© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 30-31/19 / 19. Juli / 26. Juli 2019

Deutscher Fiskus subventioniert China
Online-Handel: Wie asiatische Anbieter 19 Prozent Steuer und den Zoll sparen
Ralph Meese

Zehntausende kleine graue Plastiktüten werden jeden Tag am Flughafen in Frankfurt am Main mit noch kleineren grünen Zetteln beklebt: „Von zollamtlicher Behandlung befreit“, versichert darauf die Deutsche Post. Und die Ware aus China, Malaysia oder Hongkong wird auf dem Weg zu ihrem Empfänger gebracht.

Der Online-Einkauf aus Fernost erfreut sich bei den Deutschen wachsender Beliebtheit. Erstmals habe im OnlineHandel die Warengruppe Elektronik und Kommunikation den lange Jahre dominierenden Bereich der Bekleidung überholt, meldet die Welt: Im vergangenen Jahr haben private Kunden rund 330 Millionen Elektronikartikel bestellt, was ein Plus von 20 Prozent im vergleich zum Vorjahr bedeutet. 70 Millionen Sendungen kommen aus China, weitere Millionen aus anderen asiatischen Ländern. 

Asiatische Güter sind beliebt, weil sie bei zunehmender Qualität billig sind, bis zu einem Wert von 22 Euro nach der De-minimis-Regel nicht der Einfuhrumsatzsteuer von meist 19 Prozent unterliegen, bis zu 150 Euro auch zollfrei sind und meistens für den Käufer keine Portokosten anfallen. Viele kleine Händler umgehen so weitere Kosten. Ein 16-GB-USB-Stick kostet beispielsweise im Sofortkauf auf der Auktionsplattform Ebay lediglich etwas mehr als zwei Euro, im deutschen Einzelhandel dagegen mindestens das Doppelte. Auch der Kauf von Anschlußkabeln, Adaptern, Armbanduhren oder modischen Leggings kann sich so lohnen.

Das alles freut zwar den preisbewußten Kunden, ist aber ein Ärgernis für den Fiskus, den Einzelhandel und die Postunternehmen, speziell die DHL, die die aus dem Ausland eingehenden Sendungen zu den vom Weltpostverein vorgegebenen Konditionen zustellen muß.

Alle EU-Staaten drängen auf Abhilfe, am liebsten auf europäischer Ebene. Denn auch Franzosen, Briten, Niederländer, Schweizer, Österreicher und Polen kaufen gern in den Online-Shops ausländischer Händler ein. In der Eidgenossenschaft werden täglich gut 120.000 Kleinwarensendungen aus dem Ausland zugestellt, davon 80.000 aus Asien. 2017 waren es noch 45.000.

Weltpostverein handelt neuen Vertrag aus

Der Weltpostverein, der die Gebühren und ihre Verrechnung für Postsendungen zwischen Ländern regelt, hat für Staaten wie China, das als Entwicklungsland gilt, besonders niedrige Portosätze festgelegt. Derzeit handeln die 192 Mitgliedsländer der Organisation eine neue Gebührenordnung im Weltpostvertrag aus. Die Industrienationen wollen künftig keine Lieferungen aus China mehr subventionieren. Bereits 2018 trat der „Integrated Product Plan“ in Kraft, nach dem Dokumentensendungen von Warensendungen getrennt werden, damit letztere nicht mehr als Brief gewertet werden können und in eine höhere Portostufe fallen. Die neu geschaffene Preisgruppe „E“ gilt seither für Warensendungen bis zwei Kilo. Daß sich damit Warensendungen aus Asien verteuern oder gar – wie ursprünglich geschätzt – preislich verdoppeln, ist in der Praxis nicht erkennbar, wohl auch weil viele asiatische Händler weiterhin Kleinstpakete widerrechtlich als Briefe deklarieren und die Weltpost die gerichtliche Auseinandersetzung scheut.

