© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/19 / 12. Juli 2019

Es rumort noch immer
AfD: Zwischen Richtungsstreit und Listenproblemen – in die Partei will einfach keine Ruhe einkehren
Björn Harms

Nach einer dreistündigen Debatte des sächsischen Landeswahlausschusses stand fest: Die AfD kann bei der Landtagswahl im September nur mit 18 Listenkandidaten ins Rennen gehen, anstatt wie ursprünglich geplant mit 61. Einen Großteil der Bewerberliste wies der Landeswahlausschuß als ungültig zurück. Was war passiert? 

Im Kern ging es um die  Frage, ob es sich bei den zwei Landesparteitagen im Februar und im März, bei denen die AfD die 61 Kandidaten für die Landtagswahl bestimmt hatte, um eine einheitliche Versammlung handelte oder um zwei unterschiedliche. „Die Aufstellung wurde am Ende der ersten Versammlung vertagt und bei der zweiten fortgesetzt“, bekräftigte am Samstag nochmals der stellvertretende Vorsitzende der Sachsen-AfD, Maximilian Krah. „Niemand auf der Fortsetzung dachte, es sei eine neue, isolierte Veranstaltung.“ Doch alle Beteuerungen kommen nun zu spät.

Direktmandate können Abhilfe schaffen

Denn der Teufel steckt im Detail: Laut der Landeswahlleitung stimmte die AfD auf der ersten Versammlung im Februar darüber ab, alle 61 Kandidaten im Einzelwahlverfahren aufzustellen. Die Plätze 1 bis 18 wurden auch so gewählt. Auf der Fortsetzungsveranstaltung im März wurde jedoch entschieden, die Plätze 19 bis 30 einzeln zu wählen, 31 bis 61 dann im Block. Das sei unzulässig. „Die notwendige Chancengleichheit aller Bewerber im Verfahren der Kandidatenaufstellung war nach Ansicht des Landeswahlausschusses damit nicht gegeben“, heißt es in einer Stellungnahme des Gremiums. Zudem hätten zwei verschiedene Versammlungsleiter die Veranstaltungen geleitet. 

Die AfD habe dann drei Monate später, am 18. Juni, zwei unterschiedliche Listen eingereicht. Bereits zu diesem Zeitpunkt sei die Partei auf die „erheblichen, rechtlichen Bedenken hingewiesen“ worden. Bis zur Einreichungsfrist am 27. Juni sollte sie deshalb die Mängel beseitigen – das sei jedoch nur in Teilen passiert. Eine Lüge, wie der Pressesprecher der sächsischen AfD-Fraktion, Andreas Harlaß, der JUNGEN FREIHEIT mitteilt. Im Vorfeld seien alle bemängelten Punkte rechtzeitig behoben worden. Der gefällte Beschluß am 5. Juli, mit 6 zu1 Stimmen angenommen, sei aus ihrer Sicht verfassungswidrig. Tatsächlich schreiben auch die prominenten Staats- und Parteienrechtler Sophie und Christoph Schönberger auf ihrem Blog, „ein entsprechendes Verbot, eine Landesliste sukzessive auf zwei getrennten Parteitagen aufzustellen“, sei dem „geltenden Recht gar nicht zu entnehmen“.

Doch welche Auswirkungen hat die Entscheidung? Zunächst kann die AfD möglicherweise bei der Wahl erhaltene Mandate nicht besetzen. 18 Sitze im Parlament entsprechen maximal 15 Prozent der Stimmen – wenngleich Direktmandate hier nicht eingerechnet sind. In Umfragen steht die Partei jedoch bei rund 26 Prozent. Alle zusätzlichen Zweitstimmen würden somit wegfallen. Juristische Schritte gegen den Beschluß kann die AfD vorerst nicht einlegen. Gemäß sächsischem Wahlgesetz ist dies erst nach Bekanntmachung des endgültigen Ergebnisses der Landtagswahl möglich. 

AfD-Landeschef Jörg Urban wittert deshalb ein „Komplott von Vertretern der im Landtag sitzenden Altparteien“. Zumindest die Besetzung des Landeswahlausschusses wirft Fragen auf. Drei Beisitzer wurden von der CDU entsandt, jeweils einer von den Linken und der SPD. Die AfD benannte ebenfalls einen Beisitzer, der als einziger gegen die Entscheidung stimmte. Durch den Gewinn von Direktmandaten könnte jedoch Schlimmeres verhindert werden. 

