© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG  www.jungefreiheit.de 33/19 / 09. August 2019

Objekte der Begierde
Sterile Erotik in fiebriger Atmosphäre: Juliette Binoche als frustrierte und gedemütigte Intellektuelle in Safy Nebbous Filmdrama „So wie du mich willst“
Sebastian Hennig

Die Romanverfilmung „So wie du mich willst“ ist als ein weiterer Versuch zu werten, die Konsequenzen egozentrischer Verhärtungen als ein tragisches Liebeserlebnis zu stilisieren. Filmkunst als Trostpflaster über die alltägliche seelische Verrohung. Der Kintopp unserer Tage zeigt anstelle leidenschaftlicher Ausbrüche, welche die Handelnden in elementaren Gefühlen schütteln, das stille Einkochen der Triebseele im eigenen Saft. Er bezeugt die „Onanisierung der Sexualität“, wie es der Sozialwissenschaftler Alexander Schuller einmal so treffend benannte.

Die fünfzigjährige Literaturwissenschaftlerin Claire Millaud (Juliette Binoche) sieht sich von ihrem jugendlichen Bettschatz gedemütigt. Denn Ludo (Guillaume Goux) wird die hintergründige Schwermut seiner gereiften Beischlafpartnerin zunehmend unbequem. Also fragt er mit unterschwelliger Gehässigkeit, ob sie ihn nicht einmal ihren Söhnen vorstellen möchte. Später läßt er sich auf ihre Nachfrage von seinem Freund Alex (François Civil) am Telefon verleugnen, obwohl seine Stimme im Hintergrund zu hören ist. 

Alle Begierden der gekränkten Frau wenden sich in Rachgier. Dazu gibt es eine Vorgeschichte der Demütigung, die sich erst gegen Ende des Films enthüllt. Welche Prähistorie dieser wiederum voranging, ist ahnbar. Doch der Film möchte hier nicht weiter gehen. Er entschuldigt die gewöhnliche menschliche Schäbigkeit und schmeichelt damit zugleich den Zuschauern. Dieses Schicksal ist ein billiges Resultat aus Feigheit und Arroganz.

Die frustrierte alternde Intellektuelle mischt im digitalen Netz einen Cocktail von toxischer Weiblichkeit. Auf diese Leimrute setzt sich sogleich der Freund von Ludo. Alex wähnt sich von einer 24jährigen angeschmachtet. Das ist alles sehr kläglich, ohne tragisch zu sein. Wenn einer der Protagonisten wirklich noch einen Funken Leben in seinem sentimentalen Ich verspürte, dann würde sich der Nebel aus vorgetäuschten Objekten der Begierde in einem kosmischen Gelächter aufklären. Statt dessen bleiben sie per dümmlichem Kürzestgespräch und blöder Brunst verwickelt in die selbstgeschaffenen Chimären.

Dabei taugten gerade die individuellen Netzwerkspuren dazu, die Verhältnismäßigkeit der Zeit sichtbar zu machen. Doch zu gern läßt sich der Mensch betrügen. Auf Facebook ist er nur noch als Gattung vertreten. Die Gruppen wirken sich wie die vorzivilisatorische Sippe aus, mit Verstoßung und Belohnung. Die silberne Schneckenspur des einzelnen wird vom nächsten Regen fortgewaschen.

Es geht allein um Macht und Eigenliebe

Der Film arbeitet mit Spiegelungen, Bildschirmen und Beleuchtung. Die Geräte tauchen alles in eine fiebrige Atmosphäre. Am bedrohlichsten wirkt sie im Hörsaal. Die Professorin doziert über Choderlos de Laclos’ Briefroman „Gefährliche Liebschaften“, während eine sinnlose Bildprojektion über die Wand hinter ihr läuft. Auf den Bänken sitzen vorwiegend weibliche Studenten, von jedem Gedanken abgeschirmt durch die Klapprechner vor ihnen, auf deren Deckeln blaue Äpfel giftig flackern.

Ein Blick auf eine solche Aufstellung sagt im Bild mehr, als jede Vorlesung vermitteln kann. Die Assoziation des galanten Briefstellers mit den Vorboten der Französischen Revolution konterkariert die Banalität der jüngeren geistigen Erhebung, die sich in pulsierenden Datenströmen ohne Aussage vernichtet hat. Der Sommer der Liebe hat aus Drogen und Wahn das Netz gezeugt, als Ausdruck der totalen Emanzipation der Würdelosen. Diese unheilige Flamme wird an den geisteswissenschaftlichen Lehrstühlen der Universitäten von Vestalinnen nach Art der Professorin Claire verwaltet. Wer unter solchen Flammenträgerinnen sich mit der Wirklichkeit einläßt, zumal einer männlichen, die wird sogleich lebendig begraben. Gestattet sind dort nur Kastraten und Avatare. Es gilt nicht das Konkrete, nur das Diverse.

Regisseur Safy Nebbou hat den Roman „Celle que vous croyez“ von Camille Laurens verfilmt. Die Erfolgsschriftstellerin hat Titel veröffentlicht wie „In den Armen der Männer“ und „Lieben, ein Roman“. Doch es geht nicht um Liebe im Sinne von Zuneigung und Barmherzigkeit mit sich selbst und dem anderen. Es geht allein um Macht und Eigenliebe. Der Film verrät dem aufmerksamen Zuschauer, wie der solchermaßen Frevelnde schon zu Lebzeiten in seiner Hölle schmort. Sitzungen bei einer Psychologin (Nicole Garcia) versuchen als nicht sonderlich kunstvoller Kunstgriff die Erzählebenen zu schichten.

Hinzu kommt die Perspektive der Hauptperson als Autorin ihres Romans. Die sterile Erotik von Binoche paßt zur Figur. Wenn hier etwas knistert, dann ist es in der digitalen Senkgrube nicht einmal das Papier. Sie sagt zu ihrer Rolle: „Sie wundern sich wahrscheinlich, wie es möglich ist, daß eine Frau, die Literatur studiert hat und als Universitätsprofessorin arbeitet, an ihrem iPhone klebt wie ein Teenager.“ Aber wir wundern uns doch darüber gar nicht. „Trotz ihrer akademischen Bildung hält sich eines ihrer fundamentalen Bedürfnisse aus der Kindheit: der Wunsch nach Bestätigung und Liebe.“

Es ist freilich schlimm für einen Menschen wie auch seine Umgebung, wenn er alt wird, ohne dabei gereift zu sein. Obwohl schon Dumas wußte, daß man mit der Liebe nicht spielen soll, bekennt Binoche: „Es hat mir Spaß gemacht, die Unterschiede in Claires ‘diversen Leben’ zu verkörpern, obgleich die Szenen mit der Therapeutin sehr anstrengend waren. Gegen Ende wollte ich einfach nur, daß es vorbeigeht.“ Dieses Gefühl kann der Zuschauer über weite Strecken des Films mit ihr teilen.