© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/19 / 12. Juli 2019

Zweifelhafter Zwang
Paritätsgesetz: Thüringen beschließt Frauenquote / Wissenschaftlicher Dienst des Landtags sieht verfassungsrechtliche Probleme
Ronald Berthold

Trotz erheblicher „verfassungsrechtlicher Beeinträchtigungen“, die der Wissenschaftliche Dienst des Landtags geltend macht, greift nun auch Thüringen in die Kandidatenaufstellung aller Parteien ein. Abwechselnd jeder zweite Platz auf den Landeslisten muß mit einer Frau besetzt sein, hat der Landtag am Freitag auf Antrag der drei Regierungsfraktionen Linke, SPD und Grüne beschlossen. Einzig AfD und CDU stimmten dagegen.

Parteien, die diese Regelung nicht umsetzen, werden künftig nicht zur Landtagswahl zugelassen. Nach Brandenburg ist der Freistaat damit das zweite Bundesland, das ein solches Paritätsgesetz erläßt. Die Wahl am 27. Oktober ist davon jedoch noch nicht betroffen. Es soll erst ab dem Urnengang 2024 gelten. 

Ein 75seitiges, vom Wissenschaftlichen Dienst des Landtags angefertigtes Gutachten stützt den Widerstand der Opposition. Er untersuchte auf Antrag der AfD-Fraktion die Gesetzesvorlage und machte diverse verfassungsrechtliche Verstöße geltend – sowohl gegen die thüringische Landesverfassung als auch gegen das Grundgesetz. 

So sei das Gesetz ein „Eingriff in die Freiheit der Wahl“ und verstoße auch gegen die „Gleichheit der Wahl“. Die Rechtsverordnung habe zur Folge, daß die Delegierten „nicht mehr frei darüber entscheiden könnten, in welcher Reihenfolge die Bewerber auf der Liste erscheinen sollen“. Außerdem würde die Freiheit der Listenbewerber, „auf einem beliebigen Listenplatz kandidieren zu können, auf die Hälfte beschränkt“. Nach Erreichen der durch den Geschlechteranteil der Parteimitglieder bestimmten Untergrenze werde er sogar „für die Kandidaten des überrepräsentierten Geschlechts völlig ausgeschlossen“. Dies verstoße gegen Artikel 46 der Thüringer Verfassung. Im Landtag sitzen aktuell 42 Prozent Frauen. Mit dem Gesetz wird dieser Anteil auf verpflichtende 50 Prozent angehoben. Gleichzeitig bedeutet dies eine noch deutlichere Überrepräsentierung des weiblichen Geschlechts – gemessen an dessen Anteil unter den Parteimitgliedern.

Im Gutachten werden neun Gesetzesverstöße gelistet

Laut einer Berechnung der JUNGEN FREIHEIT aufgrund von Angaben des Statistischen Bundesamtes aus dem Dezember 2017 liegt der deutschlandweite Frauenanteil bei allen im Bundestag vertretenen Parteien insgesamt bei 28,6 Prozent. Die meisten weiblichen Mitglieder haben die Grünen mit 39,8 Prozent. Es folgen Linke (36,5) und SPD (32,5). In der CDU sind 26,2 Prozent der Mitglieder Frauen, in der FDP 21,9, in der CSU 20,0 und in der AfD 17,0 Prozent.

Der Wissenschaftliche Dienst in Thüringen sieht darüber hinaus „einen Eingriff in die passive Wahlrechtsgleichheit“ der Bewerber. Logisch: Denn „die Erfolgschance einer Kandidatur auf den, für das andere Geschlecht vorgesehenen Listenplätzen“ werde sich „auf null reduzieren“. Das rot-rot-grüne Gesetz verletze auch die verfassungsgemäß gewährleistete Parteienfreiheit, weil das Recht der Parteien beschnitten werde, „autonom und ohne staatliche Vorgaben ihre Kandidaten für die Wahl aufzustellen“. Dies sei ein Verstoß gegen Artikel 21 des Grundgesetzes. Ebenfalls hält das Fachgremium die im Grundgesetz garantierte „Chancengleichheit der Parteien“ für beeinträchtigt. Denn zum einen werden „Parteien mit relativ einseitigem Mitgliederbestand benachteiligt“, weil sie größere Schwierigkeiten hätten, die Wahlliste gemäß der neuen Vorgabe zu besetzen, als Parteien mit einer, hinsichtlich des Frauen- und Männeranteils, ausgewogenen Mitgliederstruktur.

Auch mitgliederschwächere Parteien würden „benachteiligt, da sie einer paritätischen Besetzung „aufgrund der geringeren personellen Ressourcen schwieriger nachkommen könnten als die mitgliederstärkeren Parteien“. Insgesamt listet der Wissenschaftliche Dienst neun Verstöße gegen die Bundes- und Landesverfassung auf. Ein einziger würde reichen, um das Gesetz bei einer Klage zu kippen. Die AfD kündigte bereits an, den Landesverfassungsgerichtshof einzuschalten. Das Paritätsgesetz könnte eine der letzten Amtshandlungen der rot-rot-grünen Regierung gewesen sein. Laut Umfragen verlieren Linke, SPD und Grüne bei der Landtagswahl ihre Mehrheit.