© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/19 / 05. Juli 2019

Bedrohtes Paradies
Garten- und Siedlerfreunde Blankenburg: Der Berliner Senat setzt die Bewohner unter Druck
Martina Meckelein

Vögel zwitschern. Die Brombeerzweige neigen sich zu Boden, so schwer tragen sie an den Beeren. In dem eigenhändig ausgebauten ehemaligen Ziegenstall wohnen Anneliese Rabsch (73) und ihr Mann Gerald (76). Seine Großtante hatte ihn 1930 gekauft. Im Kellerversteck überlebte sie den Einzug der Russen 1945, die mit einer Maschinenpistole dann wild im Haus rumballerten. „Die Einschußlöcher haben wir übertapeziert“, lacht der Koch heute darüber und zeigt auf die Tapete in der Abstellkammer. Sein Haus am Buschsperlingweg liegt direkt an der Panke. Hier hat er schwimmen gelernt. 

Das Grundstück mit eigenem Brunnen liegt in der Garten- und Siedlerfreunde-Anlage Blankenburg e. V. Sie ist 83 Hektar groß, wurde 1909 gegründet. Die 1.368 Grundstücke sind Heimat für 4.000 Menschen. Nachbarn begrüßen sich vor dem Gartentor, feiern gemeinsam Taufen, setzen den Maibaum, grillen oder helfen mit Werkzeug aus.

 Keine falsche Baumarkt-Werbung. Dieses Paradies ist Wirklichkeit ­– nur sieben Kilometer von Berlin-Mitte entfernt. Doch ihm droht die Zerstörung. Die Begehrlichkeiten einer mit immer neuen Verwaltungsakten und Planungen die Bevölkerung bedrängenden Politik müssen in diesen Zeiten Kleingärtner und Eigenheimbesitzer in ganz Deutschland ertragen. In Berlin hat diese Politik einen Namen: Katrin Lompscher (Linke), die Bausenatorin. Bald könnte dieses Paradies der Vergangenheit angehören.

Kampf gegen Investoren oder den kleinen Mann? 

 „Die Senatsverwaltung kam auf die Idee, nach sogenannten Potentialflächen zur Wohnbebauung zu suchen“, erklärt Ines Landgraf, im Zivilleben ist sie Verwaltungsangestellte, seit acht Jahren Vorstandsvorsitzende des Vereins der Garten- und Siedlerfreunde. „14 Stück haben sie identifiziert, eines davon sind wir.“

Mittelfristig will der Senat hier 10.000 Wohnungen bauen, Platz für 20.000 Menschen. Im blumigen Amtsdeutsch der Senatsverwaltung hört sich das so an: „Der Blankenburger Süden soll als ein Stadtquartier der Vielfalt entwickelt werden.“ Langfristig sollen hier und in den Ortsteilen Karow, Buch und dem brandenburgischen Bernau bis zu 100.000 Menschen wohnen.

 Der Senat hatte drei verschiedene Bebauungsvarianten vorgeschlagen. In allen dreien ist die Siedleranlage Kerngebiet. Die massiven Häuser würden abgerissen, Hunderte von alten Bäumen abgeholzt. In allen drei Vorschlägen müßten Entschädigungen an die Eigentümer und Erbpächter gezahlt werden.

 In der Siedleranlage in Blankenburg gibt es 450 Eigentümer und Erbbauberechtigte. Sie sind zu einem großen Teil Erben sogenannter Notgesiedelter, die nach den beiden Weltkriegen hier einzogen. Außerdem 850 sogenannte Erholungssuchende, die bis zu 1,49 Euro pro Jahr für den Quadratmeter Garten zahlen, und 70 sogenannte Wohnpachtzahler, die 3,65 Euro für den Quadratmeter Wohnraum pro Monat zahlen. 

