© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG  www.jungefreiheit.de 33/19 / 09. August 2019

Die Gefahren des Gelddruckens
Anleihekäufe II: Die Unabhängigkeit der EZB vor dem Bundesverfassungsgericht
Dirk Meyer

Der Euro ist eine Gemeinschaftswährung, die die Europäische Zentralbank (EZB) zentral für die Eurozone in den Verkehr bringt. Das glauben viele. Den wenigsten dürfte allerdings bekannt sein, daß die Eurostaaten Geld in nicht unerheblichem Umfang auf eigene Rechnung schöpfen. Dies trifft im besonderen auf die seit 2015 laufenden Staatsanleiheankäufe des Public Sector Purchase-Programme (PSPP) zu, das bei einem Umfang von 2.102 Milliarden Euro etwa 45 Prozent der Bilanzsumme des Eurosystems (Stand Ende 2018) ausmacht. Die EZB begründet diese Maßnahme mit einer Geldmengenausweitung zur Erreichung des Zwei-Prozent-Inflationszieles.

Überschreitung des geldpolitischen Mandats?

Dabei tauchen mehrere Fragen auf: Stellen diese Käufe nationales Zusatzgeld dar und liegt gar eine verbotene monetäre Staatsfinanzierung vor? Sind diese Ankäufe aus Nöten des Kreditzugangs mediterraner Staaten, insbesondere Italiens, fiskalisch-wirtschaftspolitisch begründet und überschreitet die EZB deshalb ihr geldpolitisches Mandat? Wird damit gegen die Unabhängigkeit der Zentralbank verstoßen? Diese Fragen hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zu klären, das vergangene Woche eine Anhörung von Sachverständigen durchführte – mit einem offenen Ausgang des Verfahrens, dessen Urteil noch in diesem Jahr erwartet wird.

Bereits mit Beginn der Staatsanleihekäufe vor vier Jahren reichte unter anderem der Anwalt und Ex-CSU-Vizechef Peter Gauweiler Klage gegen dieses Programm ein. Ende 2018 wurden die Ankäufe – bis auf die Wiederanlage auslaufender Anleihen – von der EZB jedoch eingestellt. Deshalb ist die Frage berechtigt, ob das oberste deutsche Gericht die Relevanz des Streitfalls durch Zeitverzug erledigt hat. Keinesfalls! Seitdem die Konjunktur in einzelnen Euroländern schwächelt, wird die Wiederaufnahme von Staatsanleiheankäufen seitens der EZB erwogen. Was offiziell verschwiegen wird: Italien könnte durch die geplante, erhebliche Ausweitung seiner Staatsschulden den Kapitalmarkt belasten. Der Zinsanstieg könnte italienische Banken und den Staat in den Ruin treiben, was die Euro-Währungsunion kaum bewältigen würde.

Darüber hinaus hat das Verfassungsgericht mit Beschluß vom 18. Juli 2017 bereits Zweifel an der Rechtmäßigkeit des PSPP-Programms erhoben und ein mögliches Überschreiten des geldpolitischen Mandats der EZB sowie einen möglichen Verstoß gegen das Verbot der monetären Staatsfinanzierung gesehen. Das BVerfG moniert insbesondere, daß Einzelheiten der Ankäufe angekündigt werden, die den Erwerbern auf dem Kapitalmarkt die faktische Gewißheit eines Wiederverkaufs geben würden. Auch würden keine Mindesthaltefristen der Kapitalanleger nach der Anleiheemission veröffentlicht, die wichtig für eine angemessene Zinsbildung sind.

Indirekt hat die EZB bestätigt, daß die neuen Staatsanleihen spätestens nach einer Woche in ihren Bilanzen landen, was einer staatlichen Gelddruckerei sehr nahe kommt. Infolge des hohen Programmumfangs würden die Refinanzierungsbedingungen der Mitgliedstaaten positiv beeinflußt, so daß hier eine wirtschaftspolitische Steuerung vorliegen würde. Darüber hinaus stellt das BVerfG den Erwerb bis zur Endfälligkeit der Anleihen in Frage, denn geldpolitisch motivierte Ankäufe werden im Regelfall nicht langfristig gehalten. Zudem führen Negativrenditen zu Verlusten bei den Zentralbanken. Abgesehen von den Risiken eines Wertverlustes, wäre der Staatshaushalt durch ausfallende Zentralbankgewinne indirekt belastet, ohne daß der Bundestag ein Mitentscheidungsrecht hätte.

Mit diesen Bedenken hat das BVerfG in einem beschleunigten Verfahren entsprechende Prüffragen an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) gerichtet – wohl auch, um im Einklang mit der europäischen Ebene zu handeln. Der EuGH hat diesen Ball nicht aufgenommen. In seinem Urteil vom 11. Dezember 2018 hat er das PSPP uneingeschränkt für rechtmäßig erklärt. Damit befinden sich die Karlsruher Richter in einer Zwickmühle. Einerseits haben sie öffentlich erhebliche Vorbehalte gegen die EZB-Politik geäußert. Ein Zurück käme einer Kapitulation gleich. Würden sie andererseits den Klageführern folgen, hätte die EZB ihre Befugnisse überschritten und ein Eklat mit dem europäischen Gericht stände bevor. Erwartungsgemäß dürfte die offene Konfrontation vermieden werden, aber Begrenzungspfähle sind wahrscheinlich.

Eine quasi-monetäre Staatsfinanzierung

Doch was wäre, sollte Karlsruhe tatsächlich die Unrechtmäßigkeit der Staatsanleiheankäufe feststellen? Zunächst wäre es lediglich der Bundesbank verboten, an weiteren Programmen teilzunehmen. Dies beträfe auch die Wiederanlage auslaufender Anleihen des aktuellen PSPP-Programms. Demgegenüber gilt eine Rückabwicklung der Ankäufe als unwahrscheinlich. Die als sicher geltenden Bundesanleihen würden zukünftig ohne große Zinssteigerungen von institutionellen Anlegern (Banken, Versicherungen) gekauft werden.

Überaus problematisch ist hingegen der einhergehende De-facto Rückzug aus der gemeinsamen Währungspolitik der Eurozone. Als Schwergewicht mit einem Anteil von 29 Prozent des Bruttoinlandsproduktes würde Deutschland in einem entscheidenden Punkt seine Teilnahme an der Euro-Währungspolitik verlieren. Aufgrund der geltenden 50-Prozent-Mehrheitsentscheidung im EZB-Rat wäre die Deutsche Bundesbank Außenseiter.

Die mediterranen Hochschuldenstaaten wird es freuen, indem sie einseitig eine quasi-monetäre Staatsfinanzierung nutzen können. Dort würde zukünftig die Euro-Geldschöpfung vermehrt stattfinden, mit der wir überteuerte Waren und Vermögenswerte (Immobilien, Aktien) bezahlen müßten. In einem Urteil von 2016 äußerte das BVerfG als letzte Konsequenz: „bis hin zum Austritt aus der Währungsgemeinschaft“.






Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.