© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG  www.jungefreiheit.de 33/19 / 09. August 2019

Verfeindete Nachbarn
Katar versus Vereinigte Arabische Emirate: Seit der Unabhängigkeit auf Kriegsfuß
Marc Zoellner

Fröhlich lachend blickte Tamim bin Hamad Al Thani, zweitältester Sproß des Herrscherhauses „Al Thani“ von Katar und seit Juni 2013 Staatsoberhaupt der wohlhabenden Petromonarchie am Persischen Golf, in die Kameras, als der russische Präsident Wladimir Putin dem 39 Jahre jungen Thronregenten symbolisch einen Fußball überreichte. An diesem 15. Juli 2018, so wußte Tamim, war sein Land erster arabischer Staat, der eine Fußball-WM austragen wird. Überdies wußte er sich des Zorns seiner Nachbarn, allen voran Saudi-Arabiens und der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), gewiß. Schließlich würde Katar zudem endgültig die internationale Isolation durchbrechen, die von den Anrainern im Juni 2017 über das Emirat verhängt wurde.

„Natürlich stören sich die VAE und Saudi-Arabien daran, daß Katar Gastgeber des wichtigsten Sportevents nach Olympia werden wird“, erläuterte der Nahost- und Sicherheitsexperte Andreas Krieg im deutsch-französischen Fernsehsender Arte. „Das geht einfach gegen ihr Ego.“ 

Zumindest in Moskau ging Tamims Kalkül auf: Schlagartig hatte sich mit der Ballübergabe das Verhältnis der Staaten zueinander verbessert. Zum Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs unterstützten beide noch verschiedene Konfliktparteien; Rußland Syriens autokratischen Alleinherrscher Baschar al-Assad, Katar radikalislamische Milizen sowie die Muslimbruderschaft. 

Vergeben und vergessen waren diese Differenzen jedoch zum Treffen in Moskau. Gegenseitig bekräftigen beide eine verstärkte militärische Kooperation – angefangen bei der Lieferung russischer S-400-Boden-Luft-Raketensysteme im Wert von mehreren hundert Millionen Euro nach Doha. Es sind Waffen, auf die Tamim dringend angewiesen ist. Im Gegensatz zur umfangreichen Luftflotte der VAE besitzt Katar gerade einmal zwanzig Kampfflugzeuge. Defensivsysteme wie das russische S-400 trügen zum Schutz des Emirats vor einer drohenden Invasion der VAE oder auch Saudi-Arabiens – wie jene vom März 2011 in Bahrain – effizient bei. Das Riader Königshaus sah sich in Moskau bereits zum offiziellen Protest gegen den geplanten Waffendeal genötigt. Zur „bilateralen Angelegenheit“ erklärte Rußlands Außenminister Sergej Lawrow den Handel daraufhin. 

Wie sein Widersacher aus den VAE, Kronprinz Scheich Muhammad bin Zayid Al Nahyan (MBZ), hatte zwar Tamim in jungen Jahren die britische Königliche Militärakademie von Sandhurst besucht. Seine ausgemachte Waffe im Ringen um Macht und Einfluß im Nahen Osten ist jedoch allein die Finanzkraft Katars: In Libyen kooperiert das Emirat mit der Türkei bei der Finanzierung der Muslimbruderschaft sowie der proislamistischen Tripolitaner Regierung; in Syrien bestehen enge Kontakte zur al-Nusra-Front, einer Abspaltung der Terrorgruppe al-Kaida; im Gazastreifen halten katarische Gelder die Herrschaft der Hamas aufrecht. Selbst die afghanischen Taliban durften unlängst eine quasi-diplomatische Vertretung in Katars Hauptstadt Doha eröffnen, um sich in vom Haus Al Thani gesponserte Verhandlungen mit den USA zu begeben. 

Mit dem familieneigenen Nachrichtensender Al Jazeera, dessen Eigentümer Hamad bin Chalifa Al Thani ist, Tamims Vater, der zugunsten seines Sohnes im Juni 2013 als Herrscher von Katar zurücktrat, besitzt das Emirat weiterhin ein wirksames Werkzeug, um auch medial auf die politische Entwicklung von Ländern wie Ägypten, dem Sudan und Tunesien einzuwirken. Was insbesondere Saudi-Arabien und die VAE sauer aufstoßen läßt, deren eigene Feldversuche – wie beispielsweise der Dubaier Nachrichtensender al-Arabiya – bislang noch schwächeln.

Türkische wie katarische Medien waren es schließlich, die mit ihren Beiträgen über die Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi die Weltöffentlichkeit gegen Saudi-Arabien aufbrachten – und somit zum tiefen Riß zwischen den einstigen Verbündeten Washington und Riad führten. Noch im September 2017 hatte US-Präsident Donald Trump Katar als „hochrangigen Sponsor des Terrorismus“ gebrandmarkt. 

„Tamim, du bist seit langer Zeit ein Freund von mir“, lobte Trump den katarischen Monarchen hingegen beim jüngsten Treffen beider Regierungen Anfang Juli in Washington. Neben der Türkei besitzen auch die USA einen Militärstützpunkt nahe Doha, der Katar ein militärpolitisches Sicherheitsgefühl  beschert. Für Washingtons Zuversicht in der Zusammenarbeit mit Tamim revanchierte sich der neue Verbündete generös mit Rüstungs- und Zivilflugzeugaufträgen an die US-Industrie in dreistelliger Milliardenhöhe.






