© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG  www.jungefreiheit.de 34/19 / 16. August 2019

Wir alle zahlen die Zeche
Öffentlicher Raum: Das Gefühl eines Verlustes von Sicherheit und Heimat manifestiert sich im Alltag
Anabel Schunke

Ich bin ein absolutes Sommerkind. Sobald es draußen warm genug ist, schlüpfe ich in meinen Bikini und fahre zum See. Oft verabreden wir uns zum Beachvolleyball.

Wenn es wie jedoch wie vor einigen Tagen nur knappe 20 Grad sind, trifft man neben uns Beachvolleyballern nur wenig andere Menschen am See. Ein paar Bücherwürmer, die alleine die Ruhe genießen, eine Handvoll Jogger und ein paar Familien – vorzugsweise mit Migrationshintergrund –, die gerne auch bei kühleren Temperaturen dort grillen, sowie gelegentlich Gruppen von „jungen Männern“, die man sonst eher im Freibad antrifft.

Kürzlich waren es gleich zwei dieser Gruppen. Neben uns nahezu die einzigen Menschen am See. Die erste Gruppe saß unmittelbar hinter mir am Spielfeldrand. Ich verstand kein Wort von ihrer Unterhaltung, weil sie untereinander kein Deutsch sprachen. Kurze Zeit später kam eine zweite, deutlich größere Gruppe hinzu, die es sich in unmittelbarer Nähe bequem machte. Mich störte das nicht. Schließlich war ich mit drei großen Männern dort.

Die Frage ist, ob mein Gefühl dasselbe gewesen wäre, wenn ich alleine dort gesessen hätte. Vermutlich nicht. Wahrscheinlicher ist, daß ich sogar gegangen wäre. Nicht, weil ich Männern oder Menschen mit Migrationshintergrund per se etwas Schlechtes unterstelle, sondern weil solche Situationen durch Gruppenstärke und fremde Sprache grundsätzlich schwer einzuschätzen sind. Noch dazu in einer Umgebung, in der außer Wiese und Wald nichts ist. Wüßte ich, daß es im Gespräch hinter mir um das Wetter geht, könnte ich zusätzlich Tonfall und Gestik einschätzen, wäre der Eindruck vielleicht ein anderer, aber so erzeugt das Ganze eine nicht zu kalkulierende Fremde, die nicht nur bei mir Unbehagen auslöst.

Dabei muß es sich nicht einmal um ein Szenario wie dieses handeln, in dem man auf sich allein gestellt ist. Ins Freibad gehe ich schon lange nicht mehr. Auch und vor allem, weil ich in nicht wenigen Freibädern als Deutsche ohne Migrationshintergrund mittlerweile ein Exot bin. Jemand, der niemanden um sich herum versteht. Weil es laut, anstrengend und damit wenig entspannend ist. Und weil es einen Unterschied zwischen hinterhergeworfenen Blicken angesichts einer schönen Frau im Bikini und einer Viehbeschau gibt, weil ich mich als Deutsche nicht so züchtig wie die eigenen Landsfrauen kleide und weil eigene Landsfrauen sowieso meist gar nicht ins Freibad gehen. Vielen, auch gut integrierten Deutschen mit Migrationshintergrund, geht es mittlerweile ähnlich. Ebenso meiden junge Frauen immer öfter die Freibäder aufgrund sexueller Belästigungen.

Vermeidungstaktik nennt sich das. Und sie beschränkt sich mitnichten nur auf Freibäder und hier auf „multikulturelle“ Hotspots wie das Berliner Columbiabad oder das zuletzt im Juni und Juli mehrfach geräumte Düsseldorfer Rheinbad, wo man ohnehin schon seit geraumer Zeit kaum noch Deutsche trifft. Was so vor sich geht, ist eine subtile, sukzessive Verdrängung der Deutschen aus dem öffentlichen Raum, die weder von den Medien noch von der Politik angemessen wahrgenommen wird, da sie, abgesehen von ein paar Ausnahmen, ohne große Schlagzeilen vonstatten geht.

Die Kölner Silvesternacht 2015/16 war bis dato das letzte und einzige Ereignis, nach dem lang und breit über die Okkupation des öffentlichen Raumes durch mehrheitlich junge Männer mit Migrationshintergrund diskutiert wurde. Das Problem: Noch immer werden solche großen Vorfälle in der medialen und politischen Öffentlichkeit als singuläre Phänomene wahrgenommen, deren Schrecken in dem Moment vorüberzieht, in dem derlei Ausschreitungen mit einem massiven Polizeiaufkommen eingedämmt oder ganz verhindert werden.

Der Verlust des öffentlichen Raumes vollzieht sich aber nicht nur punktuell im Rahmen größerer Ereignisse wie einer zeitlich und räumlich begrenzten Silvesterparty, sondern vor allem im Alltag eines jeden Bürgers. So steigt seit Jahren die Zahl von Orten, die er meidet. Das betrifft jene Parks, die sich zu reinen Drogenumschlagplätzen entwickelt haben, genauso wie Freibäder oder Spielplätze und Schulen.

Das zunehmende Gefühl eines Verlustes von Sicherheit und Heimat zugunsten eines vermeintlichen multikulturellen Miteinanders, das nur allzu oft aufgrund weltanschaulicher Differenzen keines ist, manifestiert sich eben nicht allein an schrecklichen Gewalttaten wie zuletzt in Frankfurt oder Stuttgart. Es beginnt im eigenen Alltag. Bei den Dingen, den Aktivitäten, den Orten, die wir plötzlich meiden, weil wir nicht zu den Menschen passen, die diese Räume für sich eingenommen haben und weil diese nicht zu uns passen. Weil es zu Auseinandersetzungen kommt, zu Drohungen und Belästigungen oder manchmal schlicht dazu, daß man sich in dem Land, in das man geboren wurde und in dem man aufgewachsen ist, plötzlich wie der Fremde fühlt. Weil Multikulti in der Realität funktionieren kann, es aber eben oft nicht tut. Vor allem dort, wo man als Deutscher bereits in der Unterzahl ist. Und weil sich dieser Effekt mit jedem Rückzug aus dem öffentlichen Raum weiter verstärkt.

Seit vielen Jahren wird das Miteinander so zum Nebeneinander ohne nennenswerte Berührungspunkte. Multikulti – das ist an vielen Orten nur noch etwas, das sich in den Träumen derer abspielt, die abgeschirmt in ihren Latte-Macchiato-Bezirken beim Poetry-Slam sitzen und sich für tolerante Kosmopoliten halten, weil sie ihren türkischen Gemüsehändler grüßen.

Die Zeche für ihre Träume zahlen andere. Zuerst diejenigen, die es in den sozial schwächeren Bezirken eh schon schwer genug haben. Dann die deutsche Frau, die irgendwann wie die muslimische Frau aus dem öffentlichen Raum zu verschwinden droht und anschließend all jene, die versuchen, sich dagegen zu wehren. Erst ganz zuletzt trifft es uns alle. Auch jene in den Komfortzonen des deutschen Gratismuts. Zu spät ist es dann allemal.






Anabel Schunke, Jahrgang 1988, arbeitet als Model und freie Publizistin.

 www.anabelschunke.com