© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG  www.jungefreiheit.de 34/19 / 16. August 2019

Forky will keine Spielzeug-Gabel sein
Animationsfilm im Kino: „A Toy Story – Alles hört auf kein Kommando“ handelt von Identitätsproblemen
Wolfgang Paul

Als „Toy Story“ 1995 in die Kinos kam, stand vor allem die digitale Machart im Mittelpunkt des Interesses, denn der Film leitete das Ende des konventionellen Zeichentrickfilms ein. Daß daraus eine kleine Kinoserie entstehen würde, konnte man bereits ahnen, war doch schon in diesem Film zu sehen, daß die Produktionsfirma Pixar lustige und anrührende Geschichten erfinden konnte und darin konservative Werte wie Kameradschaft, die Bedeutung von Vorbildern und den Wert der Familie verpackte.

Großes Vorbild waren und sind natürlich die Disney-Filme, wobei im vorliegenden Fall nicht die Tiere, sondern die Spielzeugfiguren menscheln. Wenn ihre Besitzer sie alleinlassen, werden sie lebendig und liebenswert für die Kleinen und Großen im Kinopublikum. Folgerichtig übergab Pixar auch Disney das Verleihgeschäft, um sich schließlich als Ideengeber dem etwas träge gewordenen Disney-Konzern komplett anzuschließen.

Ein Hauptthema der Reihe ist das Altern

Nun schien im Jahr 2010 nach drei „Toy Story“-Filmen bereits alles gesagt. Die Spielzeuge hatten so manche Krise überwunden und waren am Ende gar ihrer Vernichtung entronnen. Als der kleine Andie, dem der Cowboy Woody, Buzz Lightyear und die anderen Figuren gehörten, aufs College kam, waren sie bei einem neuen Kind, der kleinen Bonnie, gelandet, 

An dieser Stelle sei auf eine Besonderheit in der Toy-Story-Welt im Vergleich zu vielen anderen Comicserien aufmerksam gemacht: Die Figuren altern, nicht so sehr die Toys, aber sehr wohl die Kinder, von denen sie abhängen. Das Altern ist sogar eines der Hauptthemen der Serie, denn irgendwann verlieren die Spielzeugfiguren den Wert für ihre Besitzer. So stand Woody im zweiten Film vor der Entscheidung, ob er in einem Spielzeug-Museum landen sollte, um gewissermaßen unsterblich zu werden, oder zu dem Jungen zurückkehren wollte, der ihn liebte, ihn am Ende jedoch in eine Kiste mit altem Spielzeug werfen würde.

Das Problem wurde also mit der Weitergabe einerseits elegant gelöst, andererseits aber auch umgangen. Deshalb schlägt „Toy Story 4“, wie der Film im Original heißt, ein durchaus sinnvolles neues Kapitel auf.

Cowboy Woody bekommt jetzt erst einmal einen neuen Konkurrenten, und der hat es in sich. An ihrem ersten Tag im Vorschul-Kindergarten bastelt sich die kleine Bonnie aus einer Plastikgabel eine Figur, der sie den Namen Forky gibt. Spielzeuge werden also nicht nur geschenkt, ein Kind kann sich auch selbst eines herstellen.

Forky erwacht auch zum Leben, hat aber dummerweise ein Identitätsproblem: Er ist sich seiner Unvollkommenheit bewußt, will kein Spielzeug sein, sondern in den nächsten Mülleimer. Da nun der mitfühlende Woody sofort erkennt, daß die selbstgebaute Figur für Bonnie einen besonderen Wert besitzt, ist er fortan damit beschäftigt, Forky aus dem Müll zu holen, am Davonlaufen zu hindern oder, wenn dies nicht gelingt, ihm hinterherzueilen, um ihn wieder zurückzubringen.

Woodys neue Lebensaufgabe wird zusätzlich erschwert, als die Familie zu einem Urlaub aufbricht und Forky natürlich als Bonnies neuer Liebling unbedingt mitkommen muß. Die Computeranimateure haben für die Reise unter anderem einen Antiquitätenladen, der von Pixars Liebe zu alten Dingen zeugt, und einen großartigen Rummelplatz aus Bits und Bytes gezaubert.

Um Forky immer wieder einzufangen, müssen sich die Toys eine Menge einfallen lassen. Doch plötzlich steht auch Woody, der zusammen mit allen Figuren damit beschäftigt war, Forky von seinem Wert als Spielzeug zu überzeugen, vor einem Identitätsproblem. Er hat seine alte Freundin Bo Peep wiedergefunden, und diese erörtert in einem großartigen Dialog mit ihm die Frage, ob sein Lebenssinn nur darin besteht, einem Kind zu dienen, oder ob er mehr ist als ein abhängiges Spielzeug und mit ihr zu neuen Ufern aufbrechen will.

Diese Form der Selbstverwirklichung dürfte allerdings zu einem Konflikt mit den traditionellen Werten führen, der den Stoff für einen fünften Film liefern könnte.