„Hier sollen die Leute verdrängt werden, die sich auf dem freien Wohnungsmarkt nichts in Berlin leisten können“, sagt Ines Landgraf. „Wir wissen, daß der Senat vor kurzem zwei Grundstücke hier gekauft hat, zusammen für knapp 290.000 Euro.“ Aber nicht alle Grundstücke werden den Staat so teuer kommen. Denn nach Paragraph 34 Baugesetzbuch, und dieser Norm unterliegen zumindest die Erbpachthäuser, dürfen sie nur repariert, nicht saniert oder renoviert werden. Das heißt, daß ein großer Teil der bis zu 99 Jahre gepachteten Grundstücke für ein Butterbrot an das Land zurückfallen würden.

 Wohnraum ist in allen deutschen Ballungszentren ein knappes Gut – und deshalb teuer. In Berlin steigen die Preise besonders, weil die Stadt selbst zu lange nicht gebaut hat und auch noch die Liegenschaften an private Investoren verkaufte. 

Die Antwort des Berliner Senats dazu:  Mietendeckel. Wobei der Quadratmeterpreis in der Hauptstadt im Vergleich zum Bundesdurchschnitt bei Neuvermietung im oberen Mittelfeld liegt. Laut Statista kostet in München der Quadratmeter etwa 17,56 Euro pro Quadratmeter, in Berlin dagegen etwa 12,29 Euro. Ein Teil der Parteien, der an der rot-rot-grünen Landesregierung beteiligt ist, will darüber hinaus auch Eigentümer enteignen. Zwar ist SPD-Bürgermeister Michael Müller dagegen, die Kosten werden auf 36 Milliarden Euro geschätzt, bringen aber keine einzige Wohnung mehr. Doch die Linke und Teile der Grünen unterstützen diesen Vorschlag einer linksextremen Bürgerinitiative. Was daherkommt als Kampf gegen Großinvestoren und Miethaie, trifft in Blankenburg den kleinen Mann.

 Lompscher hat eine vierte Variante ins Auge gefaßt. Die Siedlung soll bestehen bleiben, dafür die gegenüberliegenden 90 Hektar Rieselfelder, also die Kloake Berlins, bebaut werden. 

Der behördliche Umweltatlas Berlins warnt: „Neben den Nährstoffen werden bei der Bodenpassage auch die im Abwasser befindlichen Schadstoffe zurückgehalten.“ Die geschädigten Böden seien daher flächendeckend in zum Teil erheblichem Maße mit Schwermetallen belastet. „Dies führe zu Beeinträchtigungen der Nutzbarkeit der Böden. So reichern sich die im Boden befindlichen Schwermetalle in den angebauten Nahrungspflanzen an. Die ermittelten Belastungen sind lokal so hoch, daß gesundheitliche Risiken bei direktem Bodenkontakt nicht auszuschließen sind. Dies wird dann relevant, wenn auf ehemaligem Rieselland empfindliche Nachnutzungen (z.B. Kinderspielplätze) vorgesehen sind.“

 Doch der Senat scheint nicht nur die Gesundheit der späteren Bewohner aufs Spiel zu setzen, er spielt auch mit den Siedlern ein falsches Spiel. Zwar wird die Siedlungsfläche nicht mit Wohnungen bebaut. Um aber eine Verkehrsanbindung für den neuen Stadtteil zu ermöglichen, ist ein Autobahnanschluß unerläßlich. Eine der Zufahrten würde quer durch die Siedlung führen. „31,5 Meter soll die vierspurige Straße breit werden“, sagt Landgraf. Darüber hinaus soll eine Straßenbahn in die Siedlung führen, incklusive Straßenbahnkehre, und der etwa 100 Meter Luftlinie von der Siedlung entfernte alte Bahnhof müßte für die zusätzlichen 20.000 Einwohner ausgebaut werden.

„Im Ernst, ich kann mir nicht im mindesten vorstellen, wie das Land diese Investitionskosten auch nur annähernd stemmen könnte“, sagt Landgraf.

