© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 30-31/19 / 19. Juli / 26. Juli 2019

„Der Osten steht geschlossen“
AfD: Drei ostdeutsche Landesverbände starten vereint in den Wahlkampf / Innerparteilicher Streit dauert an
Björn Harms

Bis Dienstag hatte die sächsische AfD dem Landeswahlausschuß Zeit gegeben, seine Entscheidung zu korrigieren. Nun ist klar: Eine Reaktion blieb aus, die Partei wird gegen die Mitglieder des Gremiums Strafanzeige wegen Rechtsbeugung stellen. Der Ausschuß hatte am 5. Juli einen Großteil der AfD-Landesliste aus formalen Gründen nicht zugelassen und lediglich die ersten 18 von 61 Plätzen bestätigt (JF 29/19). Bereits am vergangenen Freitag hatte die AfD deshalb Verfassungsbeschwerde beim Verfassungsgerichtshof in Leipzig eingelegt. In dieser berief sich die Partei  auf ein eigens beauftragtes Gutachten von Michael Elicker, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität des Saarlandes. Und das hat es in sich: 

Elicker beklagt in seinem Gutachten die „vage Auslegung allgemeiner Verfassungsgrundsätze“. In keinem Gesetz sei festgeschrieben, daß die Wahl der Landesliste nicht auf zwei Versammlungen stattfinden könne, solange klar kommuniziert werde, daß es sich dabei um eine zusammenhängende, lediglich unterbrochene Veranstaltung handeln würde. Alle Protokolle und Zeitungsartikel aus dem Zeitraum würden diesen Eindruck bestätigen. 

Zudem bezieht sich der Staatsrechtler auf den Wahlprüfungsausschuß des Deutschen Bundestages, der 2006 in einem ähnlichen Fall festgestellt hatte, daß eine Kombination von Einzelabstimmung und Blockabstimmung – der Hauptkritikpunkt des Landeswahlausschusses – rechtlich unbedenklich sei. 

Beim Wahlkampfauftakt der Sachsen-AfD am Sonntag in Lommatzsch legte Landeschef Jörg Urban noch einmal nach. Er sprach von einem „Skandal ohnegleichen“. Der Wahlausschuß sei politisch mißbraucht worden, „weil wir die etablierten Parteien zum Wanken gebracht haben“. 

Umjubelter Starredner des Abends war jedoch ein anderer. Thüringens Landeschef Björn Höcke betrat unter den bekannten „Höcke, Höcke“-Rufen gegen 21 Uhr die Bühne, um zunächst mehrere Minuten lang gegen die „Hauptstrommedien“ zu wettern. Es folgte, ähnlich wie bei seinem Auftritt bei der brandenburgischen AfD in Cottbus am Tag zuvor, ein politischer Rundumschlag: Kritik am Euro, an der Energiewende, an der Einwanderungspolitik und am Verfassungsschutz. „Deutschland verändert sich vor unseren Augen“, so die Warnung Höckes. Gewalt in Freibädern, ausufernde Hochzeitskorsos, Gruppenvergewaltigungen – das alles seien Kennzeichen eines Staatszerfalls. „Noch ist das nur der Westen“, bemerkte Höcke. „Aber die Altparteienpolitiker wollen, daß das auch die Zukunft des Ostens wird. Und das wollen wir nicht.“ 

Die derzeitigen Querelen rund um den Bundesvorstand, den Höcke vor einer Woche auf dem Kyffhäusertreffen noch öffentlich brüskiert hatte, und die daraus folgende Kritik des bürgerlich-konservativen Teils der Partei blieben in Lommatzsch hingegen unerwähnt.

