© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 30-31/19 / 19. Juli / 26. Juli 2019

Knapp daneben
Klauen, was tragbar ist
Karl Heinzen

Immer mehr Angestellte stehlen am Arbeitsplatz. Zu diesem Ergebnis kommt eine Umfrage, die das Softwarehaus protecting unter 1.300 britischen Managern durchgeführt hat. Noch sind es eher lapidare Gegenstände, die entwendet werden, Stifte oder Druckerpatronen, mitunter sogar Toilettenpapier, und ihr Gesamtwert pro Beschäftigtem beläuft sich auf gerade einmal 12,5 Pfund pro Jahr. Hochgerechnet auf die Volkswirtschaft des Königreichs ergibt sich ein mutmaßlicher Schaden von 190 Millionen Pfund. Dafür kann ein Verein der Premier League heutzutage gerade einmal einen mittelmäßigen Fußballer kaufen. Setzt sich dieser Trend aber fort und bleibt die Aufklärungsquote so gering wie sie mit sieben Prozent momentan ist, kann man keinem Unternehmen raten, weiterhin in Anlagevermögen zu investieren, das tragbar ist und nicht von Scharfschützen bewacht wird. Für alles, was man in Büros und Fabriken stehlen kann, von Möbeln und Computern bis hin zu Waschbecken, Elektroinstallationen und Werkzeugen gibt es auch einen privaten Bedarf oder man kann das Zeug auf dem öffentlichen Schwarzmarkt weiterverkaufen. 

Solange Diebstähle zur Zufriedenheit der Mitarbeiter beitragen, kann man ruhig ein Auge zudrücken.

Viele Arbeitnehmer sind nur noch nicht auf die Idee gekommen, daß die Gaunereien, die sie im Kleinen schon immer begangen haben, auch im Großen funktionieren könnten. Bei allem Verständnis, auf das sie in weiten Teilen der Öffentlichkeit und möglicherweise auch bereits der Justiz damit stoßen dürften, wären derartige Taten bis auf weiteres wohl noch strafbar. Müßten sie deshalb ein schlechtes Gewissen haben? 

Wohl kaum, denn jeder weiß, daß Arbeitnehmer grundsätzlich unter Wert bezahlt werden, ansonsten könnten Unternehmen schließlich keine Profite machen. Wenn sie in ihrem Betrieb stehlen, bedienen sie sich nur an fremdem Eigentum, das sie durch ihre Arbeit mit geschaffen haben. Klauen ist zudem unkomplizierter, als eine Gehaltsverhandlung mit ungewissem Ausgang zu führen. Auch Unternehmen sollten dafür Verständnis aufbringen: Solange Diebstähle zur Zufriedenheit der Beschäftigten beitragen ohne die Betriebstätigkeit zu gefährden, kann man ruhig ein Auge zudrücken.