© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG  www.jungefreiheit.de 33/19 / 09. August 2019

Zwischen Geballer und Geplauder
Computerspiel „Fortnite“: Die Plattform Twitch bietet nicht nur „Gamern“ einen Kanal
Boris T. Kaiser

Wer mit dem eigenen Hobby reich werden wollte, träumte früher von einer Karriere als Rockstar oder Fußballprofi. Heute haben junge Träumer es einfacher. Auch weil es bei vielen Menschen eine Faszination dafür zu geben scheint, anderen Leuten bei Freizeitaktivitäten zuzuschauen, die viele früher an der Grenze zum Faulenzen verorteten. Eines dieser Hobbys ist das „Zocken“ von Computerspielen. Meist sind es junge Männer, die anderen jungen Männern dabei zuschauen, wie diese vor einer Webcam genau das machen, was sie selbst gerne zu Hause auf dem Sofa oder im extra eingerichteten „Gaming Room“ tun. Ähnlich wie sich vor Jahren beim großen Poker-Boom unzählige Herrenrunden aus dem verqualmten Wohnzimmer nach Las Vegas träumten, hoffen wohl auch hier viele Hobbyspieler, irgendwann einmal selbst diejenigen zu sein, denen andere beim Zocken zusehen.

Auf Youtube sind Liveübertragungen von Profi-E-Sportlern (JF 44/17) schon lange echte Klick-Garanten. Die Streamingplattform Twitch bietet Spielern eine weitere Möglichkeit, ihre Reichweiten und Einnahmen zu erhöhen. Das Computerspiel „Fortnite“ ist dabei geradezu wie gemacht für den Lebensstil der „Generation Me“, die sich gerne selbst in allen Lebenslagen präsentiert und dabei „interaktiv“ sein will, ohne allzu real mit anderen Menschen zu interagieren. 

Neue Möglichkeiten der Monetarisierung

Das Spiel des US-amerikanischen Entwicklers Epic Games gehört zu den sogenannten „Koop-Survival-Spielen“. So nennt man die Mehrspielervariante, bei der die menschlichen Spieler gemeinsam klassische Einzelspielermissionen meistern. Anders als bei den meisten anderen Mehrspielermodi findet der Wettstreit hier also nicht zwischen den Spielern selbst statt, sondern zwischen den Spielern und den Computergegnern. „Fortnite“ erinnert dabei an klassische „Third-Person-Shooter“. Die blutigen Schußwechsel finden allerdings in farbenfrohen, comicartigen Umgebungen statt, warum Kritiker dem Spiel auch Gewaltverharmlosung vorwerfen.

In erster Linie bietet Twitch den Vollzeitgamern dabei neuartige Möglichkeiten der Monetarisierung. Der US-Amerikaner Richard Tyler Blevins, besser bekannt unter seinem Online-Pseudonym „Ninja“, verdiente im Jahr 2018 mit dem Streamen von „Fortnite“ auf Twitch rund zehn Millionen US-Dollar. Mit Abos, Werbung und sogenannten Bits, die die Zuschauer gegen echtes Geld erwerben und dann digital dem Streamer zukommen lassen können, läßt sich tatsächlich viel Geld generieren – obwohl ein großer Teil des eingenommenen Gelds an die Plattform selbst geht. Bei der ersten „Fortnite“-Weltmeisterschaft Ende Juli kassierte der Sieger aus den USA, der 16jährige Kyle „Bugha“ Giersdorf, drei Millionen Dollar Preisgeld. Auch dem Deutschen Marcel Eris alias „Montana Black“ eröffneten erst Youtube und später Twitch neue Perspektiven, die in seinem Fall weit über das reine Geldverdienen hinausgingen. In dem kürzlich veröffentlichten Buch „Vom Junkie zum Youtuber“ beschreibt der 31jährige, wie er es auch dank seiner Streams aus Drogensucht, Kriminalität und Obdachlosigkeit herausschaffte.

Nicht nur „Gamern“ bietet Twitch neue Einnahmemöglichkeiten. Der ehemalige Autor der weltweit größten Wrestling-Organisation WWE, Vince Russo, erfreut sich bei vielen Fans großer Beliebtheit mit seinen „Watchalongs“, bei denen er sich im heimischen Arbeitszimmer quasi „gemeinsam“ mit ihnen die Showkämpfe anschaut und kommentiert. „Twitch ist mit Abstand die angenehmste Erfahrung von allen für mich“, schwärmt er gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. Er lobt vor allem die sich für ihn „lohnende Möglichkeit“ der direkten Kommunikation mit den Zuschauern. 

Auch viele junge Frauen haben schnell entdeckt, wie leicht sich mit Twitch Geld verdienen läßt. Nicht immer geht es dabei nur um „das Eine“. Die Britin „Sweet_Anita“ beispielsweise spricht in ihren Live-Videos über ihre Tourette-Erkrankung. Für sie macht das Unternehmen sogar eine Ausnahme, was die sonst sehr strengen Regeln bezüglich der Verwendung von Schimpfwörtern angeht. 

Wie schwierig es angesichts der strengen Auflagen ist, Twitch als alternativen Kanal für kritische politische Stimmen zu nutzen, verdeutlicht eine Posse um „Montana Black“. Dieser berichtet von einer 30tägigen Sperre und Rassismusvorwürfen, weil er in einem Stream das Wort „Schlitzauge“ verwendet hatte. Man wisse einfach nicht mehr genau, so der Buxtehuder, „was darf ich jetzt eigentlich noch sagen und was nicht“.