© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 32/19 / 02. August 2019

Ein Protokoll offenbart peinliche Pannen
Bündnispolitik: Die Nato fordert von Deutschland dringend höhere Rüstungsausgaben / Ein Manöver verdeutlicht, woran es vor allem hapert
Paul Rosen

Der Kommandeur der Panzerlehrbrigade 9, Brigadegeneral Ullrich Spannuth, war begeistert: „Die Möglichkeiten, hier in Norwegen zu üben, sind einzigartig.“ Die Ergebnisse des Nato-Großmanövers „Trident Juncture“ („Dreizack-Verbindung“) im Oktober und November 2018 waren in der Tat einzigartig, allerdings nicht so, wie von Bundeswehr und Nato erwartet. Es kam zu massiven Ausfällen der Technik: Viele Einheiten hatten keinen Strom, konnten nicht telefonieren oder funken. Die Navigation mit dem Satellitensystem GPS funktionierte häufig nicht, das Radar versagte. Kurzum: Das Bündnis war oft blind und taub. Diese Erkenntnis steht freilich im Widerspruch zu den offiziellen Verlautbarungen – und war offenbar auch nicht für die Öffentlichkeit gedacht.

Denn die westliche Allianz hatte im hohen Norden alles aufgeboten, was fahren, schwimmen und fliegen konnte. „Trident Juncture“ sollte zeigen, wozu die Nato fähig ist. Vor allem den Russen. Zwar wurde Moskau nicht direkt genannt. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg erklärte: „Um in einer unberechenbaren Welt Sicherheit zu garantieren, muß das Bündnis stark bleiben. Die Übung ist defensiv.“ Deutlicher war damals aber der außenpolitische Sprecher der SPD im Europaparlament, Knut Fleckenstein, geworden: „Natürlich ist das wegen Rußland.“

„Entscheidend fürs Überleben der Soldaten“

Daher wurden für „Trident Juncture“ auch so massive Truppen in Bewegung gesetzt. Insgesamt waren 50.000 Soldaten im Einsatz. Während des Manövers sollten die „Südlichen Kräfte“ (dargestellt von Truppen aus Deutschland, Großbritannien und Italien) einen Angriff „Nördlicher Kräfte“ (USA, Kanada und Norwegen) zum Stehen bringen. Danach sollten die „Südlichen“ die „Nördlichen“ wieder aus Norwegen hinausdrängen. Zum Einsatz kamen insgesamt 250 Flugzeuge, 65 Schiffe und 10.000 Fahrzeuge. Besonders hoch war der deutsche Anteil mit 8.000 Soldaten, 16 schweren Leopard-2-Panzern, 29 Schützenpanzern „Marder“ und 150 Spezialfahrzeugen.

Ein halbes Jahr nach „Trident Juncture“, im vergangenen Mai, kam in der norwegischen Hauptstadt Oslo eine illustre Runde von Militärs, Rüstungs- und Regierungsvertretern zur Manöverkritik zusammen. Das Treffen „Nitec 19“ wurde von der Nato-Agentur für Kommunikation und Information (NCI Agency) ausgerichtet. Die Fachleute halten Investitionen in Höhe von 1,4 Milliarden Euro für erforderlich, um die während des Manövers erkannten Schwächen auszubügeln. Das Geld soll hauptsächlich für Überwachungs- und Aufklärungsdienste, bessere Kommunikationssysteme und zum Schutz vor Cyber-Attacken ausgegeben werden. Die Defizite dürften auch ein Grund sein, warum die neue Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) gleich mit Beginn ihrer Amtszeit so vehement für eine Erhöhung der Rüstungsausgaben eintritt.

Auf der Konferenz wurde selbst von Politikern kein Blatt vor den Mund genommen, wie einer vom Förderkreis Deutsches Heer erstellten Zusammenfassung zu entnehmen ist. Der Förderkreis ist die wichtigste Schnittstelle zwischen dem deutschen Heer, der Rüstungswirtschaft und der Politik, wie ein Blick auf die Zusammensetzung des Präsidiums zeigt: Präsident ist der frühere Generalmajor Wolfgang Köpke, Vizepräsidenten sind der Chef des Panzerbauers Krauss-Maffei Wegmann, Frank Haun, und der Bundestagsabgeordnete Oswin Veith (CDU), der zugleich Präsident des Reservistenverbandes ist.

Laut Förderkreis-Bericht über die „Nitec 19“ sagte etwa Nato-Admiral Arne Morten Gronningsater (Joint Force Command Norfolk): „Während Trident Juncture stellten wir fest, daß für manche Staaten die Logistik eine Herausforderung war, für manche Staaten war die Bekleidung eine Herausforderung, und für andere das Wetter.“ Der norwegische Verteidigungsminister Frank Bakke-Jensen nannte als zentrales Kommunikationshindernis eine atmosphärische Erscheinung: die Nordlichter. Dieses Wetterphänomen störte offenbar alle Kommunikationsmittel der Nato massiv. Die Nordlichter beeinträchtigten auch das Radar erheblich.

Die Kommunikationsstörungen hatten noch weitere Ursachen. „Die Kälte würde eigentlich auch eine ganz andere Art von Batterie erfordern“, so der Förderkreis. Offenbar waren die Einheiten fernab von Ortschaften und ohne Strom. Auch Hubschrauber haben offenbar im hohen Norden besondere Probleme mit dem Wetter. 

Sorgen bereiten auch die Fähigkeiten der russischen Abwehr: Laut Förderkreis gibt es in der Arktis weite Gebiete mit potentiell gestörtem GPS und gestörter Kommunikation. Dabei seien GPS und Kommunikation „für das reine Überleben der Soldaten von entscheidender Bedeutung“, so der Förderkreis. Nato-General Camille Grand machte in Oslo klar, wie ernst die Lage ist: „Die potentiellen Gegner in der Arktis haben massiv in neue Technologien investiert. Wir haben uns daran gewöhnt, daß die Nato an der Spitze des Fortschritts steht und allen Gegnern technisch überlegen ist, aber dies entspricht möglicherweise heute nicht mehr der Wahrheit.“