© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 32/19 / 02. August 2019

Kombination des Grauens
Badelatschen und Sportsocken polarisieren selbstironische Anhänger und überzeugte Gegner
Boris T. Kaiser

Weiße Socken in Badelatschen galten jahrzehntelang als die Mutter aller Modesünden. Für viele waren sie das Paradebeispiel teutonischer Stillosigkeit und Sinnbild des plump-peinlichen deutschen Touristen, für den man sich als urbaner Globetrotter „from Europe“ auf der ganzen Welt in Grund und Boden zu schämen hatte. Die sogenannte Adilette galt allerhöchstens im Schwimmbad auf dem kurzen Weg von der Dusche zum eigenen Spind als irgendwie tragbar. Wer unbedingt etwas Sandalenartiges an den Füßen haben und dabei trotzdem hip sein wollte, mußte dafür zumindest büßen, indem er Flip-Flop trug und sich regelmäßig an dem kleinen Riemen der bunten Kunststoffteile die Zehenzwischenräume aufriß. Socken waren natürlich auch hier tabu. Zeiten ändern sich. Wohl für kaum einen Bereich gilt das mehr als für die Mode. Seit wenigen Saisons sieht man immer mehr trendige junge Herren in Metropolen wie Berlin in den einstigen „No Gos“ über den Großstadtasphalt gehen. Beliebte Marken wie Nike, New Balance und sogar Lacoste und Gucci bringen die Latschen in allen möglichen Farben, Formen und Preisen an den modernen Mann. 

Natürlich läßt auch Adidas selbst sich die unerwartete stilistische Rehabilitierung seines alten „Klassikers“ kommerziell nicht entgehen. Der neue Trend zum Prolo-Look beschränkt sich dabei keinesfalls auf deutsche Füße. Im Gegenteil, die Ursprünge des Trendwechsels sollen ausgerechnet in der Modemetropole Paris liegen. Eine wesentliche Mitschuld tragen dabei angeblich der Rapper Alrima und sein Hit „Claquettes Chaussettes“. Der im Jahr 2017 veröffentlichte Song des Hip-Hop-Künstlers marokkanischer Herkunft handelt tatsächlich von nichts Geringerem als Latschen und Socken. Influencer sollen den neuen Treter-Trend dann in die Welt hinausgetragen haben. Bereits das Großstadtphänomen in die Socken gesteckter Hosenbeine Ende der neunziger Jahre hatte seinen Ursprung bei jungen Einwanderern in Frankreich.

Folgt auf den Assi-Trend die lederne Gegenbewegung?

Das Handelsblatt-Jugendportal „Orange“ sprach mit etwas säuerlichem Blick auf das neue „angesagte Assi-Outfit“ von einem „schrecklichen Hype: Immer mehr junge Leute rennen rum wie Touristen auf Malle.“ Das Musikvideo zum Song dürfte in der Tat so manchem Fashion-Experten die Tränen in die Augen getrieben und ihren inneren Lagerfeld regelrecht zum Rotieren gebracht haben. Neben den verhaßten Tennissocken und Sandalen gibt es in dem Clip nämlich auch jede Menge Jogginghosen zu sehen. Dazu Kapuzenpullover und als Straßenkleidung getragene Fußballtrikots. Also alles Dinge, die bisher ebenfalls bei Migrantenkids angesagt waren und noch vor kurzem einen Großeinsatz der Modepolizei ausgelöst hätten.

Gegen genau diese selbsternannten Kleider-Kontrolleure und ihre Regeln scheinen die jungen Männer in den urbanen Straßen jedoch selbstbewußt und selbstironisch aufzubegehren. Dem Triumph des einstigen Tabus muß zwangsläufig der Tabubruch vorausgehen. Der Trendsetter ist in gewisser Weise auch immer Trendzerstörer und Hinwegwischer des Alten. Das Tragen der Sportsocken zur Adilette bekommt hier fast klassenkämpferische Bedeutung. Es ist quasi die Infiltrierung des elitären Hipstertums durch das von ihm – zumindest unterschwellig – schon immer verachtete und nicht selten offen verspottete Mode-Proletariat. 

Der Eintritt in den Mainstream ist jedoch in der Regel der erste Schritt in die Belanglosigkeit. Wenn diejenigen, die sich einst über einen lustig gemacht haben, einen plötzlich kopieren, mag das tatsächlich ein kurzer Moment des Triumphgefühls sein. Dem wahren Revoluzzer wird diese neue Beliebtheit aber bald zuwider oder zumindest zu langweilig sein. Der Trendsetter ist im Grunde immer auf der Flucht vor denen, die ihm und dem von ihm gesetzten Trend folgen. 

Die ersten Moderebellen werden die Badelatschen auf dieser Flucht wohl schon in Kürze wieder von den Füßen streifen und aus „Protest“ gegen die Plastebotten zu klassischen rahmengenähten Lederschuhen greifen. Ein Hoffnungsschimmer für derzeit geschockte konservative Anhänger traditioneller Schuhmode.