© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/19 / 12. Juli 2019

Der Parabelflieger
Er entwickelte die deutsche V2, schickte die Amerikaner zum Mond, aber landete selbst unsanft
Karsten Mark

Er kam, sah – und wickelte sie alle um den Finger. „Wenn Wernher von Braun über sein Satellitenprojekt spricht“, berichtete Mitte der 1950er Jahre ein amerikanischer Publizist, „leuchten seine blauen Augen wie die eines teutonischen Zauberers aus der Edda.“ Aber über seine Lippen kämen die kühlen Ausdrücke technologischer Prophetie. Er spreche eindringlich mit einem deutschen Akzent und beeindrucke die Militär-Experten tief. „Er kann eine Zuhörerschaft begeistern, seien es nun Ingenieure, Kinder oder theoretische Physiker.“

Von Braun war der Repräsentant des zukünftigen „Menschen im Weltraum“, als der er in einer gleichnamigen Fernsehproduktion mit Walt Disney 1955 sagenhafte 42 Millionen Zuschauer vor die US-amerikanischen Fernsehschirme lockte. Der Spiegel sah ihn als „Kolumbus des Alls“, setzte aber ein Fragezeichen – nicht nur weil der Erfolg der Weltraumfahrt buchstäblich in den Sternen stand.

Auch die Rolle von Brauns während des Krieges als technischer Direktor der Heeresversuchsanstalt Peenemünde war den Deutschen noch präsent. Die Nationalsozialisten feierten von Braun als Vater der V2, der „Vergeltungswaffe“ mit Raketenantrieb. Nach dem Krieg wechselte er nahtlos die Seiten. Als von Braun sich am 2. Mai 1945 mit seinen Vertrauten auf den Weg vom bayrischen Hindelang, wo die Raketeningenieure die letzten Wochen des Krieges in einem Hotel verbracht hatten, hinüber nach Tirol zu den Amerikanern machte, hatte er nicht vor, sich demütig in Kriegsgefangenschaft zu ergeben. Er bat vielmehr General Eisenhower seine Dienste an – und kam damit durch.

„Ich habe nicht erwartet, als Kriegsverbrecher behandelt zu werden“, sagte von Braun in Amerika, „wir hatten die V2 und ihr nicht, deshalb wolltet ihr natürlich alles wissen, war doch klar.“ Es gibt einen Schnappschuß von jenem Tag: Von Braun mit Gipsarm (er hatte vor Wochen einen Autounfall nur knapp überlebt) und Zigarette: auf den Lippen das Lächeln eines Gewinners. Die Amerikaner brauchten den Ingenieur von westpreußischem Adel und seine Männer dringend angesichts des sich abzeichnenden Kampfs der Systeme. Noch hatten die US-Militärs nur die Entwicklung von Mittelstreckenraketen im Kopf als Träger nuklearer Sprengköpfe. Von Braun aber verfolgte seit Kindertagen nur seinen Traum von der bemannten Weltraumfahrt. Die Amerikaner sollten schon noch von ihm lernen, daß es auch ihr Traum war.

Spätestens mit der Mondlandung von Apollo 11 – ins All geschossen mit von Brauns Saturn-V-Rakete – war 1969 die Legende vom genialen Konstrukteur perfekt. Auch in Deutschland. 1970 wurde seinem Großen Bundesverdienstkreuz, das er 1959 erhalten hatte, noch ein Stern hinzugefügt. Schulen und Straßen wurden nach ihm benannt – von Brauns NS-Vergangenheit trat zurück. Sagenhafte 25 Ehrendoktortitel erhielt das Aushängeschild der Nasa bis 1974. Als von Braun 1977 starb, wirkte sein Denkmal unantastbar. Von seiner NSDAP-Mitgliedschaft war keine Rede mehr, seine SS-Mitgliedschaft kam erst nach seinem Tod ans Licht. Die Demontage seines Andenkens begann 30 Jahre später.

2007 eliminierte die Wernher-von-Braun-Realschule Rheinstetten ihren Namenspatron, 2013 und 2015 folgten Schulen in Friedberg bei Augsburg und Neuhof bei Fulda. 2014 benannte Memmingen ihre Von-Braun-Straße in Rudolf-Diesel-Straße um. Einhelliger Tenor: Von Braun tauge nicht als Vorbild. 

Seine V2 war als Rakete ein technischer Meilenstein, militärisch aber kein großer Erfolg. Sie gilt als bislang einzige Waffe, bei deren Produktion – durch Zwangsarbeiter unter miserabelsten Bedingungen – mehr Menschen ums Leben kamen als durch deren Einsatz. 12.000 tote Zwangsarbeiter zählte die SS; Historiker schätzen bis zu 20.000. In London, Antwerpen und Paris kamen durch den Einsatz der V2 unterdessen etwa 8.000 Menschen ums Leben – die meisten von ihnen waren Zivilisten.