© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG  www.jungefreiheit.de 34/19 / 16. August 2019

Isegrim ist auf den Hund gekommen
Heftige Debatte um Wolfshybride und Schafsrisse
Martina Meckelein

Sie kann es einfach nicht lassen: Die Thüringer Wölfin, die seit einigen Jahren auf dem Truppenübungsplatz Ohrdruf lebt, hat sich mal wieder mit einem Hunderüden eingelassen – zum zweiten Mal. Ein Seitensprung, der ihre Kindern das Leben kosten wird. Sie sollen abgeschossen werden, so wie der vorhergehende Wurf der Ohrdruferin. „Aus der Natur entnommen“, so ein Sprecher des Thüringer Umweltministeriums zur JUNGEN FREIHEIT. „Sie können aber auch gefangen werden.“

Verschwörungstheorie oder Wissenschaftsstreit?

Wolfhybride sind Blendlinge, die fruchtbar sind. Sie stehen zwar bis in der vierten Tochtergeneration unter Artenschutz – geschossen werden sie allerdings trotzdem, denn die Frucht des Leibes soll in der freien Natur sortenrein bleiben. Das ist verantwortungsvolle Arterhaltung. Doch wieviel Wolf steckt denn eigentlich im deutschen Wolf? Darüber ist ein Wissenschaftsstreit entbrannt.

Unversöhnlich stehen sie sich gegenüber: das Senckenberg-Institut mit dem Ökologischen Jagdverband (ÖJV) auf der einen Seite. Sie halten die Diskussion über das immer stärkere Vorkommen von Wolfhybriden in der freien Natur für eine Verschwörungstheorie. Auf der anderen Seite stehen die traditionellen Jagdverbände, Verhaltensforscher und das ForGen-Institut aus Hamburg.

Der Wolf ist in Deutschland nach dem Ende des Warschauer Paktes aus dem Baltikum und Polen wieder eingewandert. Die erste Wolfssichtung war 1996, im Jahr 2000 wurden die ersten Welpen in Deutschland in Freiheit geboren. Doch was wanderte da eigentlich von Ost nach West? Ganz reinrassig war Canis lupus wohl schon als Migrant nicht. Zu Vermischungen zwischen Hund und Wolf soll es schon vor seiner Einwanderung im Raum Kolberg (Kolobrzeg) gekommen sein.

Kleine fast rechteckige pelzige Ohren mit runder Spitze. Breiter Schädel, das liegt am breiten ausladenden Jochbogen, ein Gehirn, das 80 Prozent größer als das des Hundes ist, grauer Pelz. Nachtaktiv, ohne Mimik, und der typische, schnürende Wolfstrab, bei dem der Wolf seine Hinterpfoten in die Abdrücke der Vorderpfoten setzt. Tausend Wölfe sollen so aussehen und in Deutschland leben. Allerdings, genaue Abstammungsergebnisse kann nur ein Erbguttest liefern. Schwarze Wölfe haben Hundegene.

Im April 2018 wurde der Wolf Thema im Umweltausschuß des Bundestages. Lobbyisten und Sachverständige von Schafhaltern über Journalisten bis hin zu Genetikern waren geladen. Unter anderem auch Nicole von Wurmb-Schwark vom Hamburger Institut ForGen. Dessen These lautet: Durch die Verbreitung und Vermehrung des Wolfes in Deutschland würde auch eine Verpaarung mit Hunden zunehmen. Dies sei an den Nutztierrissen festzumachen.

Darüber hinaus wirft das Institut die Frage nach der Vertrauenswürdigkeit der Daten auf. Im Freistaat Thüringen fordert jetzt der Bauernverband nicht nur den Abschuß der Welpen der Ohrdrufer Wölfin, sondern auch die Tötung des Weibchens selbst. Sie zeige untypisches Verhalten, reiße Nutztiere, springe über 1,20 Meter hohe Weidezäune und bringe ihren Kindern diese Art des Fleischerwerbs bei.

