© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/19 / 05. Juli 2019

Wenn grün, dann bitte richtig
CO2-Bepreisung: Wenn die Abgabe kommt, wie könnte sie marktwirtschaftlich und effizient sein?
Dirk Meyer

Die Klimadiskussion stößt auf drei Lager, die eine ökologisch-ökonomisch angemessene Lösung gefährden: Eine Minderheit, die den Klimawandel trotz vieler Daten bestreitet. Die sehr medienwirksamen Aktivisten, die überstürzt-schnelle Lösungen um jeden Preis fordern. Und die stille Mehrheit, welche zwar für weitergehende Maßnahmen ist, jedoch die Konsequenzen für ihren Geldbeutel nicht überblickt.

Was könnte die Lösung sein? Zuerst stünde eine Rückkehr zu den Kompetenzen an. Naturwissenschaftler zeigen Schadenpotentiale auf und Politiker setzen die empfohlene maximale CO2-Menge in politische Handlungsziele um. Ökonomen sichern das marktwirtschaftliche Instrumentarium zur Durchsetzung dieser Ziele. Schließlich entwickeln Unternehmen entsprechende Umwelttechnologien. Die Umsetzung hat zwei Anforderungen zu beachten: Ökologisch darf die festgelegte Menge an Treibhausgasen nicht überschritten werden (Wirksamkeit); ökonomisch muß dies zu den geringst möglichen Vermeidungskosten geschehen (Kostengünstigkeit).

Seit 2005 gibt es den EU-Emissionshandel. Er deckt circa 45 Prozent aller europäischen CO2-Emissionen ab. Erfaßt werden in Deutschland etwa 1.900 ausstoßintensive Anlagen der Energiewirtschaft, der energieintensiven Industrien (Stahl, Glas, Zement, Chemie) sowie der innereuropäische Luftverkehr. Bislang nicht erfaßt werden die restlichen 55 Prozent, die vornehmlich in den Bereichen Verkehr, Heizung und Landwirtschaft anfallen. Hier kommen  beispielsweise Abgasnormen und Bauvorschriften zum Zuge.

Marktwirtschaft scheint für Umweltressourcen suspekt

Der Mangel an Vernunft im Umweltschutz wird anhand von zwei Beispielen offensichtlich. Pro Tonne CO2 kostet der Erwerb einer „Verschmutzungslizenz“ derzeit 25 Euro. Ein Stahlunternehmen schränkt bei diesem Preis seine CO2-Emissionen ein, bis die Kosten gerade 25 Euro pro Tonne erreichen. Darüber hinaus lohnt ein Lizenzerwerb. Demgegenüber werden zur Einsparung einer Tonne CO2 durch Photovoltaik 415 Euro aufgewendet. Die bis 2030 umzusetzenden EU-Abgasnormen werden nach Angaben der Autoindustrie 400 bis 500 Euro je Tonne hierdurch zusätzlich eingesparter Emissionen kosten. Kurz gesagt: Die augenblickliche Umweltpolitik ist hochgradig unwirtschaftlich – bei gleichen Kosten ließe sich viel mehr erreichen.

Die Ursache liegt im falschen Instrumentarium. Marktwirtschaft und Preise für Umweltressourcen scheinen vielen suspekt. Auflagen und Umweltvorgaben sind jedoch Ausdruck einer falsch verstandenen Staatsgläubigkeit und setzen ministerielles Allwissen über die besten Einsparmöglichkeiten voraus, das nicht vorhanden ist. Hat die Nutzung der Umwelt dagegen einen Preis – die Bodenpacht gibt es seit dem Mittelalter – entstehen Anreize zur Einsparung an der kostengünstigsten Stelle.

