© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 32/19 / 02. August 2019

Knapp daneben
Jede Insolvenz hilft
Karl Heinzen

Die fetten Jahre sind vorbei“, meint der designierte Chefvolkswirt der Allianz Group Ludovic Subran. Die meisten Ökonomen pflichten ihm bei. Die meisten Bürger jedoch dürften von dieser Analyse eher überrascht sein. Sie haben die letzten zehn Jahre nicht als Boom erlebt. Wenn sie Glück hatten, konnten sie ihren Lebensstandard behaupten. Zugleich mußten sie jedoch zusehen, wie die Qualität staatlicher Leistungen in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Verkehrsinfrastruktur, innere Sicherheit und Rechtspflege erodierte. Der Kern der Botschaft von Subran und Co. dürfte hingegen auf keinen Widerspruch stoßen: Es wird alles noch viel schlechter werden – und das vielleicht schon recht schnell.

Einzig die Wirtschaft kann sich über die vergangenen zehn Jahre nicht beschweren. Sie hat in ihnen satte Gewinne eingefahren. Daher wäre es auch unfair gewesen, über die Politik zu meckern, bloß weil diese die eine oder andere Weichenstellung vorgenommen hat, über die man sich zuvor hätte Gedanken machen sollen. 

Die Zeiten, in denen wir wirtschaftliche, aber unökologische Aktivitäten tolerieren konnten, sind vorbei.

Nun kann es als ausgleichende Gerechtigkeit gelten, daß auch für die Unternehmen die goldenen Zeiten vorbei sind. Die Zahl der Insolvenzen steigt. Neugründungen mit Potential sind Mangelware. Die Gewinne schrumpfen. Manche Unternehmen haben in diesem Jahrzehnt zwar die Eigenkapitalquote erhöht, um für schlechte Zeiten vorzusorgen. Für sie wird das letzte Stündchen aber bloß ein bißchen später schlagen. Kann dieses Schwächeln der Wirtschaft ein Thema der Politik sein? Nein, natürlich nicht. Unternehmen scheitern, weil sie die Zeichen der Zeit nicht erkennen, und das müssen sie selbst ausbaden. Die Politik ist nicht dafür da, die Wirtschaft zum Erfolg zu führen. Für sie hat der Mensch, und das heißt das Klima, im Mittelpunkt zu stehen. Die Zeiten, in denen wir wirtschaftliche Aktivitäten tolerieren konnten, auch wenn sie ökologisch fragwürdig waren, sind vorbei. Jede Insolvenz führt uns unseren Klimazielen näher. Je mehr unser Wohlstand sinkt, desto optimistischer können wir sein. Wir sind auf einem guten Weg, die Industrialisierung ungeschehen zu machen.