© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG  www.jungefreiheit.de 34/19 / 16. August 2019

Auf Zeit spielen und aussitzen
Geschichtspolitik: Sowohl in Berlin als auch in Leipzig wird die Errichtung von Denkmälern für die Deutsche Einheit verschleppt
Claus-M. Wolfschlag

Die Erinnerung an den Mauerfall vor dreißig Jahren und an die Deutsche Einheit paßt nur mit Mühe in den auf das Narrativ einer schuldbeladenen Nation konzentrierten Haupterzählstrang bundesdeutscher Gedenkkultur. Schließlich wurde mit der friedlichen Revolution 1989/90 ein Zustand der Nachkriegszeit revidiert. Die Beseitigung eines linken Staats- und Gesellschaftsexperiments ging einher mit einer positiven Bezugnahme auf die deutsche Nation. Doch solche Bezugnahmen auf die nationale Geschichte sind in einer Zeit forcierter Globalisierung nicht immer gern gesehen. 

Ganz unter den Teppich kehren können bundesdeutsche Geschichtspolitiker diese Ereignisse aber nicht. Doch sind Tendenzen zur Marginalisierung feststellbar. Die jährlichen Feiern am Tag der Deutschen Einheit erinnern eher an gewöhnliche Straßenfeste mit banalem Entertainment-Programm. Gedenkstelen und -steine zur Deutschen Einheit finden sich bis heute vor allem in Kleinstädten und auf dem Land. Als 2014 die Bürger Für Frankfurt (BFF) vorschlugen, in Frankfurt am Main eine kleine Gedenkstele zum 25. Jahrestag der Wiedervereinigung zu errichten, erfuhren sie im Frankfurter Stadtparlament einhellige Ablehnung, auch von seiten der CDU. Verwiesen wurde dabei absurderweise auf die Paulskirche, das Parlament von 1848, die ja ein Symbol für die deutsche Einheit sei und somit  als Erinnerung an 1990 ausreiche.

Ein erster Wettbewerb fand vor zehn Jahren statt 

2000 lehnte der Kulturausschuß des Bundestages auch den ersten Anlauf zur Errichtung eines Freiheits- und Einheitsdenkmals in Berlin ab. Die Initiative ging dabei keinesfalls von der großen Mehrheit der deutschen Parlamentarier aus, sondern von einer kleinen Gruppe aus Politikern, Stadtplanern und Journalisten. Dazu gehörten der ehemalige Bürgerrechtler Günter Nooke und der letzte DDR-Ministerpräsident Lothar de Maizière. Erst 2009 fand ein erster Wettbewerb statt, 532 Entwürfe von Künstlern wurden eingereicht und erhielten verheerende Kritik.

2011 wurde dann der heute projektierte Entwurf „Bürger in Bewegung“ als Sieger eines zweiten Wettbewerbs der Öffentlichkeit präsentiert. Erst 2015 wurde eine Baugenehmigung erteilt. 2016 indes stoppte der Haushaltsausschuß des Bundestages den Entschluß wieder aufgrund von Kostensteigerungen. Das führte zu Kritik, unter anderem von Wolfgang Thierse und Bundestagspräsident Norbert Lammert, so daß die Regierungsfraktionen CDU/CSU und SPD 2017 verlautbarten, nun den Bau veranlassen zu wollen. Der Bundestag beschloß daraufhin gegen die Stimmen der Linksfraktion den Bau, der eigentlich umgehend begonnen und 2019 fertiggestellt werden sollte. Doch durch komplexe Grundstücks- und Finanzierungsprobleme sowie das ständige Sperrfeuer vor allem linker Politiker verzögerte sich das Projekt erneut. Auch kam es zur Kritik vieler Stadtbild-Freunde am Standort vor dem rekonstruierten Berliner Schloß, die sich an dieser Stelle eine allerdings politisch unrealistische Rekonstruktion der wilhelminischen Kolonnaden gewünscht hätten. 

Von zahlreichen seinerzeit eingereichten Entwürfen dürfte die bewegliche Schale von Milla und Partner sowie der Künstlerin Sasha Waltz noch zu den besten gehören, auch wenn sie technisch anfällig, in vielerlei Hinsicht unpraktisch und im Unterhalt sehr teuer konzipiert sein dürfte. Ein Mehr an Monumentalität oder stiller Würde ist der aktuellen Spaßgesellschaft nur schwer vermittelbar. 

Dennoch dürfte schon die auf der Schale befindliche Widmung „Wir sind das Volk. Wir sind ein Volk“ ausreichenden Provokationscharakter vor allem für das altlinke und antinationale Berliner Polit-Milieu haben. So liegt auch hier der Verdacht nahe, daß auf Zeit gespielt wird.

