© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/19 / 05. Juli 2019

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
„Tiefpunkt der Umgangsformen“
Christian Vollradt

Kurz vor der Sommerpause war das noch ein „heißer“ Termin. Buchstäblich. Donnerstag vergangener Woche, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal 2600. Fast bis auf den letzten Platz ist die Besuchertribüne gefüllt. Beinfreiheit wie Sauerstoff sind hier Mangelware. Ein Preis, den offenbar viele fürs Dabeisein zu zahlen bereit waren. Denn weiter unten sitzen im Halbrund die Mitglieder des Verteidigungsausschusses, der sich zum Untersuchungsausschuß gemacht hat. Er soll aufklären, ob es im Verteidigungsministerium Vetternwirtschaft gab. Der Bundesrechnungshof hatte die Vergabepraxis an externe Beratungsunternehmen moniert (JF 4/19). In dieser letzten Sitzung vor den großen Parlamentsferien haben die Abgeordneten zwei Schlüsselfiguren der Affäre als Zeugen geladen: den seinerzeit für die IT-Strategieberatung der Bundeswehr verantwortlichen Manager der Beraterfirma Accenture, Timo Noetzel, und General Erhard Bühler, in der fraglichen Zeit Abteilungsleiter Planung im Verteidigungsministerium. 

Ihnen wollten die Abgeordneten hinsichtlich der „Kennverhältnisse“ auf den Zahn fühlen. Im Raum steht seit langem der Verdacht, Accenture sei beauftragt worden, weil sich die damalige Rüstungs-Staatssekretärin Katrin Suder und Noetzel aus ihrer vorherigen Tätigkeit bei der Wirtschaftsberatung McKinsey kannten; Bühler wiederum kannte Noetzel aus einem Auslandseinsatz im Kosovo. Die Verteidigungslinie der beiden Zeugen war frappierend: Ja, Accenture sollte unbedingt beauftragt werden; und ja, man kannte sich. Noetzel nannte Bühler seinen „Mentor“, mit Suder verbinde ihn eine Freundschaft. Dennoch sei das eine nicht Folge des anderen gewesen: „Die Auftragsvergabe an Accenture hat nichts mit persönlichen Beziehungen zu tun“, sondern mit der Expertise des Unternehmens, sagte der Berater, der sich einst firmenintern brüstete, die Bundeswehr als „diamond client“ mit Millionenumatz gewonnen zu haben. General Bühler, der 2016 Taufpate der fünf Kinder Noetzels wurde, nannte es „Verleumdung“ und „üble Nachrede“, diesen Umstand mit dem Auftrag an Accenture in Verbindung zu bringen. 

Die Befragung warf zudem ein Schlaglicht auf die Art und Weise, mit der ein externer Berater wie Noetzel im Ministerium agierte. So wurde beispielsweise eine E-Mail verlesen, in der sich der Büroleiter des General Bühler seinem Ärger über das Gebaren Noetzels Luft gemacht hatte. Oberst Lutz Krake warf dem Accenture-Mann einen „Tiefpunkt der Umgangsformen“ vor. Solch „ein Maß an Unverschämtheit und Respektlosigkeit“, schrieb der Militär an Noetzel, habe er „in 42 Dienstjahren noch nicht erlebt“. Aufschlußreich die naßforsche Antwort des Kritisierten: „Lieber Herr Krake, ganz ehrlich: Finden Sie Ihre Kommunikation in meine Richtung stilvoll und angemessen? Ich nicht.“ Um sich sodann an dessen Vorgesetzten, den General und Duz-Freund Bühler, den er ins „cc“ gesetzt hatte, zu wenden: „Erhard, besprich Du doch bitte mit Deinem Büro, daß es Deinen Wunsch umsetzen möge, …“

Fortsetzung nach der Sommerpause. Dann mögen die Temperaturen gefallen sein. Die Berater-Affäre bleibt heiß.