© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/19 / 05. Juli 2019

Thalers Streifzüge
Thorsten Thaler

Balkonlektüre am Wochenende: Jens Balzers „Das entfesselte Jahrzehnt“ über „Sound und Geist der 70er“, so der Untertitel des kürzlich im Rowohlt Berlin Verlag erschienenen Buches. Der Kulturjournalist spannt darin einen denkbar weiten Bogen, angefangen von der Mondlandung und dem Woodstock-Festival. Es geht unter anderem um Charles Manson und die linksterroristische Bewegung 2. Juni, Okkultismus und Esoterik, „Schulmädchen-Report“-Filme, Frisuren, die Ölkrise, „Ekel-Alfred“, Frauenbewegung und antiautoritäre Erziehung, den Deutschen Herbst, Star Wars, die Anti-AKW-Bewegung. Für Balzer hat alles irgendwie mit allem zu tun. Und jede Zeit, jedes Ereignis und ihre Verkettung hat bei ihm einen je eigenen Soundtrack. Eine seiner steilsten Thesen lautet: Es führt eine „direkte historische Linie“ von dem Rock- und Popmusiker David Bowie über die Punkband Sex Pistols bis zum Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) und Beate Zschäpe. Bei Balzer geht das so: David Bowie inszenierte sich Mitte der Siebziger in seinen kokainumnebelten Jahren als Faschismus-Anhänger; in dieser Zeit erzielte auch die British National Front „zunehmend Wahlerfolge“ (in Wahrheit errang sie nie auch nur einen Sitz im Unterhaus); bei einem Konzert der Sex Pistols 1976, die mit Hakenkreuzen provozierten, war im Publikum auch Ian Stuart Donaldson, der später das rechtsextreme Netzwerk „Blood and Honour“ mitgründete, zu dessen Sympathisanten wiederum die NSU-Mitglieder gehörten. – Potzblitz!, darauf muß man erst mal kommen. Aber für Jens Balzer ist die Beweiskette abgeschlossen. Er schreibt: „Die Tradition wird gern unter den Teppich gekehrt, weil sie nicht ins korrekte Bild des angeblich immer schon emanzipatorischen Punk paßt.“ 


Fundstück I: „Ein einzelner Mensch kann einer Zeit nicht helfen oder sie retten, er kann nur ausdrücken, daß sie untergeht.“ Sören Kierkegaard, Die Tagebücher, 1849)


Fundstück II: „Wenn das Verhältnis in einer Zeit so ist, daß nahezu jeder privat weiß, daß das Ganze verkehrt ist, unwahr ist, während keiner offiziell es sagen will; wenn die Taktik, die von den Regierenden gebraucht wird, ist: Laßt uns die Sache bloß hinhalten, tut als wäre nichts, zu jedem Angriff schweigen, denn wir wissen nur allzu gut selber, daß das Ganze faul ist, daß wir falsch spielen; ja dann ist ein solcher Zustand eo ipso kondemniert, er soll fallen.“ (Sören Kierkegaard, Die Tagebücher, 1854)