© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/19 / 05. Juli 2019

Kaiser in einer äußerst prekären Situation
Vor 1.600 Jahren wurde mit Valentinianus III. der letzte Repräsentant des Weströmischen Reiches geboren
Thomas Schäfer

Am 2. Juli 419 n. Chr., also vor 1.600 Jahren, wurde Flavius Placidius Valentinianus geboren. Er ging als der letzte noch einigermaßen handlungsfähige Kaiser des Weströmischen Reiches in die Geschichte ein. Seine Regierungszeit, welche 425 begann, dauerte dreißig Jahre – länger, nämlich 41 Jahre, hatte nur der allererste römische Kaiser Augustus auf dem Thron gesessen. Dabei stand Valentinianus III. zunächst noch unter der Vormundschaft seiner Mutter Galla Placidia, einer Enkelin des Kaisers Valentinianus I. und Tochter von Theodosius dem Großen, nach dessen Tod es 395 zur Teilung des Imperium Romanum gekommen war. Die formelle Übernahme sämtlicher Regierungsgeschäfte erfolgte erst 437 anläßlich der Heirat des nunmehr Achtzehnjährigen mit Licinia Eudoxia, der Tochter des oströmischen Kaisers Theodosius II.

Zu diesem Zeitpunkt befand sich das Weströmische Reich bereits in einer äußerst prekären Situation. Zum ersten tobten Rivalitätskämpfe unter den führenden Militärs, welche Truppen banden, die bei der Abwehr äußerer Bedrohungen fehlten, an denen es aufgrund der um 375 in Gang gekommenen Völkerwanderung nicht mangelte – auch wenn das Imperium seit 382 versuchte, die einströmenden Fremdvölker durch vertragliche Regelungen und die Erlaubnis zur Ansiedlung auf römischem Territorium zu „domestizieren“. Die Folge hiervon war, daß immer mehr reiche Provinzen verlorengingen, was zu einem Mangel an Rekruten und zu Steuerausfällen führte. Und diese beiden Faktoren wiederum verhinderten die Aufstellung und Finanzierung schlagkräftiger Legionen, was dann zu noch mehr Gebietsverlusten führte: ein höchst fataler Teufelskreis. Gleichzeitig bedienten sich die Bürgerkriegsparteien fremder Söldner, denen sie oftmals das Blaue vom Himmel versprachen, um deren Loyalität zu erkaufen. Besondere Energie entwickelte hierbei Valentinianus’ Heermeister (Magister Militum) Flavius Aëtius, welcher schon seit 424 mit den Hunnen paktiert hatte und durch deren Unterstützung bis 435 zum faktisch mächtigsten Mann des Imperiums im Westen avanciert war.

In dieser Position konnte er eine Reihe von militärischen Erfolgen erzielen, die Valentinians Reich und damit auch die Position des Kaisers stabilisierten. Der wichtigste Sieg gelang Aëtius dabei am 20. Juni 451 in der legendären Schlacht auf den Katalaunischen Feldern im nördlichen Gallien: Hier schlug Aëtius im Verein mit den Westgoten die nunmehr zum Feind gewordenen Hunnen und zwang sie zum Rückzug.

Dem gegenüber standen allerdings Niederlagen an einer anderen Front, nämlich in Nordafrika. 429 hatte Bonifatius, der militärische Oberbefehlshaber der Provinz Africa und ein erbitterter Gegner von Aëtius, die Vandalen unter Geiserich um Unterstützung ersucht, wonach das germanische Volk bis 442 die Herrschaft über das römische Nordafrika an sich riß. Damit lag die Getreideversorgung Italiens fortan in den Händen der Vandalen. Nahezu zeitgleich entglitt dem Imperium auch die Kontrolle über die Iberische Halbinsel und Britannien. Nur in Gallien schien seine Herrschaft noch einigermaßen gesichert, was aus Aëtius’ geschickter Schaukelpolitik gegenüber den verfeindeten germanischen Gruppen resultierte.  

455 starb Valentinianus durch ein Attentat

Das wiederum ermunterte den Magister Militum dazu, nun eine Verschwägerung mit dem Kaiserhaus anzustreben – und zwar durch die Eheschließung seines Sohnes Gaudentius mit der Tochter von Valentinianus III. Allerdings hätten verwandtschaftliche Beziehungen zwischen dem ehrgeizigen Heerführer und dem überforderten Zivilisten auf dem Thron zu einer extremen Gefährdung des Letzteren geführt. Beispiele hierfür gab es in der römischen Geschichte mehr als genug. Deshalb schritt der Kaiser am 22. September 454 zum Äußersten: Während einer Audienz auf dem Palatin griff er eigenhändig zum Schwert und ermordete gemeinsam mit dem Hofkämmerer Heraclius sowohl Aëtius als auch dessen Präfekten Boethius. Damit gelang ihm einerseits ein Befreiungsschlag, andererseits besiegelte er damit das Schicksal seines Reiches. Denn nun verfügte niemand mehr über die Fähigkeit, die verbliebenen Teile des westlichen Imperiums mit List und Waffengewalt zusammenzuhalten, was manche Führer der bisherigen fremdvölkischen Verbündeten und ehrgeizige römische Provinzmachthaber nutzten, um sich zu faktisch unabhängigen Territorialherren aufzuschwingen. Dieser Prozeß verlief zunächst noch schleppend, nahm dann allerdings nach Valentinianus’ Tod schnell Fahrt auf. Der Kaiser starb am 16. März 455 während einer Truppenparade in Rom: Zwei ehemalige Mitglieder von Aëtius’ Leibwache namens Optila und Thraustila metzelten ihn unversehens mit mehreren Stichen in den Kopf nieder.

Seitdem standen nur noch „Imperatoren“ an der Spitze des Weströmischen Reiches, welche nie lange auf dem Thron saßen, weil die Heermeister sie nach Gutdünken ein- und absetzten. Darüber hinaus hatten die Oberkommandierenden, allen voran der germanischstämmige Flavius Ricimer, auch gar kein Interesse an einem Fortbestehen des Imperiums mehr – ihnen genügte die Kontrolle über Italien.