Offiziell veröffentlichte das Thüringer Umweltministerium am 8. August die Rißfälle an Nutztieren für das laufende Jahr: 44mal wurden insgesamt 66 Schafe, Ziegen, Fohlen, Ponys und Kälber getötet und fünf verletzt. Einmal wurde Damwild gerissen. Nun ist der Täter nicht mehr auf der Weide, wenn das Massaker, das er ohne Zweifel unter den Tieren anrichtet, entdeckt wird. Rißbestimmungen erfolgen durch in Augenscheinnahme der Verletzungen, dann werden Proben genommen und genetisch untersucht. Abschließend erfolgt die behördliche Entscheidung, welche Tierart für den Riß verantwortlich ist.

Bundesweites Wolfsmonitoring

Nach der genetischen Untersuchung war es sicher elfmal der Wolf, nach der Rißbestimmung 29mal. Ergebnis der Behörde: 24 Wolfsrisse. Übrigens: Das Dammwild tötete übereinstimmend kein Wolf, ein Schaf wurde vom Luchs getötet. Die Zahlen sprechen also eine eindeutige Sprache, eben daß bei weitem nicht alle Risse durch den Wolf verursacht werden. Sondern, daß es in 22 Fällen genetisch „nicht bestimmbar“ ist, ob ein Wolf oder Hund der Verursacher ist. Es könnten also durchaus Wolfshybriden zugeschlagen haben. Und noch etwas fällt auf: Die Zahl der gemeldeten Risse steigt an. Waren es 2015 nur zwei, waren es 2017 schon sieben Wolfsrisse. 2018 wurde sieben Wolfs- und vier Hunderisse registriert. Wobei in dem Jahr ein Hund an nur einem Tag zehn Schafe riß.

Die Senckenberg-Position ist hingegen eindeutig: „Wir haben keine Hybridpopulation in Deutschland“, wird Carsten Nowak, der Leiter des Genetischen Referenzzentrums der Senckenberg-Gesellschaft in Frankfurt im NDR zitiert. Die Behauptung von „Pseudowissenschaftlern“, in Deutschland gebe es viele Mischtiere, sei „hanebüchener Unsinn“. Nowaks Ergebnisse beruhen auf einem bundesweiten Wolfsmonitoring, das das Institut erarbeitet hat. Demnach liege die Zahl der nachgewiesenen Hund-Wolf-Mixe unterhalb von einem Prozent.

Experten gehen davon aus, daß Wölfe sich nur äußerst selten in der freien Natur mit Hunden paaren. Je mehr Wölfe es gibt, desto seltener trete diese Paarung auf. Wie könnte es dann zu Wolfshybriden kommen? In Deutschland ist die Züchtung dieser Blendlinge verboten. Nur zwei Rassen, der Tschechoslowakischer Wolfhund und der Saarlooswolfshund, sind vom Haushunde-Dachverband Fédération Cynologique Internationale (FCI) anerkannt. Die Tiere, auch wenn der Wolf seit Generationen nicht mehr eingekreuzt wurde, gehören ausschließlich in erfahrene Hände. Allerdings gelten sie als schick. Je mehr Wolf, desto besser. Für heimliche Wolf-Hund-Paarungen würden mehrere 1000 Euro geboten. Was mit den Produkten dieser Liaison dann passiert, interessiert die verantwortungslosen Züchter nicht.

Im Fall der Ohrdrufer Wölfin und ihres Nachwuches hat der Bauernverband einen Brief an das Thüringer Landesamt für Umwelt, Bergbau und Naturschutz geschrieben. „Der wird jetzt geprüft“, so ein Sprecher des Umweltministeriums zur jungen freiheit. „Bei den jüngeren Tieren ist es klar, die müssen entnommen werden, das sind Hybride. Die Wölfin ist jedoch streng geschützte Art. Da unterliegt die Entscheidung strengen Auflagen.“

 www.senckenberg.de

 www.forensik-hh.de

 www.fci.be/de