© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG  www.jungefreiheit.de 33/19 / 09. August 2019

Lebe gefährlich
Religion, Populismus, Migration: Katholische Theologen begrüßen das Kommen von Fremden
Wolfgang Müller

Kritik an den politischen „Eliten“ und ihrer ordinären Volksverachtung wird hierzulande gern als „populistisch“ denunziert. Wobei ausgerechnet das Personal einstiger „Volkskirchen“ gegen „Populisten“ stets am lautesten lärmt. Theologen tun sich dabei deshalb eifrig hervor, weil sie „Populismus“ als harte Konkurrenz um die Sinnressource Religion am schmerzlichsten spüren. Wie soeben das Schwerpunktheft „Populismus und Religion“ von concilium dokumentiert, der römisch-katholischen, dem „weltoffenen“ Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils verpflichteten Internationalen Zeitschrift für Theologie (2/2019).

Es fehlt eine klare Definition von Populismus

Ein Dutzend Autoren wollen das Thema auf hundert Seiten unter drei Aspekten betrachten. Erstens historisch-deskriptiv am Beispiel „populistischer“ Politik im Indien des Hindu-Nationalismus und in Erdogans islamisierter Türkei. Zweitens sollen der „maskuline Populismus und das toxische Christentum“ in den USA sowie die unerwartete Rückkehr der Religion in die säkularisierten westeuropäischen Gesellschaften religionswissenschaftlich analysiert werden. Und drittens bringen Andreas Lob-Hüdepohl, Berliner Professor für Theologische Ethik, und der Salzburger Fundamentaltheologe Franz Gmainer-Pranzl den an die „gesamte Menschenfamilie“ adressierten Universalismus des katholischen Glaubens in Stellung gegen den nationalen, Religion zur Festigung „kultureller Kollektive“ einsetzenden Partikularismus „rechtspopulistischer Bewegungen“. Denen sich mittlerweile „leider viele bekennende Christen und aktive Kirchenmitglieder“ zugewandt hätten, obwohl deren Botschaften an „das Niedrigste des Menschen“ appellieren.

Was der Leser am meisten vermißt, ist eine klare Definition dessen, was hier die unter Populismus zu verstehen ist. In der Einleitung, federführend verfaßt von Susan Abraham, die an der nicht zur Universität gehörenden, bereits seit den 1970ern als Vermittlerin der „Lesbian and Gay Studies“ im kirchlichen Bereich agierenden Pacific School of Religion in Berkeley lehrt, sind es Bewegungen, die Menschen rekrutieren, die unter diffusen „Gefühlen der Angst und Machtlosigkeit“ leiden und die sich aufgrund verquerer psychischer Dispositionen partout nicht „öffnen“ können, „um andere willkommen zu heißen“. Was die psychotherapeutisch dilettierende Fachfrau für „Theologie und postkoloniale Kulturen“ hier als „Erklärung“ anbietet, ist nichts als die Projektion ihres primitiven Schwarzweiß-Weltbildes auf die „einfachen binären Kategorien“ ihres „Populismus“-Konstrukts. Auch die beiden Doppelnamen-Theologen aus Berlin und Salzburg kommen über Abrahams blinden Blick in die Glaskugel der Küchenpsychologie nicht hinaus, so daß sie das ihnen verhaßte Phänomen nicht rational abzuleiten vermögen.

Halbwegs gelingt dies allein François Mabille. Der promovierte Politologe, der als ihr Generalsekretär von Paris aus die Internationale Föderation Katholischer Universitäten lenkt, meint, die „Quelle des Populismus läßt sich leicht ausmachen“. Es sei die finanzkapitalistische Globalisierung, die „das Sozialdumping im Weltmaßstab“ forciert. Das habe in den westlichen Demokratien zum Rückzug des Staates aus der Daseinsvorsorge geführt, zum Scheitern des Wohlfahrtsstaats, zu postdemokratischen Strukturen, zur kulturellen Verunsicherung durch Migration und Islamisierung, zur Existenzbedrohung für Mittelstand und Unterschicht. Und zum „populistischen“ Rollback der „Kräfte des Protestes und Widerstands“, die den Nationalstaat gegen die soziale Kahlschlagpolitik kosmopolitischer „Eliten“ verteidigen. In Frankreich habe die katholische Wählerschaft darum mit einem „sehr deutlichen Schwenk“ hin zur konservativen oder extremen Rechten als Sachwalterin nationalreligiöser Traditionen reagiert. Urheber der westlichen „Demokratiekrise“ seien also nicht Le Pen, Salvini & Co., sondern, wie es in der von Mabille zitierten neurechten Zeitschrift L’Homme Nouveau heißt, das vom „auftrumpfenden entmenschlichenden Ökonomismus“ verfolgte politische Prinzip „liberaler Auflösung“ jener gewachsenen Kulturen, die die „Selbstregierung eines Volkes möglich machen“.