Nach einer aktuellen Schätzung der Website „wahlkreisprognose.de“ (Stand 5. Juli) kann die AfD mit bis zu 26 Direktmandaten rechnen. Das sind fast die Hälfte der 60 sächsischen Wahlkreise. Von den 18 zugelassenen Listenbewerbern haben zehn gute Chancen auf ein Direktmandat. Es blieben also acht Bewerber, die via Liste in den Landtag ziehen könnten. Somit käme die AfD auf 34 von 120 Sitzen im Parlament – Ausgleichsmandate nicht einberechnet.

Der Parteivorsitzende Alexander Gauland unterstellte dem sächsischen Landeswahlausschuß unterdessen, er wolle die AfD mit formalen Tricksereien kleinhalten. „Die Oppositionspartei, die in Sachsen stärkste Partei werden soll, soll mit Tricks sozusagen von ihrem Wahlsieg entmachtet werden“, sagte er am Samstag auf dem Kyffhäusertreffen des „Flügels“, bei dem sich dessen Kopf, der Thüringer AfD-Vorsitzende Björn Höcke, von rund 850 Anhängern feiern ließ. 

Unter pathetischer Musik vom Band, begleitet von Videoauszügen, die ihn Sport treibend im Wald zeigten, zog  der 47jährige in den Saal ein, von der Moderatorin angekündigt als „der Mensch Björn Höcke“. In seiner Rede gab er das Ziel aus, die „grünen Hypermoralisten“ in den Ostwahlen anzugreifen. Von den Thüringern forderte er, den „kryptokommunistischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow“ in den Ruhestand zu schicken. Doch noch ganz andere Töne ließen aufhorchen.

„Ich werde mich mit großer Leidenschaft der Neuwahl des Bundesvorstands hingeben“, versprach Höcke seinen jubelnden Anhängern. „In der aktuellen Zusammensetzung werde die Parteispitze Ende des Jahres sicher nicht wiedergewählt“ – eine deutliche Kampfansage unter Beisein von AfD-Chef Gauland, der wenige Minuten zuvor noch angemahnt hatte, man müsse sich auch mal auf die Lippe beißen, die AfD sei nicht gegründet worden, damit jeder alles sagen könne.

Lucassen will zur Wahl des Vorstands in NRW antreten

Die Stimmung in der AfD ist deutlich angespannt – das ist überall spürbar. Auch in Nordrhein-Westfalen, wo der Parteitag der AfD am Samstag in einem Chaos endete. Eine Mehrheit der Delegierten hatte sich vorab einen neuen Vorstand gewünscht, weil der Streit der beiden Landessprecher Helmut Seifen und Thomas Röckemann die Arbeit des Vorstandes zum Erliegen brachte (JF 28/19). 

Neun von zwölf Vorstandsmitgliedern kamen diesem Wunsch nach und traten von ihren Vorstandsämtern zurück. Einzig Co-Landeschef Thomas Röckemann und die beiden stellvertretenden Vorsitzenden Christian Blex und Jürgen Spenrath, die als treue „Flügel“-Leute gelten, hielten an ihren Posten fest. Ein Antrag auf Abwahl dieser drei verfehlte knapp die erforderliche Zweidrittelmehrheit. 

Begleitet wurden die hitzigen Debatten immer wieder von gegenseitigen Vorwürfen, Beleidigungen und skurrilen Zwischenrufen. Seifen rechnete auf dem Podium mit den lautstarken „Flügel“-Anhängern ab, denen er in Anspielung auf Björn Höcke vorwarf, sich als „willfährige Gefolgsleute landesfremder Herren“ zu verdingen. Mit knapper Mehrheit von 50,2 Prozent beendeten die Delegierten das Parteitreffen mehr spontan als geplant und verhinderten damit eine sofortige Nachwahl offener Vorstandsposten. 

Gegenüber der JF erneuert Seifen seine Vorwürfe: „Obwohl 61 Prozent der Delegierten für eine Abwahl des Landesvorstands waren, scheuten sich Röckemann, Blex und Spenrath nicht, dieses Votum zu ignorieren“, verdeutlicht der ehemalige Gymnasialdirektor. „Der großen Mehrheit der AfD-Mitglieder muß es jetzt endlich klar geworden sein, daß mit den Anführern des ‘Flügels’ keine vernünftige Parteiarbeit möglich ist.“ Seifen ist sich sicher: „Die Flügelanführer in NRW haben sich durch ihr vollständiges parteipolitisches Versagen vollkommen desavouiert und damit für jeden aufrechten AfDler unwählbar gemacht.“ 