In Berlin existiert bereits ein Einheitsdenkmal

Genau betrachtet existiert in Berlin bereits seit 1998 ein Einheits- und Freiheitsdenkmal. Doch kaum jemand kennt es. Zum 50. Jahrestag der Luftbrücke schenkte der ehemalige US-Präsident George Bush senior der Stadt Berlin die Skulpturengruppe „The Day the Wall Came Down“. Das von der texanischen Bildhauerin Veryl Goodnight gestaltete Denkmal zeigt mehrere Pferde, die in Trümmern liegende Berliner Mauer überspringend. Auf der Mauer sind diverse Zitate angebracht, unter anderem von John F. Kennedy („Ich bin ein Berliner“) und Ronald Reagan („Tear down this wall“). Das amerikanische Geschenk konnte damals nicht abgelehnt werden, doch es wurde bewußt fern der Passantenströme am westlichen Stadtrand Berlins aufgestellt. Dort steht es nun weitgehend unbeachtet in Dahlem auf einer Grünfläche an einer Straßenkreuzung nahe des ehemaligen US-Hauptquartiers.

Noch weit desaströser als in Berlin zeigten sich die Bemühungen in Leipzig. Die Messestadt ist als einer der zentralen Orte der Montagsdemonstrationen in die Geschichte der friedlichen Revolution eingegangen. Sucht man nach Denkmälern der Ereignisse, bedarf es viel Hintergrundwissen, diese aufzuspüren. Eine kleine Bodenplatte trägt ohne weiteren Hinweis die Aufschrift „09. Oktober 1989“.  Auf dem Hof der Nikolaikirche wurde 1999 die palmenartige Nachbildung einer der Säulen des Kirchenschiffs errichtet. Sie soll als Friedenssäule an die Montagsdemonstrationen erinnern. 2009 wurde auf auf dem Augustusplatz die „Demokratieglocke“ des Künstlers Via Lewandowsky enthüllt. Das eiförmige Bronzeobjekt gibt immer montags um 18.35 Uhr zwölf Glockenschläge von sich. So soll an die Montagsdemonstrationen erinnert werden. Eine davor liegende Bodenplatte erklärt den Zusammenhang nicht, sondern nennt nur die Spender. Bürger, denen der Bezug zur Wiedervereinigung nicht bewußt ist, dürften ebenso acht- wie ahnungslos an all diesen „Gedenkobjekten“ vorbeigehen.

2008 hatte der Bundestag immerhin beschlossen, parallel zum Berliner Denkmal auch eine Erinnerungsstätte in Leipzig zu schaffen. Auf Initiative von Bürgerrechtlern forderte das Parlament die Bundesregierung auf, „gemeinsam mit dem Freistaat Sachsen und der Stadt Leipzig den Beitrag der Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt zur Friedlichen Revolution auf angemessene Weise zu würdigen“. Geschehen ist in diesen elf Jahren wenig. Ein 2011 veranstalteter Wettbewerb endete mit dem katastrophalen Scheitern aktueller moderner Denkmalskonzeptionen. Der damals von einer Jury aus kommunalen Verwaltungsvertretern und Kunstprofessoren ernannte Siegerentwurf „70 000“ verkörperte noch weit mehr als die Berliner „Einheitswippe“ das Wesen der Spaßgesellschaft. Auf einem geometrischen bunten Keramik-Farbfeld wären kubische bunte Hocker aufgestellt worden, die dann von den Bürgern beliebig verschoben oder gar mitgenommen werden sollten. Dies sollte die gewaltfreie Aneignung der Meinungsfreiheit in jeden Winkel der Stadt symbolisieren. Optisch erinnerte das Ganze ein wenig an das Ikea-Kinderland. Das Projekt auf dem riesigen Wilhelm-Leuschner-Platz sollte dabei in Sichtachse zum Völkerschlachtdenkmal einen bewußten geistigen Gegenpol zum größten europäischen Kriegerdenkmal bilden.

Wende-Skulptur in Leipzig stößt auf Kritik

Der Entwurf des Münchner Teams „M+M“ – Marc Weis und Martin de Mattia, gemeinsam mit dem Büro Annabau Architektur und Landschaft, fiel schließlich doch durch. Die massiven Proteste aus der sich schlecht repräsentiert fühlenden Bürgerschaft kippten das Projekt. Als eine veränderte Jury plötzlich dann einen unterlegenen Entwurf wieder nach vorne holte, kam es zum juristischen Streit. Schließlich wurde das ganze Verfahren auf Eis gelegt.