Als einziger Beiträger registriert Mabille zudem selbstkritisch die Ambivalenzen gängiger Simplifizierungen des „Populismus“. Die nirgends schärfer hervortreten als im römischen Katholizismus. Wo sonst als im Vatikan gebe es in Europa noch ein lupenreines „Modell Autorität“? Wo sonst die Verbindung von Identitätspolitik, Religion und Populismus, eingebettet in 2000jährige kulturelle Kontinuität? Sei nicht der „christliche Populismus“ gerade von Papst Franziskus, der in Argentinien „in der Nähe des Peronismus“ politisch sozialisiert wurde, mit seinem „wirtschaftlichen Antiliberalismus“ dem Linkspopulismus, mit seinem „moralischen Antiliberalismus“ dem Rechtspopulismus eng verwandt?

Der christliche Glaube soll Ängste „transformieren“ 

Von solchen ketzerischen Anwandlungen sind die strammen Universalisten Lob-Hüdepohl und Gmainer-Pranzl weit entfernt. Entsprechend unterkomplex fallen ihre aus christlichem Kinderglauben geschöpften Antworten auf die „populistische Herausforderung“ aus. Auf der Linie der Abschlußerklärung der Konferenz „Xenophobia, Racism and Populist Nationalism in the Context of Global Migration“, die der protestantische Weltkirchenrat und der Vatikan 2018 in Rom veranstalteten, räumen beide Theologen zwar ein, daß „Bedenken“ vieler Menschen wegen der Massenmigrationen „ernstgenommen werden müssen“. Habe sich doch bei ihnen die Angst vor dem „Untergang der eigenen Lebensformen“ durch das „Kommen der Anderen und Fremden“ in „psychischen Tiefenschichten“ eingenistet. 

Aber der christliche Glaube müsse und könne diese Ängste „humanitätsverträglich transformieren“, ohne in „rechtspopulistischer Manier“ die Religion als abendländisches Bollwerk aufzurichten, um „Lebenschancen der Anderen zwecks Stabilisierung des Eigenen zu verbauen“. Ohne ihn zu nennen verkündet daher der pensionsberechtigte professorale Besserverdiener Lob-Hüdepohl mit dem atheistischen Pastorensohn Friedrich Nietzsche: „Lebe gefährlich!“ Jesu Botschaft stifte ja keine Gewißheit, keine „unverbrüchliche Sicherheit“, da sein Reich nicht von dieser Welt ist. Nur mit Zuversicht und „Hoffnung auf die künftige Stadt“ ließen sich das „Ungewisse“ und die „Verlusterfahrungen“ leichter ertragen. Gaudium et spes, Freude und Hoffnung, laute seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil die Parole wahrer Katholizität, die Kirche als „Volk aus allen Völkern“, als „Fülle in Einheit“ begreife. Was die „Kultur der Gastfreundschaft“ und unbegrenzte „Aufnahme von Flüchtlingen“ einschließt.

Theologisch ist diese Position durchaus vertretbar. Politisch läuft sie, wie mit Blick auf den von beiden Gottesgelehrten ignorierten universalistischen Machtanspruch des Islam und Afrikas Demographie mühelos erkennbar ist, auf Beihilfe zum Selbstmord Europas hinaus. Woran auch die einmal mehr strapazierte Glanznummer so migrationsaffiner wie demagogischer Schriftauslegung nichts ändert: Jesu Gleichnis vom barmherzigen Samariter, mit dem der „Entgrenzung“ predigende Nazarener angeblich „jede Form von Zuständigkeit für die Hilfe von Menschen in Not“ begründet habe. Falsch, denn der Samariter hilft einem Gewaltopfer im „Einzelfall“, einmalig und auf eigene Kosten. Keineswegs verpflichtet sein Handeln eine moralisch erpreßte Allgemeinheit zu grenzenloser Barmherzigkeit und damit zur Selbstfinanzierung des „Untergangs der eigenen Lebensformen“.