© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG  www.jungefreiheit.de 33/19 / 09. August 2019

Draghis Kollateralschäden
Anleihekäufe I: Es ist nicht zu erwarten, daß sich das Bundesverfassungsgericht gegen die Europolitik und den Europäischen Gerichtshof stellt
Joachim Starbatty

Als Beschwerdeführer habe ich am 30. und 31. Juli an den mündlichen Verhandlungen in Sachen Staatsanleihekaufprogramm der Europäischen Zentralbank (PSPP) vor dem Bundesverfassungsgericht teilgenommen. Überraschend war, daß dessen Zweiter Senat so offenkundig auf der Seite der Beschwerdeführer stand. Er nahm die von der Bundesbank entsandten Vertreter gehörig in die Mangel.

Zu Recht. Man hätte sie in der Tat für das Sprachrohr der EZB halten können. Keine Spur mehr von deutscher Stabilitätskultur. Dabei hatte nicht nur der damalige Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU) vor der Euro-Einführung wiederholt öffentlich versprochen, die anerkannte Stabilitätskultur der Deutschen Bundesbank solle auch für die künftige europäische Gemeinschaftswährung gelten.

In der Geldpolitik spielt die Musik

Von den heutigen Bundesbankern kam hingegen keine einzige kritische Bemerkung, bloß Beschwichtigungen. Auf die Frage, ob nicht der EZB-Rat auch die Kollateralschäden seiner Politik – Umverteilung zugunsten der Vermögenden, Untergrabung der Altersvorsorge und Enteignung der Sparer – in Rechnung stellen müsse, antworteten sie, daß man den Auftrag der EZB nicht überfrachten solle. Auch werde so die Unabhängigkeit der EZB gefährdet.

Wie unabhängig die EZB wirklich ist, läßt sich daran erkennen, daß der französische Staatspräsident Emmanuel Macron der Bundeskanzlerin ihre CDU-Parteifreundin Ursula von der Leyen als Kommissionspräsidentin aufschwatzen konnte. Mit diesem Schachzug konnte Paris den stabilitätsbewußten Bundesbankchef Jens Weidmann als könftigen EZB-Präsidenten verhindern – und der früheren französischen Finanzministerin und geschäftsführenden Direktorin des Internationalen Währungsfonds, Christine Lagarde, den Weg an die Spitze der EZB freiräumen. Denn in der Geldpolitik spielt die Musik, und sie soll einer französischen Melodie folgen.

Der Gesetzgeber hat der EZB den Status der Unabhängigkeit nicht verliehen, damit sie machen kann, was sie will, sondern um sich gegen die Begehrlichkeiten der Politik zu wehren und die Interessen der Bürger wahren zu können. Ich erinnere mich noch an ein Wort von Otmar Issing, von 1998 bis 2006 Chefvolkswirt der EZB: Er habe sich eigentlich vorgenommen, die Geldpolitik der EZB weder zu kommentieren und noch zu kritisieren, er sei davon aber abgekommen, da deren Chef Mario Draghi – seit 2011 im Amt – keine Geldpolitik mehr betreibe.

Eine eindringliche Warnung Walter Euckens war niemals notwendiger als heute: Die Erfahrung zeige, „daß eine Währungsverfassung, die den Leitern der Geldpolitik freie Hand läßt, diesen mehr zutraut, als ihnen im allgemeinen zugetraut werden kann. Unkenntnis, Schwäche gegenüber Interessengruppen und der öffentlichen Meinung, falsche Theorien, alles das beeinflußt diese Leiter sehr zum Schaden der ihnen anvertrauten Aufgabe“, mahnte schon 1952 der Vordenker der Sozialen Marktwirtschaft.

Der Vorsitzende des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, vermißte bei Draghis Politik, dass dabei zuwenig an die Bürger gedacht werde. Doch hat Draghi – auf solche Defizite im Europäischen Parlament angesprochen – geantwortet, er wisse, daß seine Politik die Vermögenden begünstige und die Sparer schädige. Doch belebten Nullzinspolitik, Strafzinsen und Staatsanleihekäufe die Investitionstätigkeit.

Dies steigere die Beschäftigung und die Einkommen und nütze damit auch den Sparern, soweit sie Arbeitnehmer seien. Die Kehrseite dieser Politik blendet Draghi – von 2006 bis 2011 war er Präsident der Italienischen Nationalbank – aus. Derzeit reichen Banken Kredite auch an wacklige Unternehmen aus, um überhaupt eine Rendite zu erwirtschaften, da in ihrem traditionellen Feld – Anlage von Spargeldern in Staatsanleihen – nichts mehr zu verdienen ist. Ein beträchtlicher Teil dieser Kredite wird bei der nächsten Rezession notleidend werden.

Billiges Geld für die Euro-Schuldnerländer

EZB-Präsident Draghi verschweigt sein eigentliches Ziel: den Euro-Schuldnerländern den Zugang zu billigem Geld zu ebnen. Sie könnten sich marktorientierte Zinsen nicht leisten und müßten daher aus der europäischen Währungsunion ausscheiden. Der Zusammenhalt der Eurozone ist aber keine Aufgabe der Geldpolitik, sondern der Wirtschafts- und Finanzpolitik der Mitgliedstaaten. Insofern betreibt die EZB unter Draghi verbrämte monetäre Staatsfinanzierung und springt für die Politik in die Bresche. Als ich das während der Anhörung ansprach, nickte der gesamte Zweite Senat.

 Es ist nicht zu erwarten, daß sich das Bundesverfassungsgericht gegen die Europolitik der Mitgliedstaaten und den Europäischen Gerichtshof stellt. Es könnte aber die weitere Mitwirkung der Bundesbank am PSPP-Programm daran binden, daß der EZB-Rat in seinen politischen Entscheidungen begründet, warum er eine bestimmte Politik betreibt oder an ihr festhält, obwohl zukünftige Kollateralschäden wahrscheinlich und erheblich sein können.






Prof. Dr. Dr. h.c. Joachim Starbatty ist emeritierter VWL-Professor an der Uni Tübingen. Er war bis 2013 Vorsitzender der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft und von 2014 bis 2019 Abgeordneter des EU-Parlaments.