© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/19 / 12. Juli 2019

Es verbleibt weithin nur Trivialität
Architektur: Das Projekt „Bauhaus“ gilt hundert Jahre nach seiner Gründung Kritikern als „Pflegefall“
Felix Dirsch

Anläßlich des hundertjährigen Jubiläums der Gründung wurde in Weimar der Neubau des Bauhaus-Museums am Stéphane-Hessel-Platz eröffnet. Es finden hochkarätige Ausstellungen zum Jubiläum statt, der Markt wird mit Büchern überschwemmt, die Zahl der Vorträge ist unübersehbar. Man feiert das Meisterwerk als weltweiten Exportschlager und bietet überall (jedoch meist keine hochwertigen) Designerwaren an: Keramikprodukte, das Möbelstück Freischwinger „S 33“, Uhren-Sondereditionen und vieles mehr. Der Grad an Verkitschung ist unübersehbar.

Unter „Bauhaus“ lassen sich zahllose, zum Teil gegensätzliche Aspekte fassen: modernistisch-funktionalistische Architektur; eine zeitgemäße Kombination von Kunst und Handwerk sowie Kunst und Technik; die Neufundierung eines Gesamtkunstwerkes, das viele Gattungen (Malerei, Fotografie, Tanz, Theater, Keramik, Möbel und so fort) umfassen soll und an die mittelalterliche Bauhütte anschließen will; eine enge Verzahnung von Lehranstalt und Produktionsstätte. Die Liste der Utopien ist lang. Immer steht die Frage im Vordergrund: Wie wollen wir modern bauen und wohnen? Die Avantgardekünstler der Zeit versammeln sich am Bauhaus und in seinem Umfeld: Exemplarisch sind die Direktoren Walter Gropius und Ludwig Mies van der Rohe, aber auch Wassily Kandinsky, Paul Klee, Johannes Itten, Lyonel Feininger und Oskar Schlemmer anzuführen. Der Experimentalismus der Moderne, gespiegelt im Bauhaus gleich einem Mikrokosmos, hat zu allen Zeiten fasziniert. Seine Grenzen sind aber gleichfalls nicht zu übersehen.

Die Form der Moderne verschwimmt ins Ungewisse

Warum finden heute kaum mehr leidenschaftliche Debatten über das Bauhaus statt, die seinerzeit sogar dazu führten, daß die hochumstrittene Institution zuerst nach Dessau, später nach Berlin übersiedeln mußte, bevor sie von den Nationalsozialisten 1933 nach einer Hausdurchsuchung geschlossen und zur Auflösung gezwungen wurde. Der Anspruch der Protagonisten war ein für die moderne Architektur typischer: Man wollte mittels Gestaltung politisch wirken. Dieses Ziel wird längst nicht mehr mit Verve verfolgt, erfüllte doch die Durchkapitalisierung der Architektur spätestens nach 1945 solche (Design-)Wünsche massenweise.

Das singuläre Großprojekt läßt sich mit Begrifflichkeiten der Moderne charakterisieren: Funktionalität, Universalität sowie Verwendung und Einsatz wissenschaftlicher Methoden, besonders Geometrie und Physiologie. Es existieren Legionen von Einwänden gegen einzelne Bauhausprojekte. So sind beispielsweise die Schwachpunkte der Stuttgarter Weißenhofsiedlung genau untersucht worden. Der Sozialwissenschaftler und Architekturexperte Christian Marquart attestierte einen „Pflegefall auf Dauer“. Nicht gerade schmeichelhaft für diejenigen, die einen neuen Menschen und eine bessere Welt aus dem Geist der Kunst kreieren wollten.

Das „Bauhaus“ teilt das Schicksal der Moderne im allgemeinen: Diese gilt spätestens seit den sechziger Jahren – allen postmodernen Alternativmodellen zum Trotz – als Flutwelle, die alles, was sich ihr entgegenstellt, wegspült: Auch das Unmoderne ist demnach modern. Selbst die Form der Moderne verschwimmt ins Ungewisse: Der Philosoph Peter Sloterdijk hilft sich mit der Metapher „Schäume“, die an die Stelle der nunmehr implodierten Kugelmetaphysik treten.

Der Bruch der Moderne war so gewaltig, daß der Architekturhistoriker Heinrich Klotz ihn mit der Zäsur der klassischen Periode in Griechenland im fünften und sechsten vorchristlichen Jahrhundert verglichen hat, die das Paradigma für viele folgende Jahrhunderte lieferte. In der Alltagswelt waren es vor allem die sozialen Verwerfungen infolge der Industrialisierung, die noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vielfältige antimoderne Reaktionen provozierten und Modernekritikern Resonanz verschafften.

Diese Gruppe war auch in der Architektur- und Kunsttheorie lange Zeit ausreichend vertreten. Statt anderer sind in der Phase der Bauhausgründung zwei Zeitzeugen, Paul Schultze-Naumburg und Hans Sedlmayr, zu nennen. Den zuerst genannten Kulturkritiker störte an der Baukunst der klassischen Moderne deren Trend zur Entortung, zur Verhäßlichung, zur Menschen- und Heimatferne sowie zur Standardisierung des Wohnens. Das Bauhaus brandmarkte er als Produkt des „Kulturbolschewismus“. Immer wieder analysierte Schultze-Naumburg die „Krisis der Architektur“ (Alexander von Senger). Obwohl seine Argumente teilweise nachvollziehbar sind, verwundert es angesichts seiner Radikalität nicht, daß er sich nach 1933 als Parteigänger der neuen Machthaber exponierte.