Weidel weist Bericht über Bündnis mit Höcke zurück

Viele Gemäßigte reagieren mittlerweile reichlich genervt auf den ausufernden Personenkult rund um den 47jährigen. Dann solle er eben für den Bundesvorstand kandidieren, forderten am Sonntag der AfD-Vorsitzende in Rheinland-Pfalz, Uwe Junge, die beiden hessischen Landesvorsitzenden Robert Lambrou und Klaus Herrmann und der Berliner AfD-Chef Georg Pazderski in der FAZ. Wer unzufrieden mit der Arbeit des Bundesvorstandes sei, der müsse eben „antreten und es besser machen“. Erst wenige Tage zuvor hatten sie mit 107 weiteren Parteimitgliedern Höckes Auftritt beim Kyffhäusertreffen scharf kritisiert. 

Der Thüringer Landeschef habe mit seinen Äußerungen „die innerparteiliche Solidarität verletzt“ und sei den „Mitgliedern in den Rücken gefallen“, beklagten die Unterzeichner in einem gemeinsamen Appell. Dabei bemängelten sie weniger die Inhalte als vielmehr sein egoistisches Verhalten. Höcke würde „dem um sich greifenden Verdacht Vorschub leisten“, daß es ihm „in erster Linie um den ‘Flügel’ und nicht um die AfD geht“. Klar jedoch sei: „Die AfD ist und wird keine Björn-Höcke-Partei!“

Wie zerrissen die Partei tatsächlich ist, zeigt auch ein Blick auf die Unterstützerliste des Appells. Von 47 Landtagsabgeordneten, die den Brief unterzeichnet haben, stammt kein einziger aus den neuen Bundesländern. Unter den elf Bundestagsabgeordneten des Appells finden sich mit Verena Hartmann und Lars Herrmann lediglich zwei sächsische. Auch die beiden Parteivorsitzenden Alexander Gauland und Jörg Meuthen sowie die Chefin der AfD-Bundestagsfraktion Alice Weidel versagten dem Aufruf ihre Unterschrift. Einen Bericht des Spiegels, wonach Höcke und Weidel sogar ein Bündnis geschlossen hätten, wies letztere jedoch zurück. „Von einem Bündnis zu sprechen ist völliger Unsinn“, sagte Weidel der JUNGEN FREIHEIT. „Ich betreibe keine Paktiererei innerhalb der Partei. Als Fraktionsvorsitzende ist es aber natürlich meine Aufgabe, stets dialogbereit zu sein“. Es tue der Partei mit Sicherheit gut, „wenn Meinungsverschiedenheiten intern ausgefochten werden und nicht über die Medien“. 

Die Landesverbände in Sachsen, Brandenburg und Thüringen jedenfalls üben demonstrative Geschlossenheit. 30 Jahre nach dem Mauerfall sehnen sie sich bei den Landtagswahlen im September und Oktober eine „Wende 2.0“ herbei, wie es im Wahlkampfmotto heißt. „Der Osten steht geschlossen“, rief auch Brandenburgs Landeschef Andreas Kalbitz den rund 800 AfD-Anhängern in Cottbus entgegen. Gastredner Jörg Meuthen schloß sich vor Ort diesem Tenor an: Die Partei ringe „zuweilen auch miteinander um den richtigen Weg und die richtige Politik“, gestand er ein. Doch eins sei klar: Man lasse sich nicht spalten.

Jörg Meuthen erleidet Niederlage an der Basis

Bereits zwei Tage später mußte Meuthen jedoch eine empfindliche Niederlage an der Basis einstecken. Der AfD-Bundessprecher wurde in seinem Kreisverband mit knapper Mehrheit nicht zum Delegierten für den Bundesparteitag gewählt. Somit darf er am Parteitag Ende November zwar teilnehmen und auch sprechen, wählen aber darf er den neuen Bundesvorstand dann nicht. Maßgeblich dafür verantwortlich sein soll Stefan Räpple, ein treuer „Flügel“-Mann, gegen den derzeit ein Parteiausschlußverfahren läuft. Er habe im Vorfeld massiv für die Abwahl Meuthens geworben, heißt es aus Parteikreisen.