© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/19 / 12. Juli 2019

Im Einklang mit der Natur
Dokumentation: Der Film „Unsere große kleine Farm“ begleitet sieben Jahre lang eine ökologische Kultivierung nördlich von Los Angeles
Sebastian Hennig

Weittragende und ernste Themen werden am besten in anrührende Geschichten verpackt, damit die Kundschaft ihnen Aufmerksamkeit entgegenbringt. Seinen Film „Unsere große kleine Farm“ über einen naturnahen Landbau bindet der Tierfilmer John Chester zunächst, für jeden Städter nachvollziehbar, an das Schicksal eines kleinen Hundes. Mit seiner Frau Molly hatte er den verwahrlosten Todd aufgenommen aus einem Tierheim, welches bald danach schließen mußte. Eine von zweihundert aufzugebenden Kreaturen konnten sie retten. „Plötzlich hatten wir ein Baby“, sagen sie.

Auf natürlichere Weise wiederholt sich dieses Motiv gegen Ende des Films, als die beiden wirklich Nachwuchs bekommen. Da ist Todd bereits verendet. Vielleicht liegt es an der deutschen Synchronisation, wenn die Tiere trinken und essen, schwanger werden und Kinder haben, anstatt zu saufen, trächtig zu sein und Junge zu werfen. Der Animalisierung der Menschen entspricht die Vermenschlichung des Viehs.

Als sich Nachbarn beschweren, daß Todd unablässig bellen würde, bekommen sie zuletzt ihre Wohnung gekündigt. Fortan will Molly ihre Tomaten nicht mehr auf dem Balkon ziehen, sondern auf eigenem Grund und Boden. Molly Chester betätigt sich als Food-Bloggerin. Das heißt, sie dokumentiert im Netz das Anrichten von Speisen, zumeist nach bodenständigen Rezepten, was im abgefahrenen Kalifornien offenbar der letzte Schrei geworden ist.

Sie hat das „Natural Gourmet Institute for Health and Culinary Arts“ absolviert und arbeitet zudem als private Küchenchefin der Prominenz. Durch hartnäckiges Werben können die Chesters 2010 mit der Unterstützung von Freunden in Moorpark eine achtzig Hektar große aufgelassene Farm erwerben.

Mit Hilfe des Fachmanns für biologische Landwirtschaft, Garten- und Weinbau, Alan York, und zweier versierter Landarbeiter aus der Gegend sowie zahlreicher Praktikanten machen sie sich ans Werk. Die Umgestaltung dauert sieben Jahre, die im Film mit allen Freuden und Krisen dokumentiert werden. Die Bäume und Sträucher werden komplett gerodet und eine riesige Kompostanlage gebaut. Es wird Arbeit und Geld aufgewendet ohne absehbare Einkünfte aus Erträgen. Alan, der Mann in Leinen und Sandalen, sagt dazu, es sei einfach aber nicht leicht. Tatsächlich erleben sie an sich eine „schleichende Desillusionierung, die unsere Absichten unterminiert. Absicht ist kein Garant.“ Neben dem Fachmann wird immer wieder auch das Internet konsultiert. Postpakete mit Dutzenden lebender Küken treffen ein, eine trächtige Sau wird angeschafft, die in der Folge siebzehn Junge wirft. 

Ein angenehmer Zustand der Disharmonie

Der Film folgt einer Dramaturgie der Rückschläge und Erfolge. Junge Mädels runzeln vor dem Kameraobjektiv die glatten Stirnen über den Schwierigkeiten der Viehzucht und des Ackerbaus. Schnecken und Stare dezimieren die Ernte nicht nur, sie vernichten siebzig Prozent der Früchte. Kojoten erlegen die Hühner. Ein natürlicher Zustand, der zwischen dem Gefühl der Vergeblichkeit und der Hoffnung auf einen ausgewogenen Kreislauf in der Schwebe bleibt.

Doch die Bepflanzungen binden nach einigen Jahren wieder Wasser in der Fläche. Hunde bewachen die Hühner. Vögel halten die Insekten und Schnecken in Schach. Im fünften Jahr sind die Wildtiere in ihre gewohnten Lebensräume eingezogen. Die Eulen kehren zurück und bändigen die Erdhörnchen, welche die Baumwurzeln schädigten.

Das alles wird mit pathetischer Musik in Makro- und Zeitlupeneinstellungen vorgeführt. „Ich habe inspirierende Szenen gefilmt, ohne auf ihre spätere Verwertbarkeit zu achten, ich legte den Fokus auf die Einmaligkeit in genau diesem Moment“, bekundet John Chester. Bei allem übertriebenen Kalkül, das wohl der amerikanischen Lebensart eignet, überzeugt doch der Grundgedanke der Zuständigkeit. Hier haben zwei Menschen den Boden um sich herum verbessert, statt zu versuchen, die ganze Welt zu verbessern. Die beiden befriedigt zuletzt ein angenehmer Zustand der Disharmonie, wenn schon keine Harmonie möglich ist. „Die Natur ist unser Chef und wir tun einfach, was getan werden muß, damit alles funktioniert. Die Belohnung dafür ist die eigene Freiheit und ein Leben in Schönheit.“

Der Film wird gerahmt von Bildern einer Katastrophe ganz anderer Dimension, als sie in den sieben Jahren überstanden wurde. Die Rauch- und Feuerwalze großer Brände wälzt sich der Apricot Lane Farm entgegen. Vorkehrungen für die Evakuierung von Mensch und Vieh sind getroffen. Es ist wie ein Fingerzeig von oben, wenn gegen Ende des Films diese Brände die von den Chesters in Demut und Mühe etablierte zerbrechliche Ordnung verschonen.

Dem Film „Unsere große kleine Farm“ ist die Absicht anzumerken und gleichwohl ist man gerührt. 

Filmstart am 11. Juli 2019  http://unsere-grosse-kleine-farm.de