© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/19 / 05. Juli 2019

„Ein schmerzliches Zeichen der neuen Zeit“
Schwarz-Rot-Gold contra Schwarz-Weiß-Rot: In der jungen Weimarer Republik herrschte ein Kampf um die Reichsfarben
Karlheinz Weißmann

Am 31. Juli 1919 hielt Philipp Scheidemann aus Anlaß der Verabschiedung der Verfassung eine Rede vor den Abgeordneten der Nationalversammlung. Darin hieß es: „In diesem Augenblick steigt die Fahne der neuen Republik am Mast dieses Hauses empor. Das ist ein äußeres, manchem schmerzliches Zeichen der neuen Zeit! Wie unter der neuen Fahne gekämpft und gearbeitet wird, welche Gesinnung das neue Banner führen wird, darauf kommt es an!“

Das war ein bemerkenswert verhaltener Ton am Ende des revolutionären Umbruchs, verglichen mit der triumphierenden Schlagzeile „Die rote Fahne über Kiel, Hamburg, Bremen, Lübeck“ an dessen Anfang. Tatsächlich schien es im November 1918 so, als ob gar keine andere Farbe als Rot in Frage käme, um über der „Sozialistischen Deutschen Republik“ zu wehen, die doch nichts anderes sein würde als ein Glied der fortschrittlichen Weltordnung, die heraufzog, möglicherweise sogar eines Sowjetstaates, der den ganzen Erdball umfassen sollte.

Schwarz-Rot-Gold als Farben Großdeutschlands

Der Enthusiasmus erlosch aber rasch. Das Rot in der Propaganda des ersten Rates der Volksbeauftragten verschwand so schnell wie diese provisorische Regierung aus MSPD und USPD. An ihre Stelle trat ein Kabinett unter Führung Scheidemanns, das von Sozialdemokraten, Linksliberalen und Zentrum getragen wurde. Am 18. Februar 1919 erging der Beschluß des sogenannten „Staatenausschusses“ (in dem Vertreter der einzelnen Landesregierungen zusammenkamen), Schwarz-Rot-Gold als provisorische Reichsfarben anzunehmen, und die bewaffneten Einheiten wurden mit schwarz-rot-goldenen Armbinden an Stelle der bisher üblichen roten ausgestattet. Die heute geläufige Vorstellung allerdings, man habe sich damit zu den „Farben der Demokratie“ bekannt, ist bestenfalls die halbe Wahrheit.

Ende Dezember 1918 hatte Harry Graf Kessler deutlich irritiert in seinem Tagebuch vermerkt, daß Anhänger der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) durch die Berliner Innenstadt gezogen seien, mit den „großdeutschen Farben“ Schwarz-Rot-Gold und unter Absingen der „Wacht am Rhein“. Seine Irritation wäre wohl noch größer gewesen, hätte er einen Aufsatz der Alldeutschen Blätter gelesen, der unmittelbar nach dem Zusammenbruch der Mittelmächte mit der Titelzeile „Schwarz-Rot-Gold“ erschienen war: „Die Geburtsstunde Großdeutschlands naht! … Jubelt den alten schwarz-rot-goldenen Farben zu! Schmückt wie Wien eure Häuser mit den schwarz-rot-goldenen Fahnen, tragt Schleifen und Bänder Schwarz-Rot-Gold und zeigt aller Welt von Aachen und Königsberg bis Bozen, Klagenfurt und Laibach, daß wir sind ein einig Volk von Brüdern, in keiner Not uns trennend und Gefahr.“

Tatsächlich hatte es in Deutschland wie der Habsburger Monarchie nur zwei Gruppen gegeben, die nach der Reichsgründung von 1871 an Schwarz-Rot-Gold festhielten: die Linksliberalen und die Völkischen, die einen vor allem, weil sie die gesamtdeutsche Tradition der Revolution von 1848 bewahrten, die anderen, weil sie zudem überzeugt waren, es handele sich um „arische Farben“, die die germanischen Ahnen seit alters heilig hielten.

Die zweite Argumentation kam als Begründung selbstverständlich nicht in Frage, wenn die Reichsregierung der Nationalversammlung Schwarz-Rot-Gold als neue Nationalfarben vorschlug, und in der Begründung durch den Innenminister Eduard David hieß es ausdrücklich: „Was das dynastische Deutschland nicht fertig brachte, das muß der Demokratie gelingen: moralische Eroberungen zu machen auch jenseits der Grenze und vor allen Dingen bei denen, die durch Blut und Sprache zu uns gehören. Die großdeutsche Einheit zu gewinnen, muß nun unser Ziel sein, nicht durch Krieg und Gewalt, sondern durch die werbende Kraft des neuen republikanischen Deutschlands, und dabei möge uns voranflattern das schwarz-rot-goldene Banner!“

Indes waren die Aussichten auf eine großdeutsche „Wiedervereinigung“ zu dem Zeitpunkt nur mehr gering. Der Beschluß der Nationalversammlung der eben gegründeten „Republik Deutsch-Österreich“ vom Januar 1919 zur Auflösung des eigenen Staates, um die „Ostmark“ an das Reichsgebiet anzuschließen, hatten die Siegermächte auf Betreiben des französischen Ministerpräsidenten Georges Clemenceau und in flagrantem Widerspruch zum Selbstbestimmungsrecht der Völker kassiert. Das führte zu einer ersten Diskreditierung von Schwarz-Rot-Gold.