Brüssel dagegen will den Freibetrag für Warensendungen bis 22 Euro ersatzlos streichen. Überdies sollen Marktplatzbetreiber wie Amazon ab 2021 dazu verpflichtet werden, die Umsatzsteuer von Händlern abzuführen, die Waren aus dem Ausland in die EU liefern. In der Schweiz wurde der Bundesrat Ende März vom Nationalrat verpflichtet, „Maßnahmen zu treffen, um ausländische Online-Marktplätze und Dienstleistungs-Plattformen bei Lieferungen oder Dienstleistungen in die Schweiz der Mehrwertsteuer zu unterstellen“. 

Bereits zu Jahresbeginn waren auf Antrag von Ständerat Beat Vonlanthen (CVP) die Regeln für den Online-Handel bei Verkäufen aus dem Ausland in die Schweiz verschärft worden. Ausländische Online-Shops sollten künftig bei Kleinsendungen mehrwertststeuerpflichtig sein, wenn sie einen jährlichen Umsatz von mehr als 100.000 Franken machen. Die bisher geltende Freigrenze von 65 oder 200 Franken pro Kleinsendung wurde aufgehoben.

Aber die asiatischen Händler haben neue Schlupflöcher gefunden und die Online-Plattformen wehren sich. Alibaba, Aliexpress und Wish fühlen sich im eigenen Verständnis lediglich als Vermittler zwischen Käufer und Verkäufer und weigern sich, dafür einzustehen, daß ausländische Händler Mehrwertsteuer zahlen, auch wenn sie für diese die Logistikaufgaben übernehmen. Überdies kaufen viele Kunden inzwischen in den 71 chinesischen Onlineshops direkt ein, ohne Amazon oder Ebay. 

„Es ist unmöglich, alle Marktplätze zu überwachen“

Nach Recherchen des österreichischen Handelsverbandes liegen 97 Prozent aller Pakete aus China in die EU unter der 22-Euro-Grenze. Überdies haben Testbestellungen des Verbandes Mehrwertsteuerbetrug, Produktfälschungen und Sicherheitsrisiken bei den Drittstaaten-Plattformen aufgedeckt.

Von einem Katz-und-Maus-Spiel spricht Oliver Prothmann, Präsident des Bundesverbandes Onlinehandel (BVOH). In Deutschland gebe es neben Amazon und Ebay 80 solcher Markplätze. Es sei unmöglich, alle zu überwachen: „Sie können einen anderen Marktplatz benutzen, wo deutsche Behörden keinen Zutritt haben.“ Der Spiegel faßte vor einiger Zeit zusammen: „Falsche Angaben über den Inhalt, fehlende Steuernummern, falsche Rechnungen: Der Steuerbetrug im Online-Handel kostet den Fiskus Hunderte Millionen Euro.“ 

Ausgeklügelt ist auch das Vorgehen der chinesischen Online-Anbieters Gearbest. Dieser sendet Waren von Shenzhen an ein scheinbar nicht verbundenes Unternehmen in Großbritannien, berichtet Michael Tervooren, Zollexperte der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC: „Bei einem B2B-Geschäft (Anm. d. R.: von Unternehmen zu Unternehmen) dürfen nichtverbundene Vertragspartner einen Preis frei wählen und der liegt dann in der Regel unter der Grenze von 22 Euro.“ Dazu komme, daß die Prüfdichte des britischen Zolls nicht dem deutschen Standard enspreche. Die Ware ist nun innerhalb der EU und wird zollfrei verschickt.

Die Marktverzerrungen und Verbraucherschutzverstöße würden den asiatischen Online-Händlern einen massiven Wettbewerbsvorteil verschaffen, kritisiert der österreichische Handelsverband und fordert konkrete Maßnahmen: eine Umsetzung der digitalen Verzollung und Versicherung ab dem ersten Cent schon ab 1. Januar 2020 und damit die Streichung der 22-Euro-Freigrenze. Schweden habe vorgemacht, daß diese Umstellung innerhalb eines Vierteljahres möglich sei.

Den „sprichwörtlichen Spieß umdrehen“ will BVOB-Präsident Prothmann und den europäischen Online-Händlern mit der Plattform Panda.Black ein „Sprungbrett in den Fernen Osten bieten“. Schier grenzenlos seien in China die Chancen. Wer auf dem größten Markt der Welt nicht Fuß fassen kann, werde es in Zukunft schwer haben.