© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG  www.jungefreiheit.de 33/19 / 09. August 2019

Zu wenige auf der Liste?
Abtreibung: Kompromiß zum Werbeverbot wackelt
Christian Vollradt

Wogenglätten ist angesagt, und zu diesem Zweck greift Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) auf den bewährten Stuhlkreis zurück, der im politischen Sprachgebrauch „runder Tisch“ heißt. Anlaß ist eine Folge des Kompromisses zum Werbeverbot für Abtreibungen. Im Februar hatte man sich in der Großen Koalition auf eine Reform des Strafgesetzbuch-Paragraphen 219a geeinigt (JF 6/19). Darin vorgesehen ist unter anderem eine von der Bundesärztekammer zentral geführte Liste mit Ärzten, die Abtreibungen anbieten. 

Diese Liste steht nun seit Ende Juli im Internet – und sogleich auch in der Kritik. Denn die Übersicht umfaßt derzeit 87 Einträge, darunter 56 Praxen in Berlin, 26 in Hamburg, drei in Nordrhein-Westfalen und zwei in Hessen. Zu wenige, wurde umgehend moniert. Denn in Deutschland nehmen etwa 1.200 Ärzte Abtreibungen vor. „Die Liste der Bundesärztekammer in der nun veröffentlichten Form ist faktische Desinformation“, meinte etwa die SPD-Bundestagsabgeordnete Nina Scheer gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Grund für die ärztliche Zurückhaltung sei die Angst vor einer Pranger-Wirkung der Liste. „In Zeiten, in denen klerikale Kreise und Rechtsextreme Ärzte ins Visier nehmen, liefert man denen die Adresse nicht noch frei Haus“, ist die frauenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Cornelia Möhring, überzeugt. Die Unzufriedenheit weckt unterdessen neue Begehrlichkeiten, in einem erneuten Anlauf das Werbeverbot gleich ganz zu kippen. Eine entsprechende Mehrheit aus SPD, Grünen, FDP und Linkspartei gäbe es theoretisch. Nicht zuletzt solchen Plänen möchte Spahn um des Koalitionsfriedens willen zuvorkommen. Die Liste hat auch die seinem Ministerium unterstehende Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung veröffentlicht; bemerkenswerterweise auf ihrer Seite mit dem Titel „familienplanung.de“. 

Lebensschützer hatten den Kompromiß von Beginn an kritisiert. Durch ihn werde das Werbeverbot „faktisch ausgehöhlt“, beklagten etwa die Christdemokraten für das Leben. Damit hätten die Gegner des Paragraphen 219a ein wichtiges Ziel erreicht. AfD-Familienpolitikerin Mariana Harder-Kühnel hatte anstelle der Lockerung des Werbeverbots eine „Willkommenskultur für das Leben“ gefordert.