© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/19 / 05. Juli 2019

ESG-Zertifikate sind grüne Ablaßbriefe
Diffus, dubios und divers
Thomas Kirchner

Kaum ein Verantwortlicher will sich dem Vorwurf aussetzen, durch seine Investitionen möglicherweise die Umwelt zu zerstören oder skrupellose Manager zu unterstützen. Dieses Bewußtsein mündet in einen  Trend, Anlageentscheidungen von Umweltaspekten, Produktionsbedingungen und anlegerfreundlichem Management abhängig zu machen, den sogenannten ESG-Kriterien.

Eine ganze Subkultur von Beratern, die Börsenindizes nach ESG-Grundsätzen erstellt, hofft DAX, Dow Jones und Co. zu beerben. Da es nur wenige Firmen gibt, die den hohen Anforderungen der Umweltlobby entsprechen, müssen Anbieter Kompromisse machen, um relevant zu bleiben. So wird der US-Ölkonzern Exxon von Umweltaktivisten wegen seiner Bohrungen in unberührter Natur attackiert; den ESG-Gutmenschen hingegen gilt er als umweltfreundlich, weil er hundert Millionen Dollar in die Solarforschung steckte. Das ist moderner Ablaßhandel.

Die Subjektivität der ESG-Kriterien kreidete kürzlich Hester Peirce, Kommissarin der US-Wertpapieraufsicht SEC, an. Peirce warnt vor diffusen Gefühlen und moralischen Argumenten, die ESG-Investitionen rechtfertigen sollen. Anlegerfreundliches Management lasse sich noch am ehesten objektiv messen, bei den Sozial- und Umweltaspekten werde es schnell sehr subjektiv.

Es ist nicht nur unklar, was genau gemessen werden soll, sondern auch wie es zu zählen ist. Klar ist aber: Am Ende soll eine einzige Zahl Auskunft über den ganzen Themenkomplex geben. Erst leidet darunter „nur“ der Anleger. Peirce weist aber auf die weitergehenden Konsequenzen dieser dubiosen Anlagemode hin: je weiter sie sich verbreitet, desto stärker bestimmt sie die Kapitalkosten von Unternehmen.

Kurzfristig kommen auch die Kosten der Bewertungen hinzu: So bemängelte die Finanzchefin der Versicherung Travelers gegenüber der SEC, im vergangenen Jahr 55 Fragebögen von ESG-Bewertungsfirmen erhalten zu haben, deren Beantwortung 30 Angestellte je 44,8 Arbeitstage lang beschäftigte.

Sie nennt Beispiele schwer nachzuvollziehbarer ESG-Bewertungen. Tesla etwa schneidet schlechter ab als die meisten traditionellen Automobilhersteller, aber nicht wegen der Ökobilanz von Elektroautos, sondern weil die Finanzberichte nicht genug ESG-Informationen liefern. Und selbst wenn detaillierte Informationen zur Verfügung stünden, könne die Bewertungssoftware sie nicht immer richtig interpretieren. So mußte das Goldbergbauunternehmen Barrick Gold nach schlechtem Abschneiden öffentlich darauf hinweisen, daß die im Ratingbericht kritisierte Goldmine dem Konzern längst nicht mehr gehörte. Wenn also Indexanbieter schlampige Arbeit liefern, schadet das der ESG-Mode bisher nicht, und auch Peirces Kritik wird den Trend nicht umkehren.