© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 30-31/19 / 19. Juli / 26. Juli 2019

Spiegelbilder einer Generation
Neue Meme-Charaktere geben Aufschluß über die Gefühlswelt junger Internetnutzer
Björn Harms

In den vergangenen Monaten tauchten in den sozialen Medien einige rätselhafte „Memes“ (JF 18/18) auf, die vor allem bei der jüngeren Internetgeneration für Furore sorgten. Da gibt es etwa den Boomer („der Aufbrausende“), den Zoomer („der Flitzer“), den Doomer („der Verlorene“), den Gloomer („der Schwermütige“), den Bloomer („der Aufblühende“) oder auch den Honkler („der Hupende“). Die Ursprünge dieses Internetphänomens lassen sich in anarchischen Foren wie 4chan finden, einer der meistbesuchten Seiten des Internets und gleichzeitig Wiege der „Anonymous“-Bewegung.

Mittlerweile haben die Begriffe sogar Einzug in das „Urban Dictionary“ erhalten, das englischsprachige Online-Wörterbuch für Slangwörter und -ausdrücke. Welche Bedeutung aber haben die mehr oder weniger lustigen Comic-Bildchen genau? Die Anworten sind aus philosophischer Sicht durchaus interessant. Denn im Grunde geht es um Bezeichnungen für Persönlichkeitsstrukturen, die wir überall in der Gesellschaft wiederfinden. Sie stehen für eine Haltung dem Leben gegenüber, eine philosophische Erkenntnis, eine Weltanschauung. Man kann sich mit ihnen identifizieren, oder aber in seinem Freundeskreis nach Personen suchen, die dem einen oder anderen Idealtypus höchst ähnlich sind.

Zwischen Verzweiflung und Hoffnung

Der Begriff Boomer geht auf den Terminus „Babyboomer“ zurück, also die Generation, die in den sechziger Jahren geboren ist, in relativer Sicherheit aufwuchs und keinen Krieg mehr miterleben mußte. Doch der hier gemeinte Boomer muß nicht zwangsläufig dieser Generation angehören, sein Alter ist sekundär. Ihn kennzeichnet vor allem ein altbackenes, ignorantes Weltbild. Der Boomer denkt alles unter Kontrolle zu haben, weil er die Welt zu kennen glaubt. Er ist ohne Internet aufgewachsen, was auch nach außen hin sichtbar wird. Boomer verstehen nicht, daß sich die Welt längst verändert hat, geben aber immer wieder veraltete Ratschläge und leben in der Vergangenheit. „Als ich in deinem Alter war ...“, ist einer seiner Lieblingssätze. Für neue Fakten ist er nur schwer zugänglich. Wenn es nach dem Boomer ginge, hätte er einfach gerne die achtziger Jahre zurück. Helmut Kohl und Soziale Marktwirtschaft – da war doch noch alles in Ordnung, oder?

Die Zoomer hingegen wurden vom Internet erzogen. Geboren sind sie meist Ende der Neunziger. Damit repräsentiert die sogenannte „Generation Z“ die erste globale Kultur der Geschichte – mit all ihren positiven wie negativen Auswirkungen. Der Zoomer zockt an der Konsole, interessiert sich für Kryptowährungen und betreibt einen eigenen Youtube-Kanal. Doch je tiefer er sich in die Sphären des Internets begibt, um so höher ist die Wahrscheinlichkeit, daß er zum Doomer wird. Der ist meist in den Zwanzigern und vornehmlich männlich. Der Doomer leidet unter der Sinnlosigkeit des menschlichen Daseins, ist einsam, verzweifelt, bisweilen sogar suizidgefährdet. Die Welt empfindet er als absurd und chaotisch, die Menschheit als gierig und oberflächlich. Jean Pauls Begriff „Weltschmerz“ scheint wie auf ihn zugeschnitten. Der Doomer reagiert auf diese äußeren Einflüsse mit Rückzug aus der Gesellschaft, freiwilliger Isolation und Apathie. Ist er draußen unterwegs, hat er meist Kopfhörer auf. Ein hoher Drogen- und Pornokonsum sind keine Seltenheit. Hilfe von außen läßt der Doomer nicht an sich ran. Das ist eben die Tragödie des postmodernen Lebens, denkt er sich.

Im Gegensatz zum Doomer, der kontinuierlich tiefer in die Spirale der Hoffnungslosigkeit absteigt, hat der Gloomer sich ein kleines bißchen Hoffnung bewahrt, auch wenn sie noch so gering ist. Er findet Schönheit in der Melancholie und entdeckt sie für sich. In einer seltsamen Art und Weise erfüllt ihn die Schwermütigkeit. „Weil die Welt so voll von Tod und Grauen ist, darum suche ich immer wieder mein Herz zu trösten und die schönen Blumen zu pflücken, die es inmitten dieser Hölle gibt“, heißt es nicht umsonst in „Narziß und Goldmund“ von Hermann Hesse.

Auch der Bloomer hat genügend Kenntnisse über die harte Realität dort draußen. Doch die äußeren Einflüsse stoppen ihn nicht, ein positives und glückliches Leben zu führen. Wo andere Hindernisse sehen, erkennt er Möglichkeiten. Probleme inspirieren ihn. Der Bloomer will seine Umwelt bewußt wahrnehmen. Er benötigt keine Kopfhörer. „Auf der Heide blüht ein kleines Blümelein“, trällert es einem von weitem entgegen. „Und das heißt: Eeeeerika!“

Der Honkler hingegen hat im Grunde schon mit allem abgeschlossen. Er betrachtet Politik und Medien, sieht eine Welt voll Absurdität, eine Freakshow aus modernem Feminismus, ausuferndem Liberalismus und Masseneinwanderung, und überspielt seinen völligen Nihilismus mit schwarzem Humor. Während die Gesellschaft kollabiert, lacht er sich kaputt. Sein Markenzeichen: Pepe der Frosch mit Regenbogenperücke und roter Clownsnase. Drückt er zweimal auf seine Nase, entsteht das prägende „Honk Honk“-Geräusch.