Wenn alle gleich viel für Kohlenstoffausstoß zahlen

Zudem können sogenannte Verschmutzer mit niedrigen Vermeidungskosten Zertifikate an Anlagenbetreiber verkaufen, denen Umweltschutz technologiebedingt schwerer fällt. Dezentral vorhandenes Wissen wird durch geld­liche Anreize nutzbar gemacht. Der einheitliche Preis bewirkt, daß die Vermeidungskosten für die letzte eingesparte CO2-Einheit bei allen Nutzern gleich hoch sind – die Bedingung für Effizienz. Darüber hinaus entstehen Anreize zu neuen kostensparenden Umwelttechnologien ohne staatliche Förderung. Der Vorteil gegenüber einer CO2-Steuer: Ein Handel mit festgelegtem Volumen an Emissionsrechten garantiert die Einhaltung des CO2-Zieles.

Gegen eine CO2-Bepreisung wird die Belastung von Haushalten mit geringem Einkommen angeführt, die durch Strom, Heizung und Mobilität anteilig am stärksten betroffen werden. Doch auch der Kohleausstieg, die Elektromobilität (JF 25/19) und Bauvorschriften belasten indirekt durch den Kostenanstieg. Eine Rückzahlung der Lizenz­einnahmen als Kopfpauschale würde einerseits den sozialen Ausgleich bewirken und zugleich die Anreize eines CO2-sparsamen Verhaltens aufrechterhalten: Wer nutzt, der muß zahlen.

Rein planwirtschaftliches Denken beherrscht die Diskussion um den Kohleausstieg und ein Klimaschutzgesetz. Kohlekraftwerke beispielsweise stoßen 250 Millionen Tonnen pro Jahr an CO2 aus. Einsparungen dieser Menge könnten über eine entsprechende Absenkung der Zahl der Emmissionszertifikate bis 2038 realisiert werden. Weniger Zertifikate würden die Kosten pro Stück erhöhen, was alle Akteure zu mehr Einsparungen zwingt. Dann könnte ein effizientes deutsches Kraftwerk gegenüber einer polnischen „Dreckschleuder“ auch nach 2038 bestehen.

Mit der heutigen Regel ermöglicht  aber jede in Deutschland eingesparte Tonne einen Mehrverbrauch in anderen EU-Ländern – die Mengenbeschränkungen sind kontraproduktiv. Das Klimaschutzgesetz (KSG) im Entwurf vom Februar ist ein weiteres Beispiel: Mit festen Einsparvorgaben werden lineare CO2-Minderungspfade bis 2030 für den Energiebereich (62 Prozent), Gebäude (67 Prozent), Landwirtschaft (34 Prozent), Industrie (51 Prozent) und Verkehr (42 Prozent) vorgegeben. Die Verantwortung für deren Realisierung wird den Fachministerien übertragen: „Alternativen: Keine“ steht in Teil III KSG. 






Prof. Dr. Dirk Meyer, Jahrgang 1957, lehrt Volkswirtschaftslehre an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg





Ausgewählte CO2-Steuermodelle

Die weltweit höchste CO2-Steuer hat laut der Weltbank Schweden. Das Heimatland von Greta Thunberg besteuert den Brennstoffverkauf seit 1991 und fordert 1.180 Kronen (111 Euro)  pro Tonne erwartetem Kohlenstoffdioxidausstoß. Großbritannien nimmt am EU-Emmissionshandel teil, verlangt aber seit 2015 einen Mindestpreis von 18 Pfund (20 Euro) pro Tonne CO2, was bei Unterschreiten wie eine nationale Steuer wirkt. Gegenwärtig kosten die Zertifikate 27 Euro. Das Mutterland der Industrialisierung war im Mai erstmals seit 137 Jahren ohne Kohlestrom ausgekommen. Kanada fährt zweigleisig und will dabei die Geldbörse der Bürger schonen. Zum einen besteuert es Brennstoffe mit 20 kanadischen Dollar pro Tonne CO2-Ausstoß (13 Euro), zahlt aber 90 Prozent der Einnahmen an Privathaushalte zurück. Zum anderen nimmt das Land eine Klimagassteuer in gleicher Höhe von Firmen, die über einer für die Branche festgelegten Emissionsgrenze liegen. (mp)

Die Weltbank bietet unter dem Titel „State and Trends of Carbon Pricing 2018“ eine Übersicht: openknowledge.worldbank.org