© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/19 / 12. Juli 2019

Dorn im Auge
Christian Dorn

Nicht jede Dämmse ist eine Klimaerwärmung.“ Der Satz könnte in Dresden als Motto auf den AfD-Plakaten zur Sächsischen Landtagswahl funktionieren, denke ich, da ich von der Tribüne die letzte Sitzungswoche des Sächsischen Landtags verfolge, hinter dessen gläserner Fassade die Elbe fließt. Der Beifall auf die Regierungserklärung von Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) wirkt hier wie ein plätschernder Bach, der rasch verebbt. Entsprechend dünnhäutig wirkt die Landesregierung. So tritt ein Saaldiener an mich heran, prüft meine Akkreditierung und verweist mich auf einen anderen Platz, da die Regierungsbank unten sich beschwert habe, weil sie mich, den Pressevertreter oben, nicht kennt. Offenbar liegen die Nerven blank – wie gut, daß ich mich der im knallroten Kostüm aufmarschierenden Staatsministerin Petra Köpping (einst SED), die mich im Landtagsflur im Vorbeigehen grüßt, nicht gleich als der Autor vorstelle, der ihren Treuhand-Titel verrissen hat („Aufbau Ossi“, JF 42/18). Ein CDU-Abgeordneter, den ich in der Landtagskantine auf die AfD anspreche, nimmt noch im selben Moment mit seinem Tablett Reißaus, als wäre ich der Leibhaftige.


Dabei bietet bereits die Bahnfahrt nach Dresden im nostalgischen Restaurant-Waggon der Eurocity-Linie nach Prag eine Einstimmung auf die vom politisch-medialen Komplex beschworene „Spaltung“ Deutschlands zwischen Ost und West. So erklärt mir eine aus der Schweiz stammende Künstlerin, die in Dresden studiert hat, sie habe diese Stadt verlassen müssen, da es dort keine Ausländer gab. Zurück in Berlin erlebe ich die Fortsetzung. Als ich im Café der Sowjetzone Künstler D., der nach Dresden reist, vorschwärme, welch „schöne Stadt“ es sei, schüttelt er den Kopf: „Tja, an der Kunstakademie gibt’s keine Bewerber mehr – da will keiner mehr studieren!“ Da kann ich nur sagen: Touché à la Harakiri!

 

Dies Déjà-vu gilt auch für die im Sächsischen Landtag diskutierten Rußland-Sanktionen, durch die – so jüngst Bild bis Spiegel – Deutschland „gespalten“ sei. So treffe ich mich im Café des Westsektors mit einem Freund, ein Tiefbohringenieur mit den Genen des „Ölbarons“, der mir eröffnet, nach Rußland zu gehen und seinen deutschen gegen einen russischen Paß zu tauschen, da er hier nicht mehr seine Meinung sagen könne und keine Zukunft mehr sehe. Wie zum Beweis beschwert sich ein Typ hinter uns, der uns belauscht hat: Was er gehört habe, sei nicht länger hinnehmbar, und ob ich denn für das Zuhören bezahlt werde – ich bin perplex.