Das sieht der nordrhein-westfälische Bundestagsabgeordnete Rüdiger Lucassen ähnlich. „Der Flügel hat in NRW lediglich einen Pyrrhussieg errungen“, erklärt er der JF. „Er hat den Wunsch des überwiegenden Teils der Delegierten mißachtet. Jetzt muß innerhalb von drei Monaten, verbunden mit viel Aufwand und Kosten, ein neuer Parteitag zur Wahl eines Vorstandes einberufen werden.“ 

Er werde im Oktober wie angekündigt für das Amt des Sprechers kandidieren, bestätigte der verteidigungspolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, „aber ausdrücklich nur als Einzelspitze und nur für den Fall einer Neuwahl eines Vorstandes“. Den forderte am Montag auch der Bundesvorstand der AfD ein. Die Parteispitze verlangte eine Neuwahl des NRW-Landesvorstandes bis zum 6. Oktober 2019 – jene Frist, die auch die Satzung der Partei vorsieht. Sollte diese nicht eingehalten werden, so die Drohung, werde der Bundesvorstand die verbliebenen Vorstände von ihren Ämtern entheben. An anderer Stelle droht unterdessen weiteres Ungemach. 

Denn auch die Grabenkämpfe in der bayerischen AfD gehen munter weiter. Eine vorgezogene Neuwahl des Landesvorstands jedoch, wie von knapp 100 Mitgliedern gefordert, wird es auf dem Sonderparteitag am 21. Juli nicht geben. Die 100 Stimmen seien laut Satzung zu wenig gewesen, um den Antrag auf die Tagesordnung zu setzen, teilte AfD-Landeschef Martin Sichert in einer Rundmail an alle Mitglieder mit. Auf dem Parteitag dürften dennoch Debatten über jüngste Personalquerelen rund um die Landtagsfraktionschefin Katrin Ebner-Steiner, die als „Flügel“-Frau gilt, für eine hitzige Atmosphäre sorgen. 

Die Vorfälle beweisen: Der alte Konflikt zwischen Gemäßigten und Rechtsauslegern hat an vielen Stellen wieder an Fahrt aufgenommen – in NRW und Bayern genau wie in Niedersachsen, Schleswig-Holstein oder Baden-Württemberg. Die „Flügel“-Anhänger machen innerhalb der Partei nur rund 20 bis 30 Prozent der Mitglieder aus, eine Mehrheit bilden sie nicht ab. Dafür aber sind sie hervorragend vernetzt und gut darin, zu wichtigen Anlässen wie Parteitagen ausreichend zu mobilisieren. 

Zusätzlich wird der „Flügel“ sich durch die Wahlergebnisse in Brandenburg, Sachsen und Thüringen gestärkt fühlen. Höckes Kampfansage an den Bundesvorstand beim Kyffhäuser-Treffen war jedenfalls mehr als deutlich. Er wird im Richtungsstreit wohl kaum klein beigeben und will offenbar jene unter Druck setzen, die hoffen, im November wieder an die Parteispitze gewählt zu werden – wie etwa AfD-Chef Jörg Meuthen, der die Gunst des „Flügels“ verloren zu haben scheint. 

Meuthen wies derweil mediale Vorwürfe, die Partei würde von Rechtsaußen unterwandert werden, als übertrieben zurück. Die Vorgänge in einzelnen Landesverbänden „werden für meine Begriffe deutlich überbewertet“, sagte Meuthen im Deutschlandfunk. Es sei normal, daß es bei einer noch jungen Partei Unterwanderungsversuche gebe. Dem müsse man Einhalt gebieten. Genau das tue die AfD.





Landesliste AfD

Blau: Hohe Wahrscheinlichkeit für Direktmandat in Sachsen

Jörg Urban – KV Bautzen

Jan Zwerg – KV SOE

Joachim Keiler – KV Dresden 

André Wendt – KV Dresden

Sebastian Wippel – KV Görlitz

Torsten Gahler – KV Erzgebirge

Mario Beger – KV Meißen

Dr. Rolf Weigand – KV Mittelsachsen

Holger Hentschel – KV Leipzig

Martina Jost – KV Dresden

Ivo Teichmann – KV SOE 

Frank Peschel – KV Bautzen 

Wolfram Keil – KV Zwickau

Dr. Volker Dringenberg – KV Chemnitz

Carsten Hütter – KV Meißen

Hans Jürgen Zickler – KV Dresden

Ulrich Lupart – KV Vogtland

Tobias Keller – KV Leipzig