© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/19 / 12. Juli 2019

Gegen unzulässige Vereinnahmungen
Die Enkelin Claus Schenk Graf von Stauffenbergs versucht Deutungen wie jenen des Biographen Thomas Karlauf zu widersprechen
Oliver Busch

Mit dem zornig klingenden Titel ihres Buches, „Mein Großvater war kein Attentäter“, scheint Sophie von Bechtolsheim, die Enkelin Claus Schenk Graf von Stauffenbergs, einen offenkundigen historischen Sachverhalt bestreiten zu wollen. Wer sonst hat denn am 20. Juli 1944 im ostpreußischen Führerhauptquartier versucht, die Katastrophengestalt Adolf Hitler zu töten?

Daß es ihr Großvater war, bestreitet auch die gelernte Historikerin natürlich nicht. Um den provokanten Titel und damit das Anliegen ihres aus der Familienperspektive geschriebenen Essays zu verstehen, muß man allerdings erst die hermeneutische Gretchenfrage nach der Frage stellen, auf die ihr Text antwortet. Um dann prompt bei Thomas Karlauf zu landen, der mit seiner Stauffenberg-Biographie gerade das „Porträt eines Attentäters“ gezeichnet hat (JF 13/19). 

Interpretationen über den Einfluß von Stefan George

Ihr Büchlein ist also ein Gegenentwurf zu Karlauf, der sich an dessen zentralen Thesen abarbeitet: der 20. Juli sei das Werk eines Offiziers gewesen, den Stefan Georges Geist prägte, und mit seinem Bombenattentat sei der Staatsstreich unlöslich verbunden. Es sei daher nicht, wie es die Nachkriegslegende vom „Aufstand des Gewissens“ besagt, primär aus moralischen, sondern aus politischen Motiven erfolgt. Dem ist zuzustimmen, bei aller Kritikwürdigkeit des Unterfangens, diese Vorstellungswelt als antidemokratisch, nationalistisch, vorgestrig zu denunzieren, um erinnerungspolitisch Tabula rasa zu machen. 

Was Bechtolsheim dagegen vorbringt, ist schwach. Stauffenberg nannte keines seiner Kinder nach dem Dichter, Georges Fluidum blieb ohne Einfluß auf das Familienleben. Dies ist keine ernsthafte Widerlegung Karlaufs, sondern zählt zu dem oft berührenden Bemühen, aus den Anekdoten der Familienüberlieferung den Großvater als „unabhängigen, frechen, warmherzigen Mann“ erstehen zu lassen.        So nähert sich die Enkelin „ganz subjektiv“ ihrem tausendfach schablonisierten Vorfahren, um „ihn sein zu lassen, wie er wirklich war“. Obwohl sie einräumt, daß dieser Anspruch Rankes kaum erfüllbar ist, weil dem Historiker „absolute Gewißheiten“ versagt blieben, attackiert sie alternative Zugriffe als unzulässige „Vereinnahmungen“. Unter denen sie jene der „Neuen Rechten“ ebenso stören wie „krause Deutungsexzesse“ à la Karlaufs Relativierung der Attentäter-Moral. Die will die Enkelin nicht preisgeben, weil sie allein „die zeitlose, hochaktuelle Bedeutung“ des 20. Juli verbürge. Daß es den Verschwörern aber nicht um irgendeine „neue gerechte Ordnung“ oder abstrakte „Freiheit des Menschen“ ging, sondern um die Neuordnung Deutschlands und die Freiheit der Deutschen, leuchtet ausgerechnet einer Historikern nicht ein. 

Von Bechtoldsheim bedankt sich übrigens beim Berliner Historiker Ulrich Schlie für seine „wertvolle fachliche Beratung“. Der widerum lobt die von ihm inspirierte Autorin im Cicero (7/2019) nun exakt dafür, die Verteidigung der jenseits der Nation liegenden Güter „Recht, Freiheit und Demokratie“ als „zeitlose Lehre“ des 20. Juli begriffen zu haben.

Sophie von  Bechtolsheim: Stauffenberg – Mein Großvater war kein Attentäter. Herder Verlag, Freiburg im Breisgau 2019, gebunden, 144 Seiten, 16 Euro