Der Stadtrat beschloß 2014 eine Atempause, die aufgrund Leipziger Schweratmigkeit nun schon wieder fünf Jahre dauert. 2019 monierte die CDU-Ratsfraktion immerhin den Stillstand. So habe die Stiftung Friedliche Revolution 80.000 Euro von der Stadt für die Überarbeitung der Konzeption erhalten, aber noch nicht geliefert. Die Stiftung rechtfertigte sich, daß bei einer Veranstaltung durch einen Technikausfall eine Power-Point-Präsentation nicht möglich gewesen sei. Es sei aber von der Stiftung durch externe Berater eine deutschlandweite Marktforschungsstudie in Auftrag gegeben worden. Zudem seien zahlreiche Interviews geführt worden. „Es ist eindeutig, daß eine Mehrzahl der Leipziger das Denkmal will“, faßte Stiftungsvorstand Michael Kölsch die Ergebnisse seiner teuren Untersuchungen zusammen.

Kulturbürgermeisterin Skadi Jennicke (Die Linke) mußte gegenüber der verärgerten CDU Versäumnisse einräumen. Ihr Dezernat habe das Thema wohl bei der Vielzahl der Aufgaben „etwas aus dem Blick verloren“, wurde die Kulturchefin in der Presse zitiert: „Für uns geht Qualität vor Schnelligkeit.“ Auch der SPD-Oberbürgermeister Burkhard Jung bat nach elf Jahren des Wartens „um ein bßchen Geduld“. Ein Schelm, der Böses bei alledem denkt. 

In einer solchen bequemen Lage des Aussitzens sind kesse Vorstöße von Dritten ganz und gar nicht beliebt. Wie in Berlin ist der Initiator eine amerikanische Künstlerin. Bereits 2009 hatte die Texanerin Miley Tucker-Frost ein Modell eines Wende-Denkmals „Keine Gewalt“ entwickelt und der „Runden Ecke“ am Dittrichring geschenkt, dem Museum der ehemaligen Stasi-Zentrale.

Die Idee dazu war ihr in den 1990er Jahren auf ihrer Hochzeitsreise gekommen, als sie von der Geschichte der friedlichen Revolution sehr berührt wurde. Projektiert wurde eine Realisierung als acht Meter breites Denkmal vor dem Museum. Vertreter der Kunstszene, denen die schlichte Figurengruppe von Demonstranten zu „kitschig“ und „pathetisch“ erschien, lehnten den Entwurf ab. Das Projekt wurde durch finanzielle Engpässe auf Eis gelegt.

Nun aber ist es wieder aktuell. Die Finanzierung ist gesichert. Die Figurengruppe ist unter Einbeziehung des sächsischen Künstlers Torsten Freche überarbeitet worden und soll auf 3,50 Meter verkleinert am 9. Oktober eingeweiht werden. Und zwar nicht irgendwo an einer Straßenkreuzung am Stadtrand, sondern auf einer Grünfläche vor der ehemaligen Stasi-Zentrale. 

Sofort haben sich die Gegner des Denkmalprojekts formiert, die ausgiebig in der Leipziger Volkszeitung zu Wort kommen dürfen. Das aus Künstlern und Architekten zusammengesetzte das Sachverständigenforum „Kunst im öffentlichen Raum“ zog Parallelen zum „sozialistischen Realismus“ und bemängelte die „katastrophale Anatomie“ der Figuren. Ein Leipziger Künstler wetterte gegen die „Pfefferkuchenmännchen“ und ein damaliger Montagsdemonstrant wird in der Presse zitiert, daß er die Figuren „eindimensional“ und nicht den Demonstrationen angemessen finde.

Weitere Argumente scheinen noch mehr an den Haaren herbeigezogen: Die „Runde Ecke“ sei ein sensibler Ort. Besucher könnten die Wendeplastik mit dem inexistenten Freiheits- und Einheitsdenkmal verwechseln. Die Wendeplastik könnte gar das für die Zukunft projektierte Freiheits- und Einheitsdenkmal behindern, war zu hören, obwohl es einen Kilometer entfernt an ganz anderem Ort entstehen soll. So finden sich die Verhinderer, unfähigen Rest-Bürgerrechtler, beleidigten Künstler und negativ gesinnten Journalisten erneut bei dem Versuch zusammen, auch im dreißigsten Jahr der friedlichen Revolution ein sichtbares Gedenken an die deutsche Einheit im öffentlichen Raum zu verschleppen.