© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG  www.jungefreiheit.de 34/19 / 16. August 2019

Pankraz,
Fabian Urech und die alten Afrikaner

Etwas irritiert las Pankraz einen Artikel in der Neuen Zürcher Zeitung aus der Feder von deren Afrika-, genauer: „Subsahara-Afrika“-Experten Fabian Urech über die aktuellen Verhältnisse in Nigeria. 18,4 Jahre, schreibt Urech,  betrage das Durchschnittsalter in Nigeria, 63 Prozent der Menschen seien jünger als 25 – und dennoch werde das westafrikanische Land durchweg von Männern im Pensionsalter regiert. Das führe notwendig „zur Entwicklung lähmender gerontokratischer Machtstrukturen“. Die Wahlbeteiligung werde immer geringer, die Zahl der gewalttätigen Proteste steige rapide an. 

Für Urech ist die Lage in Nigeria typisch für das gesamte Afrika südlich der Sahara. Zitat: „Alter wiegt in Afrika oft mehr als Verdienst, Widerspruch gegenüber Älteren ist schwierig, auch wenn die Fakten klar sind. ‘Alte irren sich nie, selbst wenn sie sich irren, und Junge wissen nie mehr als die Älteren, selbst wenn sie es tun’, schreibt David Adeleke, ein Journalist aus Lagos. Und der nigerianische Politologe Joseph Adebayo spricht von einer ‘Kultur, die die Jungen zum Schweigen bringt’. Gemeint ist ein tief verwurzeltes konservatives Wertesystem, in dem man Alten und Althergebrachtem oft in blinder Ehrfurcht begegnet.“

Zu solchen Sätzen läßt sich, findet Pankraz, eine Menge Gundsätzliches sagen. „Alte irren nie“, „blinde Ehrfurcht ihnen gegenüber tut not“ – das sind natürlich Behauptungen, die berechtigten, entschiedenen Widerspruch auf sich ziehen. Sich irren ist wahrlich keine Altersfrage, und blindes Verehren führt meistens zu bösen Häusern. Allerdings gilt auch: Man braucht einen Erfahrungsschatz, um richtig entscheiden zu können, und dazu muß man älter werden. Erfahrungen dürfen nicht weggewischt, sondern sie müssen klar widerlegt werden. Bloßes Auftrumpfen im Namen von Jungsein ist wider alle Vernunft.


Den Beweis dafür liefert das periodische Auftreten von Jugendkult in der westlichen Gesellschafr, wie wir ihn zur Zeit wieder einmal erleben und der zu nichts weiter führt als zu blinden Begeisterungsstürmen und zu unendlich lachhaften Situationen, in denen sich letztlich alle blamieren, die Alten wie die Jungen. Das richtige Austarieren von jugendlicher Entscheidungskraft und jugendlicher Entscheidungslust mit dem Erahrungsschatz und dem genauen Hinsehen-Wollen der Älteren gehört zu den wichtigsten Voraussetzungen einer guten Politik. Und die Älteren verfügen dabei über die wichtigeren Karten.

Die Jugend giert allzu leicht nach totalen Lösungen, zu bloßen Theorien, Ideologien und Utopien, neigt außerdem dazu, alles Bestehende umzustürzen, nur weil es eben besteht, da ist. Sie ignoriert die unendliche Vielfalt der Wirklichkeit, lokale und historisch-traditionale Besonderheiten, neigt zu Anbetunbg alles Neuen, nur weil es eben neu ist. Für die Älteren gilt dagegen überwiegend der Grundsatz: Nicht das Neue um seiner selbst willen, sondern das Bessere muß durchgesetzt werden.

Hinzu kommt freilich die Machtfrage. Die Älteren sind in der Regel schon etwas, die Jungen wollen erst etwas werden, und dabei stehen ihnen die Älteren im Wege. Natürlich, sie, die Jüngeren, müssen erst lernen, sich zurechtzufinden, müssen Schulen besuchen, „in die Lehre gehen“, sich erziehen lassen.  Doch es kommt der Tag, wo man endlich „voll erwachsen“ ist, während der Alte schon erste Zeichen von Tattrigkeit, nachlassender Kräfte, von sich gibt, gleichsam biologisch angreifbar wird.

„Vater, übergib!“ ertönt es dann in vielen Erbhöfen überall auf der Welt, und zwar nicht erst in jüngerer Zeit, sondern ertönte es von Anbeginn an in allen Kulturen. Im westlichen Abendland allerdings wollte man es seit Anbeginn des technischen Zeitalters und der sogenannten Aufklärung mit der bloßen Übergabe nicht mehr bewenden lassen. Dem potentiellen Übergeber sollte vielmehr beigebracht werden, daß sein ganzes Wissen und seine ganze Macht auf nichts als auf Einbildung und Anmaßung beruhte, daß von nun an ein  völlig neues Zeitalter angesagt sei, in dem er nichts mehr zu suchen habe.


Auch Fabian Urechs Aufsatz in der NZZ läuft genau auf diese pauschale Kritik an der vermeintlichen Anmaßung der Älteren als Grundübel des gegenwärtigen Subsahara-Afrikas hinaus. Dem Subsahara-Afrika gehe es schlecht, so wird dem Leser nahegelagt, weil es verbissen am „Althergebrachten“ festhalte und daraus notwendig „gerontologische Machtstrukturen“ erwüchsen. In einer solchen Verkürzung liegt nicht nur Wissenschaftsferne, sondern auch eindeutig falscher Blick auf die aktuelle politische Situation in Nigeria und vergleichbaren afrikanischen Staaten.

Nicht die Überalterung der politisch Herrschenden ist dort das Problem, sondern deren geradezu zum Himmel schreiende Korruption, ihre Geldgier, ihr ungenierter Nepotismus, ihre konsequente Cliquenwirtschaft. die jedes mit westlicher Hilfe neu installierte Unternehmen sofort auf eine munter sprudelnde Quelle für phantastischen individuellen Reichtum reduziert. Mit Geburtenüberschuß und jugendlichen Fluchtbewegungen gen Westen hat das nur insofern zu tun, als solche Konstellationen den herrschenden Cliquen sehr zupaß kommen, um westliche Länder zu erpressen.

Wobei man sich klar sein sollte: Die deutschen Hilfesummen für inländischen Aufbau vor Ort fließen wiederum, wie immer man ihre Verteilungsmechanismen offiziell auch deklarieen mag, ganz überwiegend in die Taschen der herrschenden Cliquen. Die westliche „Hilfe“ verstärkt die Krise nur, sehr im Gegensatz übrigens zur derzeitigen chinesischen Afrika-Politik, die – neben dem Bau von Eisenbahnen und Fabriken zur Verarbeitung ländlicher Produkte – immerhin auch einen anschaulichen Begriff von konfuzianischer Tradition in die Länder bringt. 

Wie lehrte einst Konfuzius? „Die Jugend muß die Alteren achten, denn sie bringen uns das Erbe der Ahnen. Und die Älten müssen die Jungen lieben. Denn sie tragen das Erbe der Ahnen, unser Erbe, in die Zukunft.“