seine Mitgliedschaft wäre dann möglicherweise nichtig. Der Bundesvorstand hatte bereits am Montag – bei nur einer Gegenstimme – dafür votiert, sich einem möglichen Ordnungsverfahren des Landesverbands Mecklenburg-Vorpommern gegen Augustin anzuschließen. Bundessprecher Gauland forderte bereits: „Hier muß ein Parteiausschlußverfahren eingeleitet werden.“

Und zu allem Überfluß steht in einem der wichtigsten Landesverbände, Nordrhein-Westfalen, an diesem Wochenende auch ein Parteitag mit hohem Konfliktpotential an. Weil die Spannungen zwischen den beiden Vorsitzenden Helmut Seifen und Thomas Röckemann zu einer völligen Blockade der Vorstandsarbeit geführt haben, hatten sich vier von fünf Bezirksverbänden für eine vorgezogene Neuwahl ausgesprochen. Eine Mehrheit des derzeitigen Vorstands zeigte sich bereit, zurückzutreten, wenn dies alle täten. Weil jedoch Röckemann und Vize Christian Blex – beide Protagonisten des rechtskonservativen „Flügels“, der zeitgleich am Wochenende sein Kyffhäuser-Treffen abhält – dies nicht tun wollten, wäre ihre Abwahl notwendig. Ob eine notwendeg Zweidrittel-Mehrheit dafür zustande kommt, ist noch ungewiß. 

Verschärft wird das Ganze durch neue Mißstimmungen in der nordrhein-westfälischen Landesgruppe im Bundestag. Hintergrund ist eine geschmacklose Twitter-Nachricht des Abgeordneten Udo Hemmelgarn, Vorsitzender des Bezirksverbands Detmold, zum Eurofighter-Absturz, die für harsche Kritik aus den eigenen Reihen der Landesgruppe gesorgt hatte. Insbesondere der verteidigungspolitische Sprecher Rüdiger Lucassen hatte Hemmelgarns Verhalten heftig kritisiert. Der wiederum könnte, so mutmaßen manche Beobachter, aus Verärgerung die Unterstützung eines Neuanfangs im mitgliederstärksten Landesverband durch seinen Bezirk verweigern. Denn vom früheren Bundeswehr-Obersten und profilierten Verteidigungspolitiker Lucassen erhoffen sich nicht wenige nordrhein-westfälische Mitglieder eine Schlüsselrolle bei der Befriedung der Lager. 

Auf die Reaktion von Bundessprecher Gauland darf man gespannt sein, wenn ihm am Wochenende ein Mitarbeiter das Handy reicht.