© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 32/19 / 02. August 2019

Neoliberale Agenda im Blick
Gelbwesten gegen Macron durch die linke Brille
Oliver Busch

Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron ist von deutschen Journalisten und Intellektuellen, allen voran von der „philosophischen Weltmacht“ (Die Zeit) Jürgen Habermas, stets als Heilsbringer angehimmelt worden, von dem man das Wunder des europäischen Bundesstaates erhofft, der die Nationalstaaten in der EU endlich liquidieren möge. 

In Frankreich sind viele weit weniger von dieser postnationalen Lichtgestalt entzückt. Wie seit Monaten in vielen Kommentaren zu der inzwischen abgeebbten sozialen Protestbewegung der „Gelbwesten“ nachzulesen ist. Habermas’ Kollege, der mit leninistischen Positionen liebäugelnde uraltlinke Pariser Philosoph Étienne Balibar, hat gerade im neomarxistischen Theorieorgan Das Argument (331/2019) die desorientierte deutsche Linke darüber ins Bild gesetzt, wie sich Macron dank der „Revolte der Gelbwesten“ zur Kenntlichkeit verändert hat. Der mittels Managementmethoden und ohne jede Verankerung in den demokratischen Institutionen an die Macht gelangte Rothschild-Banker sei ein Büttel der Finanzaristokratie, dem die Vollstreckung der neoliberalen Agenda obliege  und der die „duale Gesellschaft“, „die auf eine Explosion zusteuert“, noch in letzter Minute betonieren solle, indem er fiskalpolitisch weiter rücksichtslos von unten nach oben verteile. Eine „wirkliche Neugründung Europas“, wie von seinen Jubelpersern diesseits des Rheins erträumt, habe der Präsident der „herrschenden Technokratie“ keinesfalls im Sinn.

Nicht zufällig entzündete sich der Protest der Gelbwesten im Herbst 2018 an einer „schamlos als ökologisch deklarierten Benzinsteuer“, die Macron im Zuge seiner „Politik der Verarmung“ einführte, „um den sozialen Kahlschlag zu beschleunigen“. Die Idee sei es zweifellos gewesen, die Zivilgesellschaft mit einem Mehr an „Abgehängtwerden und sozialer Unsicherheit“ weiter zugrunde zu richten, ohne fürchten zu müssen, „daß da welche zurückschlagen“. Die Zugeständnisse, zu denen die Wucht der „direkten Aktionen“ Macron im Dezember 2018 zwang, so ist Balibar überzeugt, bringen nur temporäre Entspannung. Die krasse Steuerungerechtigkeit bestehe weiter. Ebenso die „verallgemeinerte Prekarisierung der Lebenstätigkeit“, unter der heute Millionen von Franzosen aus allen Schichten ächzen. Da es hier um eine Systemfrage gehe, werde Macron im Prinzipiellen nicht nachgeben, sondern sich lieber immer weiter in die neoliberale Sackgasse verrennen und dabei auch riskieren, den Ausnahmezustand erklären zu müssen.