© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/19 / 12. Juli 2019

Ein Röschen für Macron
EU-Kommissionschefin: Für die Nomenklatura ist von der Leyen genau die Richtige
Bruno Bandulet

Unter zwei Regierungen – die eine in Berlin, die andere in Brüssel – mußten wir bisher schon leben und leiden, bald könnten auch noch beide Regierungschefinnen deutsch sein. Ein Grund zur Freude? Eher nicht. Manfred Weber, einem schwachen, unendliche Langeweile ausstrahlenden Kandidaten, müssen wir aber auch nicht nachtrauern. Die CSU wollte ihn „an die Spitze Europas“ setzen. Daß Emmanuel Macron von solchen aus dem Europaparlament hervorgehenden Spitzenkandidaten nichts hält, hat er frühzeitig wissen lassen.

Im Prinzip hat er recht. Weil eine europäische Öffentlichkeit und ein europäisches Volk nicht existieren, haben Europawahlen immer etwas von einem Illusionstheater an sich. Ein Akt lupenreiner Demokratie sind sie ohnehin nicht, weil ihnen die Gleichheit der Stimmen („one man, one vote“) abgeht. Das Europaparlament ist keine klassische Legislative, sondern eine Versammlung mit eingeschränkten Kompetenzen. Laut Lissaboner Vertrag wird der Kommissionspräsident vom Europäischen Rat, also den Regierungschefs, vorgeschlagen, nicht von irgendwelchen Parteien. Von einem Spitzenkandidaten ist nirgendwo die Rede. Insofern wurden die Wähler hierzulande in die Irre geführt. Jetzt fühlen sie sich betrogen. Verdrängt wurde: Demokratie manifestiert sich immer noch in den Nationalstaaten, nicht irgendwo in Europa. Und kaum jemand außerhalb Bayerns oder der Niederlande kannte Weber oder den Sozialisten Frans Timmermans. 

Daß versucht wurde, ausgerechnet Timmermans, den Vertreter der dezimierten zweitgrößten Fraktion, dem Parlament zu oktroyieren, war ein starkes Stück. Verhindert haben ihn die als konservativ geltenden Parteien, vor allem aber die Osteuropäer und die Italiener. Sie haben ihre Muskeln spielen lassen. Obwohl sich die Kräfteverhältnisse in der EU mit dem Aufstieg rechter Parteien verschoben haben, gingen die Ost- und Mitteleuropäer bei der Postenvergabe leer aus. Sie werden immer noch als zweitklassig behandelt. Eine unkluge Einstellung, die sich rächen wird.

Wäre Ursula von der Leyen, die Ersatzkandidatin, eine gute Wahl? Es hat einen üblen Beigeschmack, wenn jemand, der in einem nationalen Ministerium gescheitert ist und vor dem Ende seiner Karriere stand, umstandslos auf einen europäischen Spitzenposten wechseln kann. Als Verteidigungsministerin war sie mit der Dauerbaustelle Bundeswehr heillos überfordert. Daß sie keine Ahnung von Waffen hat, zeigte die Begründung, mit der sie das bei der Truppe geschätzte, aber laut ihr unbrauchbare Sturmgewehr G36 ausmusterte. Schäbig war ihr Verhalten im immer noch unaufgeklärten Fall des Franco A. Anstatt sich als Vorgesetzte vor die Soldaten zu stellen, phantasierte sie von „Haltungs- und Führungsproblemen“ und von einem „falsch verstandenen Korpsgeist“. Sie bediente die üblichen Vorurteile „gegen Rechts“. Wenn sie über die Bundeswehr sprach, dachte sie immer nur an ihre Karriere.

Nicht obwohl, sondern weil von ihr keine echten EU-Reformen und keine Rückkehr zum Grundsatz der Subsidiarität zu erwarten sind, ist sie aus Sicht der Nomenklatura eine gute Wahl. Auf ihre Disziplin ist Verlaß, so haben sie ihre Eltern erzogen – „Röschen“, wie das Kind genannt wurde, mußte mit nackten Beinen in die Brennesseln gehen, wenn es unartig war. Ursula von der Leyen ist keine innovative, selbständige Denkerin, dafür aber kommunikativ hochbegabt und bei allem Ehrgeiz flexibel genug, um den EU-Machthabern nicht in die Quere zu kommen. In den USA gilt sie als antirussisch, Macron lobte sie als „frankophon“, die FAZ nannte sie eine „glühende Europäerin“ – man stelle sich indes einmal vor, einem beliebigen Politiker würde das Attribut eines „glühenden Deutschen“ angeheftet. Daß Macron mit ihr einverstanden ist, erklärt sich schon daraus, daß sie als Verteidigungsministerin Paris die Führungsrolle beim Projekt des deutsch-französischen Kampfjets überlassen hat, einschließlich der Bevorzugung französischer Firmen bei Aufträgen in einem Gesamtwert von mindestens hundert Milliarden Euro. 

Zudem bedient sie die auch von Macron geteilte linksliberale Agenda. Sie wird die klimapolitische Planwirtschaft forcieren, sie fand die „Ehe für alle“ ganz toll, und schon als Familienministerin machte sie sich dafür stark, Babys in die Kita zu schicken, damit die Mütter möglichst schnell wieder arbeiten konnten.

Ein erstes Fazit läßt sich ziehen: Wenn die Kandidatin wirklich im Europäischen Parlament durchgeht, wird der französische Präsident der große Gewinner des Postenschachers sein. Dazu muß man wissen, daß die EU von einer Doppelspitze regiert wird: von der Kommission, die mit Rückendeckung des Europäischen Gerichtshofs immer mehr Kompetenzen an sich gezogen hat, und vom Europäischen Rat, in dem die Regierungschefs sitzen. Dessen Präsident wird der Belgier Charles Michel. Er pflegt ein sehr gutes Verhältnis zu Macron. Er wird die Sitzungen des Rates vorbereiten und leiten, und Macron wird sich auf ihn ebenso verlassen können wie auf Christine Lagarde, die in der Europäischen Zentralbank für reichliches und billiges Geld und damit für die Schuldentragfähigkeit der Südeuropäer sorgen wird.

Nein, die Vereinigten Staaten von Europa, von denen von der Leyen einst träumte, stehen nicht auf dem Programm. Wohl aber ein Europa mit einer Krisenwährung, dessen souveräne Leitungsmacht offenbar in Paris sitzt, nicht in Berlin. Taktisch und strategisch spielt die derzeitige deutsche Führung nicht in derselben Liga wie die französische.






Dr. Bruno Bandulet war Chef vom Dienst bei der Welt und ist Herausgeber des „Deutschland-Briefs“ (erscheint in eigentümlich frei).