Völlig überrascht zeigten sich die Einwohner der kleinen, zum Jemen gehörenden und vor der Ostküste Somalias gelegenen Insel Sokotra, als am 30. April 2018 mehrere Militär-Transportflugzeuge auf dem einzigen Flughafen der Insel landeten. Kampflos wurden die wenigen anwesenden Angehörigen der jemenitischen Streitkräfte von VAE-Elitesoldaten vertrieben, die Flaggen auf den Verwaltungsgebäuden ausgetauscht und das Konterfei Muhammad bin Zayid Al Nahyans (MBZ) in den Amtsstuben aufgehängt. 

Die blitzartige Annexion Sokotras durch die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) war eine beeindruckende Demonstration der neuerworbenen militärischen Fertigkeiten des erdölschweren Emirats am Persischen Golf. Erst zwei Wochen später sollte es Saudi-Arabien unter Androhung einer eigenen militärischen Intervention gelingen, die VAE zum Rückzug von Sokotra zu bewegen.

Als Chefsache hatte MBZ die Invasion der jemenitischen Tropeninsel betrachtet. Kein Zufall war von daher der erfolgte Zugriff aus der Luft: Immerhin ist die Luftwaffe das ausgemachte Steckenpferd des Kronprinzen von Abu Dhabi, einem der sieben Emirate der VAE. Bereits im Alter von 18 Jahren ließ sich der 1961 geborene Regent in die Militärakademie von Sandhurst aufnehmen, um den Umgang mit Kampfflugzeugen und Helikoptern zu erlernen. Nach seiner Rückkehr diente er als Pilot in der Luftwaffe. Als sein Bruder Chalifa bin Zayid Al Nahyan im Januar 2014 einen Schlaganfall erlitt, übernahm MBZ das Zepter – und baute in der Folge nicht nur die Luftstreitkräfte auf derzeit über 150 Kampfflugzeuge aus. Erstmalig ließ er auch deren Schlagkraft in Kriegs-einsätzen überprüfen; im August 2014 gegen islamistische Einrichtungen in Libyen, später auch gegen die Terrorgruppe Islamischer Staat in Syrien und im Irak.

„Die VAE sehen sich selbst als künftiges Bindeglied zwischen dem Osten und dem Westen“, erklärt Andreas Krieg, Nahostexperte am Londoner King’s College, im Interview mit Al Jazeera die aggressive Neuausrichtung der emiratischen Außenpolitik unter der Ägide von MBZ. „Das macht es wichtig für sie, die maritimen Handelswege zu kontrollieren, die meistens durch den Suezkanal sowie die Bab-al-Mandab-Straße zwischen dem Jemen und dem Horn von Afrika führen.“ Mit Sokotra hätten die VAE einen „Quasi-Flugzeugträger mitten im Indischen Ozean“ in die Hände bekommen, führt Krieg weiter aus. Bereits jetzt besitzen die Emirate Militärstützpunkte in Assab im Südosten Eritreas sowie im de facto unabhängigen Somaliland, beide strategisch günstig am Horn von Afrika gelegen.

„Es scheint MBZ nicht befriedigt zu haben, Kronprinz zu sein und das Land zu regieren“, kommentierte der Journalist Zekeriya Kursun in der türkischen Tageszeitung Yeni Safak. „Ungeachtet Saudi-Arabiens und Katars wollte er die Landesgrenzen ausweiten, in Ostafrika aktiv werden, seinen Erzfeind Katar in den Ländern des Arabischen Frühlings zurückschlagen und insbesondere mit der Muslimbruderschaft aufräumen.“ Daß Katar diese in Nordafrika sowie im Nahen Osten offen protegiert, galt MBZ als willkommene Gelegenheit, den bis ins 18. Jahrhundert zurückreichenden Wettbewerb beider Königshäuser über die Stämme und Ländereien am südlichen Persischen Golf eskalieren zu lassen: Im Juni 2017 brachen die VAE ihre diplomatischen Beziehungen zu Katar ab – ebenso wie Saudi-Arabien und eine ganze Reihe weiterer arabischer Staaten –, verwiesen sämtliche katarischen Staatsbürger des Landes und sperrten See- und Lufträume für das katarische Transportwesen.

Gehackte Internetseiten der staatlichen katarischen Nachrichtenagentur Qatar News Agency und des E-Mail-Accounts des VAE-Botschafters in den USA galten als Auslöser des Eklats. Neben der Muslimbrüderfrage sowie der proiranischen Haltung Katars, das sich weigert, ihre bilateralen Beziehungen zu jenem direkten Widersacher der VAE im jemenitischen Bürgerkrieg aufzulösen, gilt als eigentliche Ursache ein Grenzkonflikt zwischen beiden Emiraten, der seit ihrer gemeinsamen Unabhängigkeit von Großbritannien im Herbst 1971 schwelt.

Von jener geradezu ehrfürchtigen Popularität seines Bruders Chalifa, der während seiner Amtszeit als Premier Abu Dhabis die damalige Fischersstadt zur heutigen glanzvollen Millionenmetropole umwandelte, ist MBZ noch weit entfernt. Trotz aller Versprechungen scheint der Krieg im Jemen nicht gewinnbar; gegen politische Reformen im Inneren verwehrt sich der Regent wie sämtliche seiner Amtskollegen der sieben Emirate.