© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG  www.jungefreiheit.de 34/19 / 16. August 2019

Ländersache: Niedersachsen
Pannen, Pech, Pistorius
Christian Vollradt

Auf diesen Termin hätte Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) sicherlich gern verzichtet. Vergangene Woche mußte er – trotz Sommerpause – dem Innenausschuß des Landtags in Hannover Rede und Antwort stehen. Gleich zu Beginn unterrichtete der für die Sicherheit im Land zuständige Ressortchef die Abgeordneten über einen ebenso brisanten wie peinlichen Vorfall: In Celle ist eine Maschinenpistole MP5 aus den Beständen der dortigen Polizei verschwunden. Mit „Einsatzmunition“. Bisher spurlos. Und: Ihr Fehlen war bereits im März aufgefallen. 

Doch anstatt die Sache sofort nach oben zu melden, haben die Beamten vor Ort erst einmal den Verlust für sich behalten und versucht, intern den Verbleib der Waffe des Herstellers Heckler & Koch zu ermitteln. Ein klarer Verstoß gegen die Dienstvorschriften. Erst am 10. Mai war die Dienststellenleitung informiert worden, die zuständige Polizeidirektion Lüneburg gar erst am 24. Mai, teilte ein sichtlich verärgerter Pistorius mit. „Untragbar“ sei der Vorfall, der personelle Konsequenzen nach sich ziehen werde. Den Abgeordneten wiederum stieß auf, daß sie erst jetzt davon Kenntnis erhielten. 

Die MP ist noch immer nicht gefunden worden, selbst verdeckte Ermittlungen fruchteten bisher nicht. Immerhin: Für die Sorge der Grünen, die Waffe könne in die Hände von „Reichsbürgern“ geraten sein, gebe es keine Anhaltspunkte, teilten Beamte des Innenministeriums mit. Es ist mittlerweile der dritte Fall innerhalb einer überschaubaren Zeit, in welcher der Minister in seinem Zuständigkeitsbereich schwere Versäumnisse einräumen mußte. Im vergangenen Monat wurde bekannt, daß einem Beamten des Landeskriminalamts die Aktentasche aus dem Privatauto gestohlen worden war. Pikant: Der Mann führte einen V-Mann. Ein Angler fischte später die Tasche – mit Unterlagen – aus einem Teich. Außerdem wurde in diesem Zusammenhang bekannt, daß bereits seit Sommer 2018 ein als „VS-vertraulich“ klassifizierter Newsletter des Bundesamts für Verfassungsschutz im LKA fehlte.

Und im vergangenen Jahr mußte Pistorius die Präsidentin des Landesamtes für Verfassungsschutz, Maren Brandenburger, entlassen. Grund: Weil ihr Haus versehentlich ver­trau­li­che Akten sei­ten­wei­se un­ge­schwärzt für ein Gerichtsverfahren herausgegeben hatte, konnte Göttingens linksextreme Szene einen auf sie angesetzten V-Mann öffentlichkeitswirksam enttarnen (JF 48/18).

Zwar sei der Innenminister nicht persönlich schuld, er trage jedoch die politische Verantwortung für solche gehäuften Fehler, meinte der innenpolitische Sprecher der AfD-Landtagsfraktion, Jens Ahrends. Das sehen die anderen Oppositionsparteien Grüne und FDP genauso. Und der ehemalige Landesvorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter Ulf Küch, einst Chef der Kriminalpolizei in Braunschweig (JF 12/16), stellte fest, seinem früheren Vorgesetzten fliege nun – wie von Kritikern prognostiziert – „sein Laden um die Ohren“. Starker Tobak.

Für Pistorius kommen die gehäuften Pannen zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt. Denn der 59jährige gilt bisher als einer der wenigen profilierten „Law and order“-Sozialdemokraten, und ihm wird durchaus ein gewisser Ehrgeiz attestiert, auf der Karriereleiter im Land sowie in der Partei noch die eine oder andere Stufe hinaufzusteigen.