Anders zu werten ist die Modernekritik Sedlmayrs. Zeitweise ebenfalls im nationalsozialistischen Fahrwasser, vertrat der Ordinarius für Kunstgeschichte einen in alteuropäischen Kategorien verwurzelten christlichen Konservatismus, der in zentralen Motiven der Kunst Symptome des geistigen Abfalls von der „Mitte“ diagnostizierte: Wesentliche Stichworte dieses „Verlusts“ seit der von ihm konstatierten Wasserscheide von „1760“ lauten: Trend zum Purismus, für den das Bauhaus beispielhaft ist; Loslösung vom Boden; Neigung zum Anorganischen; Entmenschlichung; Beliebigkeit und Austauschbarkeit der künstlerischen Erzeugnisse. Eigentlich wollte er die gesamte neuzeitliche Dezentrierung des Humanen seit Kopernikus – auf der Linie der ersten von Freuds „Kränkungen“ – aufs Korn nehmen. Sedlmayrs Feindbild war der autonome Mensch, dem der spätere Emigrant Emil Kaufmann in seiner Monographie über die autonome Architektur von „Ledoux bis Le Corbusier“ bereits 1933 nachspürte. Sedlmayr strebte die Erneuerung des Sakralen an. Wie man dazu kommt, wußte auch er nicht. Hinter die magische Jahreszahl gab es kein Zurück.

Denunziatorische Kritik an Rekonstruktionen

Obwohl die Moderne längst kein Reizthema mehr ist, existieren in modifizierter Weise die alten Frontlinien noch. Selbst die Erben der genannten neuzeitkritischen Eiferer sind zum Teil schon verstorben. Stellvertretend sind Norbert Borrmann (1953–2016), der in seiner Studie über „Architektur und Ideologie im 20. Jahrhundert“ Grundlagen einer „ewigen Ordnung“ der Architektur entwirft, und Richard W. Eichler (1921–2014) hervorzuheben. Letzterer möchte in seinen Publikationen eine menschlichere Architektur im Sinne einer organischeren Verwurzelung der Bauwerke in der Erde zum Ausdruck bringen. Von den lebenden Repräsentanten dieser Richtung, die freilich unterschiedliche Ideale verfolgen, sind neben dem bekannten Leon Krier die Namen Christian J. Grothaus und Claus-M. Wolfschlag zu erwähnen.

Heute ist praktisch keine Fundamentalkritik der Moderne mehr möglich. Auch diejenigen, die funktionalistisch-universalistische Prinzipien negieren, stehen doch auf dem Boden des Abgelehnten. Aus dieser ehrlichen Konzession folgt jedoch nicht, daß „rechtes Bauen“ (Borrmann) im Sinne der Ortung, der Einfügung in Kultur und Heimat, unmöglich wäre.

So läßt sich eine Brücke vom Backsteinbau im Niederdeutschland der 1920er Jahre bis zur Frankfurter Altstadt mit 15 wiedererrichteten historischen Gebäuden und 20 „schöpferischen Nachbauten“ auf altem Grundriß schlagen. Um diese Unternehmung wurde viele Jahre gestritten (JF 33/18). Zuletzt unterzeichneten mehr als fünfzig Kritiker in der Zeitschrift Arch+ den Aufruf „Wider den modernefeindlichen Architekturpopulismus“. Besonders ärgern die Vertreter des progressiven Kulturestablishments – an der Spitze der Stuttgarter Hochschullehrer Stephan Trüby – angeblich rechtsextremistische Operationen im Hintergrund. Die üblichen denunziatorischen Sprechblasen, verschwörungstheoretisch aufgeladen, durften nicht fehlen.

Ins Visier der politisch-korrekten Architekturwächter geriet unter anderem der Publizist und JF-Autor Wolfschlag. Er gehört zu jenen, die sich schon vor geraumer Zeit für entsprechende Weichenstellungen engagierten. Er darf sich nun über den Sieg der Rekonstruktionsbemühungen freuen, die Zuspruch aus der Bürgerschaft erhielten.

Das erinnert ein wenig an die fünfziger Jahre, als die „Unwirtlichkeit unserer Städte“ (Alexander Mitscherlich) immer mehr Bürgern Kopfzerbrechen bereitete. Der Luxemburger Architekturtheoretiker Krier, der im Auftrag Prinz Charles’ für das Musterdorf Poundbury in der südwestenglischen Grafschaft Dorsey verantwortlich ist und als Repräsentant des Neoklassizismus gilt, verteidigte die Frankfurter Wiederaufbauinitiative gegen ihre Verächter. Er sieht in dem Erfolg das Ende von siebzig Jahren „ästhetischer Entmündigung des Bürgers“.

Hier könnte eine Steilvorlage für weitere Rekonstruktionsversuche liegen, die unter anderem in Städten wie Dresden, Berlin und Potsdam zu bestaunen sind. Man braucht auch in der Moderne nicht in jeder Hinsicht modern zu sein.