© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 32/19 / 02. August 2019

Boris Johnson. Der Neue in der Downing Street hat von Beginn an die Politik aufgemischt
Der Punk- Premier
Tobias Dahlbrügge

Es paßt zusammen, daß Boris Johnson lange Herausgeber des konservativen Magazins The Spectator war und es eine britische Punkband namens The Spectators gibt. Denn der Große mit dem blonden Wuschelkopf sieht immer ein bißchen wie ein Punkrock-Sänger aus und ebenso liebt er provokante Töne. Schon als Bürgermeister von London von 2008 bis 2016 haute er in Interviews gerne auf die Pauke. Viele Briten empfanden seine Lausebengel-Attitüde als erfrischend.

Dabei ist Johnson eigentlich Amerikaner: Der 55jährige wurde als Alexander Boris de Pfeffel Johnson 1964 in New York geboren. Seine Ahnenlinie reicht bis ins württembergische Königshaus. Der Eton-Absolvent studierte Altertumsgeschichte in Oxford und Brüssel, dann stieg er in den Journalismus ein. Der konservative Daily Telegraph schickte ihn schließlich als Korrespondent nach Brüssel.

Johnson schrieb aber nicht nur Artikel wie am Fließband, sondern auch Bücher, darunter 2004 den heiteren Roman „72 Jungfrauen“, in dem Islamisten ein Attentat auf den in London weilenden US-Präsidenten auf lustige Weise mißlingt. Schließlich landete er beim traditionsreichen, ebenfalls konservativen Spectator. Im Mai 2016 rief Johnson anläßlich der Böhmermann-Affäre einen Gedichtwettbewerb aus. Den er natürlich selbst gewann – mit einem Limerick, in dem er Recep Tayyip Erdogan allerdings als „wanker“ (Wichser) beschimpfte. Wenige Wochen später zum Außenminister berufen, zeigte er große Antipathie gegenüber Hillary Clinton und Barack Obama – Trump liebt ihn schon jetzt! Nun hat der Vater von vier Kindern seinen Antrittsbesuch als Premier bei der Queen artig überstanden, ohne Porzellan zu zerdeppern. 

Für deutsche „Qualitätsmedien“ ist der böse Boris eine willkommene Abwechslung vom täglichen Hau-den-Trump – und sonst nur Victor Orbán und Matteo Salvini anzupinkeln ist auch langweilig. Zur Premierwahl überkübelten sie den Gehaßten mit Unverschämtheiten. Was sie nicht begreifen, ist, daß Johnson sich zwar gerne als Klassenclown geriert, der aussieht wie eben aus dem Bett gekrochen, tatsächlich aber hat er bestimmt nicht weniger Bildung genossen als die meisten Redakteure in Hamburg oder München; außerdem hegen die Engländer traditionell eine große Sympathie für spleenige Exzentriker. Den Fahrschein nach Downing Street No. 10 löste der passionierte Fahrradfahrer mit komfortabler Zweidrittelmehrheit im Parlament. 

Obwohl Johnson reich ist, feiert ihn die britische Unterschicht, die nämlich „die Pennies in der Tasche zählt und nicht die Anzahl möglicher Geschlechter“ (Roland Tichy). Von „The Boris“ – der im Brexit-Streit das Blaue vom Himmel versprach und im Wahlkampf Nonsens wie „Wenn Sie die Konservativen wählen, bekommt Ihre Frau größere Brüste!“ – werden wir noch viel hören.