 Michael Opitz (60) wohnt seit 30 Jahren am Purpurkardinalweg, sein Haus stammt aus den dreißiger Jahren, er kaufte es als Altersvorsorge. Er hat es ausgebaut und einen großen Teil angebaut. „Unabhängig davon, was aus uns wird, sehe ich einen ökologischen Hinderungsgrund bei dieser riesigen Bebauung, der noch gar nicht erörtert wurde“, sagt der Kraftwerksingenieur. „Die Siedlung, wie alle Gartensiedlungen, ist Kaltluftaustauschgebiet. Sie kühlen die heiße Stadt ab. Es ist mir unbegreiflich, wie die Bauverwaltung diese für das Stadtklima wichtige Funktion der Fläche nicht zu berücksichtigen scheint.“

„Wenn ich hier weg muß, zerstört das mein Leben“

 Daß in Berlin jetzt die Kleingartensiedlungen mit rund 2.932 Hektar ins Visier der Städteplaner geraten, ist nicht weiter verwunderlich. „Keine vergleichbare Metropole hat eine so große Anzahl an privat nutzbaren Gärten im unmittelbaren Einzugsbereich der Innenstadt“, grollen die Garten- und Siedlerfreunde Anlage Blankenburg  e.V. Bei solchen Filetstückchen kann beim Thema Stadtklima doch mal ein Auge zugedrückt werden.

Nur Gerald Rabsch kann kaum noch ein Auge zudrücken. Er findet kaum noch Schlaf. Immer wieder erzählt er, wie er als junger Mann vom Schuttberg gegenüber die Steine auf sein Grundstück schleppte, den alten Mörtel abschlug, um damit aus dem Ziegenstall ein richtiges Haus zu bauen. Jeden Pfennig hat er in seine vier Wände gesteckt. „Wenn ich hier weg müßte, würde das mein Leben zerstören“, sagt er zum Abschied.





6.500 Kleingärten wurden verdrängt

Ende Juni schlug die Badische Zeitung Alarm: „Bis zu 1.000 Wohnungen sollen im Gebiet Kleineschholz in Freiburg entstehen. Dafür müssen Kleingärten plattgemacht werden.“ Freiburg ist kein Einzelfall. Zu Beginn des Jahres ließ der MDR Thüringen die Bombe platzen. In Erfurt sei die Die Kleingartenanlage „Marienhöhe“ bedroht. Mit ihrer 1A-Lage gehöre sie wohl zu den schönsten in Thüringen: zentrumsnah und doch mitten im Grünen. Daher sei die Anlage nicht nur bei jungen Familien begehrt, sondern auch bei Bauherren. Schon vor einigen Jahren, so der MDR weiter, habe die Marienhöhe Gärten für Bauland abgeben müssen. Die nächsten 21 hätten nur noch eine Schonfrist bis 2026. Dann werde auch dieses „Gartenland zu Bauland“.  Zwei Beispiele von vielen? Nach Angaben des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) hat sich der Kleingartenbestand verglichen mit Ergebnissen aus dem Jahr 2011  bundesweit um rund 25.000 Gärten verringert, davon 75 Prozent wegen mangelnder Nachfrage und anschließender Auflösung der Anlagen, insbesondere in den östlichen Flächenländern. Nach Angaben der Landesverbände des Bundesverbandes Deutscher Gartenfreunde e.V. (BDG) wurden insgesamt rund 6.500 Kleingärten infolge von Flächenumwidmungen für Wohnungsneubau und Infrastrukturmaßnahmen „aufgegeben“. Dem BDG zufolge sind mehr als 900.000 Hobbygärtner im BDG organisiert. Insgesamt fünf Millionen Menschen (Familie und Freunde) nutzen Kleingärten in cirka 14.000 Vereinen. Das Dilemma: Laut BBSR wächst das Interesse an Gärten und am Gärtnern. Ergebnisse aktueller Kleingartenbefragungen belegten, daß  in mehr als jeder zweiten beteiligten Kommune das Interesse in der Bevölkerung gewachsen sei, unter den Großstädtern nochmals geringfügig häufiger.