© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 32/19 / 02. August 2019

CD-Kritik: Ludwig Mittelhammer
Irgendwie interessant
Jens Knorr

Dieser Sänger ist zu wichtig, um ihn nicht zu kritisieren! Seine Interpretationen von sechs Liedern des russischen Komponisten Nikolai Medtner geben besten Aufschluß über Reifung der Stimme und ihres Trägers. Ob Ludwig Mittelhammer (*1988) in die Lieder noch nicht hineingewachsen ist oder sie zu leicht befunden hat: dem spezifischen Ton der virtuosen Wechselbälger aus Salon-Romantik und Antimoderne vermag er sich nur angestrengt zu nähern. Auf vermeintlich gewohntem Terrain bewegt sich Mittelhammer bei den Klassikern Franz Schubert und Hugo Wolf. Schuberts „Alinde“ paßt nicht nur auf seinen hell timbrierten Bariton, sondern sich auch in den Erfahrungshorizont des Sängers ein, der das Lied mit ironisch-ernsthaftem Ton erfüllt. Noch weist ein Lied wie Wolfs „Wo find ich Trost“ den Sänger in seine Grenzen – des Ausdrucks und der Technik.

Das Geheimnis künstlerischer Ausdrucksgewalt liegt in der Fähigkeit, fremde Empfindung zu verinnerlichen und nicht lediglich eigene Empfindung zu veräußerlichen. Wenn Mittelhammer sein Kunstwollen von privater Betroffenheit weg auf die Schichtungen der Lieder hin richtete, wenn er deren Protagonisten nicht mit ihrem Sänger verwechselte, dann sollte ein bedeutender Interpret hinter den Liedern hervortreten. Nicht irgendwie interessant, sondern unverwechselbar.

Ludwig Mittelhammer Schubert, Wolf, Medtner Berlin Classics 2019  berlin-classics-music.com