© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/19 / 05. Juli 2019

Knapp daneben
Erziehung zum Mobbing
Karl Heinzen

Sportlehrer können es meistens kaum erwarten, bis die nächste Ausgabe der European Physical Education Review erscheint, die ihnen wissenschaftlich fundierte Anregungen zur Fortentwicklung ihres Unterrichts an die Hand gibt. Jetzt dürfen sie sich auf einen besonderen Leckerbissen freuen, präsentiert doch ein kanadisches Expertenteam in Kürze spektakuläre Forschungsergebnisse, die das auch an deutschen Schulen zugelassene Spiel „Völkerball“ als sozialethisch inakzeptabel entlarven. Da es um ein Thema von hoher gesellschaftlicher Relevanz geht, wurden die zentralen Aussagen der Studie bereits vorab in den Medien diskutiert. Nun laufen die Wetten: Welches wird das erste Bundesland sein, in dem das Thema auf die parlamentarische Tagesordnung gerät und das Kultusministerium die notwendigen Konsequenzen zieht? 

Nicht nur das Spiel „Völkerball“ gehört auf den Prüfstand, sondern das Fach Sport an sich.

Wie diese aussehen werden, ist schwer zu erraten, läßt sich doch der Kritik an dem „Spiel“ kaum etwas entgegensetzen. Völkerball ist nichts anderes als kaschiertes Mobbing, da es insbesondere Außenseiter sind, die genußvoll getrieben und schließlich abgeworfen werden. Den körperlichen Schmerz, durch einen hart geschleuderten Ball an einer womöglich empfindlichen Stelle getroffen zu werden, will gewiß niemand verharmlosen. Viel gravierender aber sind die seelischen Verletzungen, die auf solch demütigende Weise ausgegrenzte Kinder oft für ihr ganzes Leben davontragen. 

Wie aber ist es möglich, daß Generationen von Pädagogen all das, was sich da an Menschenverachtung vor ihren Augen zutrug, nicht zur Kenntnis nehmen wollten? Haben sie auch nicht gemerkt, daß die Spielidee der Genozid ist, da es darum geht, die Gegenmannschaft nicht bloß zu besiegen, sondern auszurotten? Die Erklärung, daß Sportlehrer tendenziell geistig beschränkt sind, da sie sich ansonsten einen intellektuell anspruchsvolleren Beruf zugetraut hätten, genügt alleine nicht. Das Fach an sich und nicht bloß dieses „Spiel“ gehört auf den Prüfstand. Wo man die Physis in den Mittelpunkt stellt, wird der Mensch zum Tier degradiert. Wen kann es wundern, wenn er sich dann auch entmenscht benimmt?