© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/19 / 05. Juli 2019

In moralisch-belehrendem Tonfall
Ressentimentgeladen: Eine Ausstellung im Berliner Museum der Gegenwart untersucht die Rolle des Expressionisten Emil Nolde in der Zeit des Nationalsozialismus
Fabian Schmidt-Ahmad

Entartete Kunst, Exorzismus im Kanzleramt und viel Lärm um nichts – die Deutschen sind wieder bei ihrer Lieblingsbeschäftigung, der kollektiven Erregung über Schuld, Sühne und NS-Verstrickung. Endgültig machte Bundeskanzlerin Angela Merkel die Ausstellung „Emil Nolde – Der Künstler im Nationalsozialismus“ bereits vor deren Eröffnung zum Politikum, als sie in diesem Frühjahr öffentlichkeitswirksam die Bilder „Brecher“ und „Blumengarten“ aus dem Kanzleramt abhängen ließ und an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz zurückgab (JF 16/18).

Auch andere Kanzler hatten schon ihre Probleme mit dem expressionistischen Maler. „Nolde, das Schwein!“, polterte 1933 Adolf Hitler. „Was er malt, sind doch immer Misthaufen.“ Das weitere ist bekannt: 1937 wird der damals siebzigjährige Nolde unfreiwillig Hauptattraktion der Ausstellung „Entartete Kunst“. 1941 erfolgt sein Ausschluß aus der Reichskunstkammer und Berufsverbot. In seinem Atelier in Seebüll malt er kleinformatige Aquarelle, die berühmten „ungemalten Bilder“. Danach Rehabilitierung und Weltruhm – als Nolde 1956 starb, war er der wohl bekannteste Maler der jungen Bundesrepublik.

Ausgerechnet die bilderstürmende 68er-Bewegung brannte Nolde endgültig ins kollektive Gedächtnis ein. Im Sensationserfolg „Die Deutschstunde“ dient er Siegfried Lenz als Vorbild für den Maler „Max Ludwig Nansen“. Diese Romanfigur wird geradezu sprichwörtlich für NS-Verfolgung. Doch Nolde war nicht nur Opfer, sondern auch Anhänger des Nationalsozialismus. Das war zwar allgemein bekannt, aber nicht systematisch erforscht, bevor Christian Ring 2013 die Leitung der Stiftung Ada und Emil Nolde übernahm.

Er verteidigte seine Kunst mit religiösem Eifer

Nach fünf Jahren Archivarbeit nun die Präsentation. Über 25.000 Dokumente haben Bernhard Fulda und Aya Soika nach „NS-Kontamination“ durchsucht. Ihr Forschungsprojekt habe so viel Neues zu „einer langjährigen Praxis der Selbststilisierung“ zutage gebracht, „daß die hergebrachte Nolde-Erzählung revidiert werden muß“, heißt es vollmundig. Trotz des Ortes und der gezeigten hochwertigen Werke handelt es sich weniger um eine Kunstausstellung, sondern um ein politisches Projekt.

„Die Nationalgalerie hat eine ganz wesentliche Rolle gespielt bei der Überhöhung Noldes als dem paradigmatischen Menschenkünstler“, so Fulda. Daher sei dieser Ort passend, um zu zeigen, was im Werk Noldes angeblich fehle. „Das Schwierigste für uns konzeptionell war, den Antisemitismus des Malers darzustellen.“  Rund ein Viertel der Ausstellung füllen Texttafeln, die Nolde im NS-Kunstbetrieb einordnen. Äußerst irritierend der moralisch-belehrende Ton schon bei Bildunterschriften.

Gleich zu Beginn ein imposanter Bronzekopf Noldes, 1930 geschaffen von Gustav Wolff. „Ausdauernd“ habe Nolde Porträt gesessen, so die zuordnende Beschriftung. Im Katalog weitere pejorativ gefärbte Bemerkungen. Die „innere Emigration“ nach Seebüll sei nachträglich stilisiert, tatsächlich „widmeten sich die Noldes“ von hier aus „mit erstaunlicher Energie dem Kampf um die Rehabilitierung des Künstlers“. Mit „erstaunlicher Energie“, können wir konstatieren, stricken Fulda und Soika an einem Narrativ, das in etwa so geht:

Nolde ist überheblich und radikaler Antisemit. Als überzeugter Nationalsozialist dient er sich dem Regime als Künstler an. Dabei greift er auf ein umfangreiches Unterstützernetzwerk von NS-Funktionären zurück. Seine Ablehnung, obwohl er sein Sujet ideologisch anpaßt, ist offenkundig ein Richtungsstreit innerhalb des NS-Apparates. In der Nachkriegszeit dann die Selbstinszenierung als Opfer, fortgeführt von der Nolde-Stiftung, in einer Zeit also, in der sich die Deutschen als Verfolgte gespiegelt sehen.

Hinter jedem dieser Punkte ist auch nach erweiterter Materiallage ein Fragezeichen zu setzen. Nolde war ein schwieriger Mensch, der seine Kunst mit religiösem Eifer verteidigte. Kritiker hatten keine Meinung, sondern waren Ketzer. Aber wenn er seinen Künstlerkonkurrenten Max Pechstein als vermeintlich jüdisch anschwärzt, ist das menschlich häßlich, für das Werk unerheblich. Die aus heutiger Sicht unappetitlichen Aussagen über Juden, die in der Ausstellung zentral skandalisiert werden, sind im zeitgeschichtlichen Kontext eher banal.