Die zweite ging darauf zurück, daß Schwarz-Rot-Gold seit Beginn des Krieges in den Ruf geraten war, Symbol des Landesverrates zu sein. Eine mit französischen Geldern finanzierte und von der Schweiz aus operierende Gruppe von Deserteuren und Pazifisten, die „Freunde der deutschen Republik“, nutzte bereits 1915 die Farben für ihre Sache, und noch im Frühjahr 1918 warfen Flugzeuge der Entente Aufrufe zur Fahnenflucht und zum Umsturz über der Westfront ab, die mit einem schwarz-rot-goldenen Streifen oder Rahmen markiert waren.

Handelsflagge der Marine blieb eine Mischform

Scheidemanns Bemerkung, daß Schwarz-Rot-Gold „ein äußeres, manchem schmerzliches Zeichen der neuen Zeit“ sei, sollte dem vielleicht Rechnung tragen. Sie konnte aber das Problem so wenig beseitigen wie die Behauptung Davids, daß das Schwarz-Weiß-Rot des Kaiserreichs immer eher „Partei-“ als „Nationalfarbe“ gewesen sei, oder der zuletzt gefundene Kompromiß zwischen Anhängern und Gegnern des Flaggenwechsels. Der sah neben der Nationalflagge Schwarz-Rot-Gold eine Handelsflagge in Schwarz-Weiß-Rot vor, die häßlicherweise im Obereck zum Mast ein kleines Feld Schwarz-Rot-Gold zeigte.

Zufriedenstellen konnte das niemand. Auch wenn sich zur Verteidigung von Schwarz-Weiß-Rot in der Phase des Umbruchs kaum eine Hand gerührt hatte, so war deren Bedeutung vor allem für die Frontsoldaten kaum zu überschätzen. Da die Truppen keine Regiments- und Kompaniefahnen ins Feld mitführen konnten, wurden die Reichsfarben für sie zum wichtigsten Nationalsymbol, mehr noch: zum eigentlichen „Symbol des unbekannten Soldaten“ (Egmont Zechlin). Als das Heer in die Heimat zurückkehrte, marschierten die Einheiten unter – selbstgefertigten – schwarz-weiß-roten Fahnen, und man empfing sie selbst in Berlin mit schwarz-weiß-rotem Fahnenschmuck.

Schwarz-weiß-rot waren auch die Kokarden der jungen Reichswehr. Und mit dem Umschlag der Stimmung nach Bekanntwerden der Bedingungen des Versailler Vertrages wurde Schwarz-Weiß-Rot zum Ausdruck nationaler Selbstbehauptung. Im Sommer 1919 demonstrierten Schüler und Studenten wieder unter den alten Fahnen, als die Reichsregierung den Freikorps ihre Unterstützung beim Grenzschutz entzog, rissen deren Männer die schwarz-rot-goldenen Winkel von ihren Uniformen und hißten Schwarz-Weiß-Rot; die Abstimmungskämpfe in Nordschleswig, Oberschlesien und in den ostpreußischen Gebieten wurden von deutscher Seite selbstverständlich unter Schwarz-Weiß-Rot geführt.

Die heute regelmäßig angeführte Behauptung, es habe sich bei dem „Flaggenstreit“, der während der ganzen Zeit der Weimarer Republik andauerte, um einen Konflikt gehandelt, bei dem die Kräfte des Fortschritts und der Demokratie auf der einen, die Kräfte der Reaktion und der Antidemokratie auf der anderen Seite standen, entspricht jedenfalls nicht den Tatsachen. 

Bezeichnend ist schon, daß auch die Parteien der Weimarer Koalition im Hinblick auf den Flaggenwechsel alles andere als einig waren: Die Sozialdemokraten hielten sich bis zur Abstimmung über den Flaggenartikel die Möglichkeit offen, mit den Unabhängigen für Rot als Reichsfarbe zu stimmen, falls der Partner Zentrum doch mehrheitlich für Schwarz-Weiß-Rot votierte; dort war man nur widerwillig für Schwarz-Rot-Gold, weil es dafür Konzessionen in der Schulfrage von seiten der SPD gab; die zwischenzeitlich ausgeschiedene DDP erklärte sogar ausdrücklich, daß sie angesichts der Bestimmungen des Friedensdiktats und des gegen Österreich ausgesprochenen Anschlußverbots das Festhalten an Schwarz-Weiß-Rot befürworte.

Möglicherweise wären diese Probleme aber rasch vergessen worden, hätte das Volk einen überzeugenden Eindruck von der „Gesinnung“ gewonnen, unter der nun „gekämpft und gearbeitet“ wurde. Aber davon war keine Rede. Die Republik enttäuschte die geweckten Hoffnungen rasch und gründlich. Das erklärt viel davon, warum Schwarz-Rot-Gold nur wenige für sich gewann, warum es in der Weimarer Zeit nicht nur auf Indifferenz, sondern auch auf Widerwillen und Haß traf. Denn echte, das heißt machtvolle, wirksame, Symbole kann man „weder diktieren noch erfinden“ (Karl Löwenstein).