© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 30-31/19 / 19. Juli / 26. Juli 2019

CD-Kritik: Giacomo Meyerbeer
Angerissenes
Jens Knorr

Dieses ist eines jener Alben, denen man ratlos das Prädikat „verdienstvoll“ anheften möchte. Nach ihrer Einspielung mit ausgewählten Liedern, Romanzen und Mélodies, die Giacomo Meyerbeer 1850 zur Veröffentlichung gegeben hatte (JF 03/15), hat die Sopranistin Andrea Chudak weiter recherchiert und Autographen und Erstdrucke von 14 Vokalkompositionen aufgefunden, die als verschollen gegolten hatten.

Auch die 38 Kompositionen des neuen Albums hat Chudak ihrer Entstehung nach chronologisch angeordnet. Obzwar Chudak, Julian Rohde (Tenor) und Tobias Hagge (Baß) die Lieder in den von Meyerbeer vorgesehenen Stimmlagen reproduzieren, begleitet von Alexandra Rossmann am Klavier, vermögen sie die behauptete musikalische Entwicklung Meyerbeers nicht hörbar zu machen. Zu unterschiedlich sind kompositorischer Kontext und Faktur der einzelnen Lieder, als daß sie über den Einheitskamm so engagierter wie defizitärer Reproduktion geschoren zu werden verdienen. Die Einspielung darf höchstenfalls bibliothekarisches Interesse beanspruchen.

Das Marketing nimmt den jüdisch-deutsch-französisch sozialisierten Meyerbeer als „musikalischen Freigeist und Europäer“ in Beschlag. Wenn Eroberung und Verteidigung einer marktbeherrschenden Position einen guten Europäer ausmachen soll, dann wäre das keine gute Idee von Europa.

Meyerbeer Romanzen, Lieder, Balladen (2 CDs) Bella Musica/Antes Edition, 2019  sopranissimo.de  bella-musica.de