© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG  www.jungefreiheit.de 33/19 / 09. August 2019

Opportunisten statt Überzeugungstäter
Nationalsozialismus: Eine Studie über die Ausbildung der Offiziere der Ordnungspolizei im Dritten Reich
Alexander Graf

Die Erkenntnis, die Sven Deppisch in seiner Arbeit über die Offiziersausbildung der Ordnungspolizei formuliert, ist nicht neu: „Ohne die Polizei wäre der Holocaust nicht möglich gewesen.“ Schon die Arbeit des US-Historikers Christopher Browning über das Polizeibataillon 101 mit dem Titel „Ganz normale Männer“ von 1992 zeigt die Verstrickung der Sicherheitskräfte in die Verbrechen während des Zweiten Weltkriegs. Deppischs Interesse konzentriert sich jedoch primär auf die Zeit vor den Verbrechen. Er fragt sich, wie die Polizeioffiziere ausgebildet wurden und welchen Einfluß der Unterricht auf die Männer hatte, die sich später an Massenmorden beteiligten. 

Zur Einordnung führt der Autor zunächst angenehm knapp, aber angemessen in die Geschichte der deutschen Polizei im 20. Jahrhundert ein. Er schildert, wie sich die Gesetzeshüter nach dem Ersten Weltkrieg zivilisierten und begannen, sich aus der engen Beziehung zum Militär zu lösen. Während der Weimarer Republik hätten Aufstände von Sozialisten und Kommunisten dazu geführt, daß die Polizisten früh linke Feindbilder verinnerlichten, so hätten sie auch zu einem überharten Vorgehen gegen linke Demonstranten geneigt. Das habe schließlich zu einer wachsenden Sympathie der Beamten für das rechte Parteienspektrum geführt. Rechte Denkmuster und Ansichten hätten sich sogar so weit verfestigt, daß nach 1933 aus Sicht der neuen Machthaber keine umfangreichen Entlassungen im Sicherheitsapparat des Staates notwendig gewesen seien. 

Im Gegensatz zur Sicherheitspolizei und dem Sicherheitsdienst der SS, dem SD, spielte die uniformierte Ordnungspolizei nur die Rolle eines Erfüllungsgehilfen, wie der Autor plausibel darlegt. So nahm sie politische Gegner der neuen Machthaber nach deren Regierungsübernahme fest und übergab sie den anderen Sicherheitsbehörden. 

Die in der Spätphase der Weimarer Republik wieder stärker forcierte militärische Ausbildung der Ordnungspolizei setzte sich im Dritten Reich fort. Neben einer beginnenden Ideologisierung des Unterrichts umfaßte der Lehrplan daher verstärkt Inhalte wie Geländekunde, das Kommandieren kleinerer Trupps, Pioniertätigkeiten und das Sprengen von Gebäuden. Es ist Deppisch zuzustimmen, daß so gewissermaßen auch handwerkliche Grundlagen für den späteren Einsatz gegen Partisanen gelegt wurden. 

Nach 1933 sollte die Polizei umfassend ideologisch auf Linie gebracht werden. Die bereits im Dienst befindlichen nationalsozialistisch eingestellten Beamten reichten dazu jedoch nicht aus. So verfolgte Heinrich Himmler schon früh das Ziel, durch Mitarbeiter des Rasse- und Siedlungshauptamtes der SS diese Aufgabe zu befördern. Ab 1937, als der Reichsführer SS zum Chef der deutschen Polizei wurde, forcierte er dieses Vorhaben, was jedoch seine Behörden zusätzlich belastete. 

Deppisch stellt in seiner Arbeit heraus, wie bei den Ideologisierungsplänen durch den weltanschaulichen Unterricht Anspruch und Wirklichkeit auseinanderklafften. Ähnlich wie in der SS wollten sich die Männer offenbar nicht den mitunter obskuren Moralvorstellen ihres Reichsführers beugen. 

Letztlich enttäuscht jedoch der ausführliche Abschnitt über die weltanschauliche Schulung. Zwar gibt der Autor fairerweise zu, nicht genau zu wissen, wie dieser Teil der Polizeiausbildung im Detail ablief. Statt dessen erschöpft er sich darin, zahlreiche Beispiele aus NS-Periodika wie Das Schwarze Korps zu geben, doch letztlich bleibt es bei Vermutungen über die Wirkung dieser Texte auf die Schüler. So bleibt als Zwischenfazit stehen: „In der Offiziersausbildung dominierte die weltanschauliche Schulung aber zu keiner Zeit.“ Zugleich stellt Deppisch deutlich heraus, daß die Ordnungspolizei keinesfalls eine intellektuelle oder weltanschauliche Elite der Sicherheitskräfte darstellte. Denn deren Offiziersanwärter verfügten nicht über die entsprechenden Fähigkeiten. 

Deppisch verfolgt mit seiner Dissertation das Ziel, die Holocaust- mit der Täterforschung zu verbinden. Das gelingt jedoch nur bedingt. Zwar widmet er sich ausführlich der Ausbildung der Ordnungspolizei an der Polizeischule in Fürstenfeldbruck und vergleicht sie mit der in Berlin-Köpenick. Doch zur Einlösung dieses Anspruchs wäre es wünschenswert gewesen, näher auf den „auswärtigen Einsatz“ der Ordnungspolizei in den besetzten Gebieten einzugehen. Er erwähnt nur knapp, daß die Polizeioffiziere sich im „Bandenkampf“, wie das Vorgehen gegen tatsächliche und vermeintliche Partisanen genannt wurde, bewährten. Außerdem habe der Judenmord für die Täter eine „Gegenleistung in Extremform“ dargestellt, die sie enger an das Regime gebunden habe. Die Polizeisoldaten seien weniger Überzeugungstäter, sondern Opportunisten gewesen. 

Negativ stoßen beim Lesen die Klagen über das angebliche NS-Vokabular in der polizeilichen Ausbildungsliteratur schon vor 1933 auf. Deppisch stört sich an Begriffen wie „Banden-“ und „Partisanenbekämpfung“ und klammert dabei die von ihm selbst thematisierten Kämpfe der Polizei gegen kommunistische Aufstände in der Weimarer Republik aus, an die sich die Begriffe anlehnten. Arg zeitgeistig mutet es an, wenn er sich über Begriffe wie „Zigeuner“ in der damaligen Ausbildungsliteratur stört. Sieht man über diese Schwächen hinweg, bleibt insgesamt eine quellengesättigte, umfangreiche Studie, die die Ausbildung der Offiziere der Ordnungspolizei im Dritten Reich ausführlich darlegt und analysiert. Die Arbeit schließt eine Forschungslücke der Polizeigeschichte und sollte zu weiteren Untersuchungen anregen. 

Sven Deppisch: Täter auf der Schulbank. Die Offiziers-ausbildung der Ordnungspolizei und der Holocaust. Tectum Verlag, Baden-Baden 2018, gebunden, 676 Seiten, 39,95 Euro