Noldes Vermutung, „daß das ganze Sowjetsystem jüdischen Ursprungs ist u. jüdischen Interessen dient“, um „die Weltherrschaft zu erringen“, ist 1931 keineswegs exotisch. Auch relativiert Nolde diese „Constatierungen meiner schlichten Einfalt“ am Ende: „Es soll hiermit über das Judentum nichts Schlechtes gesagt sein. Das Lebensinteresse jeder Rasse äußert sich nach dem Maß der in ihr wohnenden Lebenskraft.“ Einen „kryptischen Satz“ nennt dies Fulda. Tatsächlich differenziert Nolde hier lediglich.

Neubewertung ist eher dem Zeitgeist geschuldet

Als der NS-Verfolgungsdruck auf Nolde zunimmt, präsentiert sich dieser als linientreuer Vorkämpfer:  „Meine Kämpfe für Deutschtum u. Idealismus gehören (…) zu den Vorboten des Nationalsocialismus“, heißt es in einer Bittschrift. Antisemitische Positionierungen sollen dies belegen. „Ein absurdes Produkt des Wunschdenkens eines alten, geltungssüchtigen Künstlers“, urteilt Fulda gnadenlos. Was Nolde tatsächlich empfunden haben muß, wird aus verschiedenen Tagebucheinträgen ab Mai 1945 ersichtlich.

„Hitler ist tot. Er war mein Feind. Sein kultureller Dilettantismus brachte meine Kunst u. mir viel Leid Verfolgung u. Ächtung“, heißt es am 5. Mai 1945. „Man ist durch die Nationalsocialistische Regierung so geschmäht u. verfolgt worden, daß man fast den Glauben an Gutem u. einem friedlichen Leben verloren hat“, zwei Wochen später. „Die Fesseln sind gefallen, aber man vermag kaum – an’s Gefahrvolle gewohnt – (…) in Freiheit zu denken …“  Aus Sicht der Kuratoren ist die spät eingefügte Distanzierung Teil einer Selbstinszenierung.

Ausgeblendet wird, daß derartige Eintragungen zuvor lebensgefährlich waren, zumal die Noldes mit Hausdurchsuchungen und Beschlagnahme rechnen mußten. Daß sich hier nach 1943 keine antisemitischen Passagen finden, führt Fulda auf Säuberungen durch Nolde selbst zurück. Allerdings ist es reine Spekulation, wenn Fulda mutmaßt, es sei „eher unwahrscheinlich, daß der Künstler etwas gegen die ‘Endlösung der Judenfrage’ einzuwenden gehabt hätte“ .

Der Streit um Nolde innerhalb des NS-Kulturbetriebs wird ohne geschichtlichen Kontext präsentiert. Tatsächlich sah sich die Avantgarde als ästhetischer Vorläufer der Totalitarismen des 20. Jahrhunderts. Entsprechend gab es Bemühungen der Kubisten den Bolschewismus, der Futuristen den Faschismus und eben der Expressionisten den Nationalsozialismus als eigene Transponierung ins Soziale zu interpretieren. Gemeinsam ist allen, daß sie damit gescheitert sind. Letztendlich war auch Nolde einer von ihnen.

Dieser Zusammenhang fehlt und läßt Noldes Verfolgung so als Binnenkonflikt im NS-Gefüge erscheinen, was falsch ist. Die Behauptung, er habe sich in seinem künstlerischen Schaffen dem NS-Staat angepaßt, überzeugt nicht. Wenn biblische Motive aus dieser Zeit fehlen, so zeigt das eher Noldes künstlerische Kompromißlosigkeit. Er habe in diesen „das Judentum gegeben wie es war“  und nicht „annectiert“ schreibt Nolde 1930. „Ich gab sie und auch Christus ihrem Volk zurück.“ Diese Auffassung hätte nach 1933 das sichere Ende bedeutet.

So schrumpft die zum Skandal erhobene Ausstellung auf wenig Ausbeute für fünf Jahre Forschertätigkeit zusammen. Die Neubewertung Noldes, die die Kuratoren anmahnen, ist eher dem Zeitgeist als neuem Wissen geschuldet. Selbst Lenz’ stark stilisierter Roman erwähnt die NS-Anhängerschaft von „Nansen“, ohne ihm den Opferstatus abzusprechen. Soviel Differenzierung scheint heute einige zu überfordern. Aber ressentimentgeladene Ausstellungen mit belehrenden Texten sind die Werke Noldes bereits gewöhnt.

Die Ausstellung „Emil Nolde – Eine deutsche Legende. Der Künstler im Nationalsozialismus“ ist bis zum 15. September 2019 im Berliner Museum für Gegenwart im Hamburger Bahnhof, Invalidenstraße 50-51, täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, Do. bis 20 Uhr, zu sehen.

Der Ausstellungskatalog mit 384 Seiten und 250 Farbabbildungen kostet 45 Euro.

 http://emilnoldeinberlin.de